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Aus: Ausgabe vom 26.10.2023, Seite 8 / Ansichten

Kein Freibrief

UN-Eklat wegen Guterres’ Gaza-Rede
Von Knut Mellenthin
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Die Vereinten Nationen haben es sich mit Israel verscherzt. Ihre Vertreter bekommen keine Einreisevisa mehr, teilte der israelische Botschafter bei der UNO in New York, Gilad Erdan, am Mittwoch mit. Als erstes habe es den Unter-Generalsekretär für Humanitäre Angelegenheiten, den britischen Diplomaten Martin Griffiths, getroffen, erzählte Erdan im israelischen Armeesender. Das passt gut, denn über humanitäre Angelegenheiten will man gegenwärtig und vermutlich auch in den kommenden Monaten in Jerusalem ohnehin nicht sprechen.

Israelische Regierungen verachten die UNO traditionell und sehen sich an deren Resolutionen grundsätzlich nicht gebunden. Aber was ist jetzt zusätzlich passiert, das zur generellen Visaverweigerung für Abgesandte der Weltorganisation geführt hat? UN-Generalsekretär António Guterres entschuldigt und rechtfertigt angeblich den Terror. Genauer gesagt: die verbrecherischen Handlungen bewaffneter Palästinenser gegen Bewohnerinnen und Bewohner israelischer Kibbuzim und kleiner Ortschaften in der Nähe des Gazastreifens, die am 7. Oktober begangen wurden. So sehen es nicht nur Erdan, sondern auch Außenminister Eli Cohen, der deswegen ein verabredetes Treffen mit Guterres absagte, Oppositionsführer Benny Gantz und mit ihnen vermutlich die Mehrheit der Israelis.

Aber was werfen sie dem UN-Generalsekretär wirklich vor? In einer Rede vor dem UN-Sicherheitsrat hatte Guterres nach einer »unmissverständlichen« Verurteilung der »schrecklichen und beispiellosen Terrorakte der Hamas« hinzugefügt, »dass die Angriffe der Hamas nicht in einem Vakuum geschehen sind«.

Das ist der entscheidende Punkt: Die israelische Regierung besteht darauf, die Voraussetzungen der Taten völlig zu ignorieren, palästinensische Widerstandskämpfer mit Tieren gleichzusetzen und im Ton religiöser Fanatiker einen »Krieg zwischen dem Licht und der Finsternis« zu proklamieren, wie es Verteidigungsminister Joaw Galant am 15. Oktober in einer Ansprache vor Soldaten tat.

Nicht nur rechtlich, sondern auch ethisch gilt jedoch: Verbrechen der Gegenseite sind kein Freibrief, sich bei »Vergeltungsschlägen« an keine Regeln mehr gebunden zu fühlen. Wie das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen, UNICEF, am Dienstag berichtete, wurden im Gazastreifen seit Beginn der israelischen Luftangriffe 2.360 Kinder getötet und 5.364 verletzt. Sie sind Opfer einer israelischen Kriegsstrategie, die erklärtermaßen darauf abzielt, auf lange Sicht Angst und Schrecken nicht nur unter den Palästinensern im abgeriegelten Gazastreifen und im besetzten Westjordanland, sondern unter allen Gegnern Israels zu verbreiten. Die volle Mitschuld trifft die westlichen Politiker, die die Leiden der Menschen im Gazastreifen als Ausübung eines übergeordneten israelischen Selbstverteidigungsrechts beschönigen.

Immer noch kein Abo?

Die junge Welt ist oft provokant, inhaltlich klar und immer ehrlich. Als einzige marxistische Tageszeitung Deutschlands beschäftigt sie sich mit den großen und drängendsten Fragen unserer Zeit: Wieso wird wieder aufgerüstet? Wer führt Krieg gegen wen? Wessen Interessen vertritt der Staat? Und wem nützen die aktuellen Herrschaftsverhältnisse? Kurz: Wem gehört die Welt? In Zeiten wie diesen, in denen sich der Meinungskorridor in der BRD immer weiter schließt, ist die junge Welt unersetzlich.

  • Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (26. Oktober 2023 um 09:52 Uhr)
    Nicht die jetzige Situation ist der Eklat, sondern, dass seit 1947 die UNO die Zweistaatenlösung nicht durchsetzen konnte!
  • Leserbrief von Rainer Kral aus Potsdam (26. Oktober 2023 um 09:49 Uhr)
    (…) Guterres hat recht, denn das, bereits seit der Vertreibung der arabischen Bevölkerung aus ihrer angestammten Heimat anhaltende Leiden, hat Israel zu verantworten. Die dauerhafte »Inhaftierung« der Vertriebenen in Lagern vor allem im Libanon und Jordanien, sowie im »Freiluftgefängnis« Gaza, die Diskriminierung und Unterdrückung, die illegale Besiedelung des Westjordanlands, die Rationierung und Vorenthaltung von Trinkwasser und die willkürliche Abholzung von Olivenhainen führen zwangsläufig zu Widerstand. Die Sabotage der Zweistaatenlösung durch Israel mit Duldung des Westens ist nur der Punkt auf das i. Dies alles jetzt mit Krokodilstränen zu betrauern, ist die blanke Heuchelei und eine unerträgliche Scheinheiligkeit. Dass sich die deutsche Politik einseitig auf die Position Israels schlägt, ist ein weiterer Tiefpunkt hiesiger Außenpolitik.
  • Leserbrief von Fred Buttkewitz aus Ulan - Ude (26. Oktober 2023 um 02:16 Uhr)
    »Die israelische Regierung besteht darauf, die Voraussetzungen der Taten völlig zu ignorieren.« Dazu hat sie auch allen Grund, nicht nur wegen der unzähligen Tötungen von unschuldigen palästinensischen Zivilisten seit 1948 (siehe Protestbrief Albert Einsteins und anderer prominenter jüdischer US-Bürger). Israel war es selbst, welches die Hamas finanzierte und gegen die gemäßigte Regierung von Gaza unterstütze. So wie die Taliban für die USA der Zauberlehrling gegen die UdSSR waren, war die Hamas der Zauberlehrling für Israel, den sie dann nicht mehr unter Kontrolle hatten. Der Oslo-Prozess einer Zwei-Staaten-Lösung sollte torpediert werden. Yitzhak Rabin: »Die Unterstützung und Schaffung der Hamas war Israels fataler Fehler.« Yitzhak Segev , ehemaliger Gaza-Kommandant, Brigadegeneral, NYT-Interview: »Die Regierung gab mir Geld für die Unterstützung der Islamisten in Gaza, um den wachsenden Einfluss der Fatah und der Kommunisten zu verhindern.« Deutsche Wikipedia: In einem Gespräch mit David Shipler, dem früheren Nahostkorrespondenten der New York Times, erzählte der damalige israelische Militärgouverneur des Gazastreifens, Brigadegeneral Yitzhak Segev, dass er die Hamas als Gegenspieler der PLO und der Kommunisten finanziell unterstützt habe: »Die israelische Regierung gab mir ein Budget, und die Militärregierung übergab sie an die Moscheen.« Shipler ergänzte im Jahr 2002: »Diese frühe Finanzierung säte die Saat von Hamas und anderen islamischen Bewegungen, die mit Terrorismus den israelisch-palästinensischen Friedensprozess untergruben.« Oberst David Hakam: »Israels Unterstützung für Extremisten wie Jassin (Gründer der Hamas) ist eine Erbsünde, aber damals dachte niemand an die Folgen.« Rabbi Avner Cohen, der 20 Jahre lang für religiöse Angelegenheiten in Gaza zuständig war: »Die Hamas ist zu meinem großen Bedauern eine Schöpfung Israels.« Diese Zitate und Zeugen dürften genügen, die bodenlose Verlogenheit der einseitigen Darstellung zu enthüllen.
    Das afghanische und das palestininensische Volk leiden schwer unter den Sanktionen westlicher Staaten unter dem Vorwand, Terroristen zu bekämpfen, welche eben diese Staaten erst herangezüchtet haben. Ohne die Einmischung des Westens in die ehemals neutrale Ukraine mit dem Ziel, sie zu einer Speerspitze und Basis für Stützpunkte gegen Russland umzufunktionieren, hätte es auch keinen Ukraine-Krieg gegeben. Alle drei waren für den Westen Mittel zum Zweck, die Taliban, die Hamas und auch die Neonaziverbände in der Ostukraine.
    • Leserbrief von Onlineabonnent/in Josie M. aus 38448 Wolfsburg (26. Oktober 2023 um 12:44 Uhr)
      Vielen Dank Fred Buttkewitz für diesen wirklich qualifizierten und unmissverständlichen Kommentar. – Bleibt vielleicht nur noch zu erwähnen, dass Israel natürlich nicht zufällig zu den wenigen Staaten gehört, die jedes Jahr gemeinsam mit den USA gegen die von der Mehrheit der UN-Versammlung geforderten Verurteilung der Verhängung der US-Wirtschafts-, Handels- und Finanzblockade über Kuba stimmen. Josie Michel-Brüning, Wolfsburg

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