Kein Freibrief
Von Knut Mellenthin
Die Vereinten Nationen haben es sich mit Israel verscherzt. Ihre Vertreter bekommen keine Einreisevisa mehr, teilte der israelische Botschafter bei der UNO in New York, Gilad Erdan, am Mittwoch mit. Als erstes habe es den Unter-Generalsekretär für Humanitäre Angelegenheiten, den britischen Diplomaten Martin Griffiths, getroffen, erzählte Erdan im israelischen Armeesender. Das passt gut, denn über humanitäre Angelegenheiten will man gegenwärtig und vermutlich auch in den kommenden Monaten in Jerusalem ohnehin nicht sprechen.
Israelische Regierungen verachten die UNO traditionell und sehen sich an deren Resolutionen grundsätzlich nicht gebunden. Aber was ist jetzt zusätzlich passiert, das zur generellen Visaverweigerung für Abgesandte der Weltorganisation geführt hat? UN-Generalsekretär António Guterres entschuldigt und rechtfertigt angeblich den Terror. Genauer gesagt: die verbrecherischen Handlungen bewaffneter Palästinenser gegen Bewohnerinnen und Bewohner israelischer Kibbuzim und kleiner Ortschaften in der Nähe des Gazastreifens, die am 7. Oktober begangen wurden. So sehen es nicht nur Erdan, sondern auch Außenminister Eli Cohen, der deswegen ein verabredetes Treffen mit Guterres absagte, Oppositionsführer Benny Gantz und mit ihnen vermutlich die Mehrheit der Israelis.
Aber was werfen sie dem UN-Generalsekretär wirklich vor? In einer Rede vor dem UN-Sicherheitsrat hatte Guterres nach einer »unmissverständlichen« Verurteilung der »schrecklichen und beispiellosen Terrorakte der Hamas« hinzugefügt, »dass die Angriffe der Hamas nicht in einem Vakuum geschehen sind«.
Das ist der entscheidende Punkt: Die israelische Regierung besteht darauf, die Voraussetzungen der Taten völlig zu ignorieren, palästinensische Widerstandskämpfer mit Tieren gleichzusetzen und im Ton religiöser Fanatiker einen »Krieg zwischen dem Licht und der Finsternis« zu proklamieren, wie es Verteidigungsminister Joaw Galant am 15. Oktober in einer Ansprache vor Soldaten tat.
Nicht nur rechtlich, sondern auch ethisch gilt jedoch: Verbrechen der Gegenseite sind kein Freibrief, sich bei »Vergeltungsschlägen« an keine Regeln mehr gebunden zu fühlen. Wie das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen, UNICEF, am Dienstag berichtete, wurden im Gazastreifen seit Beginn der israelischen Luftangriffe 2.360 Kinder getötet und 5.364 verletzt. Sie sind Opfer einer israelischen Kriegsstrategie, die erklärtermaßen darauf abzielt, auf lange Sicht Angst und Schrecken nicht nur unter den Palästinensern im abgeriegelten Gazastreifen und im besetzten Westjordanland, sondern unter allen Gegnern Israels zu verbreiten. Die volle Mitschuld trifft die westlichen Politiker, die die Leiden der Menschen im Gazastreifen als Ausübung eines übergeordneten israelischen Selbstverteidigungsrechts beschönigen.
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