»Sie hält den kalten Strukturwandel nicht auf«
Interview: Fabian Linder
Der Bundestag hat das »Krankenhaustransparenzgesetz« vergangene Woche beschlossen. Was passt Ihnen an dem Gesetz nicht?
Es ist eine Mogelpackung. Hier wird gesagt, die Patienten könnten sich besser entscheiden, wenn sie die Strukturen der Häuser genau kennen. Dazu soll es in Zukunft ein großes Datenportal geben. Das entscheidet, wo ich mich behandeln lassen kann und ob ein Krankenhaus bestimmte Leistungen anbietet. So suggeriert man, dass kleine Krankenhäuser mit weniger Leistungen von vornherein schlecht sind und große Krankenhäuser mit vielen Leistungen gut. Man versucht den Patienten dazu zubringen, sich für ein großes Krankenhaus zu entscheiden. Ein solches Portal muss aber beides zeigen, also was und in welcher Qualität es angeboten wird.
Weshalb sind Behandlungen in großen Krankenhäusern nicht automatisch besser?
Studien zeigen, dass kleinere Kliniken in der Fläche stationäre Routinebehandlungen oft deutlich besser machen können. Die großen konzentrieren sich auf Leistungen, die sich mehr lohnen oder für sie ein Alleinstellungsmerkmal darstellen, wo man tatsächlich besser als ein kleines Krankenhaus ist. Kleine Häuser haben oftmals nicht die Absicht, einen Patienten mit Herzinfarkt oder Schlaganfall lange zu behandeln. Hier ist die Erstaufnahme eine wichtige Funktion, insbesondere in Notfällen, wenn die Entfernungen groß sind. Wir brauchen eine entsprechende medizinische Arbeitsteilung zwischen kleinen und großen Krankenhäusern.
Sektorenübergreifende Gesundheitszentren einzurichten, bei denen nicht durchgängig ein Arzt anwesend ist, ist dagegen keine Lösung. Die Reform hält den kalten Strukturwandel nicht auf. Den Häusern fehlen jährlich gut zehn Milliarden Euro Betriebseinnahmen, um kostendeckend zu arbeiten. Die Vergütung nur umzugliedern hilft nichts. Die Krankenhäuser werden weiter schließen – und zwar beschleunigt. Wir erleben in diesem Jahr die bisher höchste Insolvenzrate.
Zur »Transparenz« gehört auch, Kliniken in Leistungsgruppen zu sortieren.
Damit wird versucht, Krankenhäuser zu reglementieren. Aufgrund von Strukturvorgaben für insgesamt 68 Leistungsgruppen sollen einige bestimmte Leistungen nicht mehr anbieten dürfen. Es wird allerdings nie darüber nachgedacht, ob in bestimmten ländlichen oder Grenzregionen Krankenhäuser fit gemacht und finanziell unterstützt werden müssen, damit sie Strukturmerkmale tatsächlich erreichen können.
Welche Konsequenzen dürfte die Reform insgesamt haben?
Man gräbt den kleinen Krankenhäusern bewusst das Wasser ab, auch wenn die Bundesregierung das immer bestreitet. Man möchte das knappe Personal auf weniger Krankenhäuser konzentrieren. Das ist ein absoluter Fehlschluss: Pflegekräfte in einer ländlichen Region werden nicht zwingend bereit sein, dem Arbeitsplatz in die Stadt oder in ein anderes Bundesland zu folgen. Hier wird über die Köpfe des Personals hinweg entschieden sowie über die der Patienten, die alle ein wohnortnahes Krankenhaus benötigen.
War Ihre Gruppe zum Gesetzentwurf angehört worden?
Lauterbach hatte uns im Juni 2022 im Beisein der Presse in Magdeburg versprochen, dass das Bündnis Klinikrettung mit anderen Verbänden in die Ausgestaltung einbezogen wird. Das hat er nie eingehalten. Nicht einmal die Deutsche Krankenhausgesellschaft und ihre Länderorganisationen sind gefragt worden. Die einzige Beteiligung besteht in der regelhaften Anhörung im Bundestag. Wir können also nur zusehen und Empfehlungen an die Bundesländer abgeben. Auf deren Zustimmung ist Lauterbach angewiesen. Und wir appellieren an das bayerische Gesundheitsministerium, das Transparenzgesetz auf Rechtmäßigkeit zu prüfen und notfalls zu klagen.
Und Sie zeigen Alternativen auf.
Wir fordern eine Selbstkostendeckung für die Krankenhäuser. Viele haben die Befürchtung, dass es damit zu einer Kostenexplosion kommt. Da es ohnehin zuwenig Personal gibt, ist das unwahrscheinlich. Durch die Fallpauschalen verbringen Ärzte und Pflegekräfte 15 Prozent ihrer Arbeitszeit mit der Dokumentation zur Abrechnung von Leistungen. Wenn wir dieses System abschaffen, würde der Mangel an Personal bereits geringer.
Klaus Emmerich engagiert sich in der Aktionsgruppe »Schluss mit Kliniksterben in Bayern«
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