»Das Verbot war politisch motiviert«
Interview: Jamal Iqrith
Das Pauschalverbot von propalästinensischen Demonstrationen in München verstößt gegen die Versammlungsfreiheit. Das hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof am Donnerstag entschieden. Dadurch konnte eine Versammlung wie geplant stattfinden. Wie hatte die Stadt das Demonstrationsverbot begründet?
Zum einen mit Vorfällen, die im Bundesgebiet passiert sein sollen, zum Beispiel in Berlin oder Hamburg. Dabei wurde allerdings nicht begründet, warum Ereignisse in anderen Städten den Anmelder der Versammlung am Donnerstag oder den Teilnehmerkreis betreffen sollten. Zum anderen wurde ganz allgemein mit dem Nahostkonflikt argumentiert. Die Stadt erwähnte einseitig Kriegsverbrechen oder vermeintliche Kriegsverbrechen der Hamas, verlor jedoch kein einziges Wort über die israelische Offensive, bei der Kriegsverbrechen begangen werden.
Das erschreckendste war, dass das Verbot sich darauf stütze, dass öffentlicher Protest das sittliche Empfinden der deutschen Bevölkerung stören würde. So heißt es in dem Bescheid, es falle vielen Menschen schwer, die »komplizierte Gesamtlage« richtig in den Kontext zu setzen und zwischen dem »legitimen Verweis auf das Leid der palästinensischen Zivilbevölkerung« und einer »Solidarisierung mit der Hamas oder Hisbollah« zu unterscheiden.
Sie haben gegen das Verbot ein Eilverfahren angestrebt und recht bekommen. Was ist Ihre Argumentation, die vom Gericht bestätigt wurde?
Wir haben argumentiert, dass bezüglich der konkreten Veranstaltung in München keine Hinweise vorlagen, dass es zu irgendwelchen Straftaten kommen würde. Außerdem gab es in der Vergangenheit bereits diverse friedliche Kundgebungen in München, bei denen es, wenn überhaupt, vereinzelt zu Straftaten gekommen ist. Drittens kann das sittliche Empfinden der deutschen Bevölkerung ganz sicher nicht dazu herhalten, sämtliche Versammlungen, die sich für ein Ende dieses Krieges aussprechen, zu verbieten.
Ist das Urteil rechtskräftig, und was bedeutet es für künftige Veranstaltungen in München?
Der Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs ist endgültig und rechtskräftig. Das betrifft auf den ersten Blick nur die Versammlung vom Donnerstag, ist aber wegen der Begründung für alle Versammlungen hier relevant. Die Stadt München hat ihre Verbotspraxis auch schon geändert. Am vergangenen Freitag konnte ohne eine Klage eine Demonstration in München zu dem Thema stattfinden. Die Gefahrenprognose der Stadt war von Anfang an haltlos.
Die Verbotspraxis war also rechtswidrig. Führt das zu Konsequenzen für die Stadt oder Sicherheitsbehörden?
Die Versammlungsbehörde hatte von sich aus kein pauschales Versammlungsverbot erlassen. Dies geschah erst, als Oberbürgermeister Dieter Reiter, SPD, am 12. Oktober angekündigt hatte, man werde hart durchgreifen. Das bedeutet, das Verbot war »auf Geheiß des Oberbürgermeisters« und damit von Anfang an politisch motiviert, es gab keine sicherheitsrechtlichen Gründe. Angesichts der aktuellen Stimmung in der BRD gehe ich nicht davon aus, dass es Konsequenzen geben wird.
Auch in Berlin gibt es aktuell faktisch ein Pauschalverbot für propalästinensische Kundgebungen. Welche Bedeutung hat das Münchener Urteil für andere Städte?
Es ist insofern wegweisend, als in vielen Städten versucht wurde, ohne längere Begründung alles, was irgendwie propalästinensisch ist, in einen Topf mit der Hamas und »Terrorunterstützung« zu werfen. Bei einzelnen Versammlungen bleibt aufgrund von früheren Erfahrungen ein Versammlungsverbot möglich, wenn es aus dem gleichen Teilnehmerkreis vorher zu Straftaten gekommen ist. Grundsätzlich hat der Bescheid aber wegweisende Funktion, weil er zeigt, dass sich auch die Versammlungsbehörden an Recht und Gesetz halten müssen.
Das Rufen von Parolen wie »From the River to the Sea, Palestine will be free« wird als Straftat verfolgt. Wie schätzen Sie das ein?
Diese Parole ist eindeutig von der Meinungsfreiheit gedeckt, was einzelne Amtsgerichte bereits bestätigt haben. Das Äußern dieses Satzes vor Gericht zu bringen, wird scheitern. Dass es sich dabei um Volksverhetzung handeln soll, halte ich für vollkommen abwegig.
Mathes Breuer ist Rechtsanwalt in München mit den Schwerpunkten Polizei-, Versammlungs- und Migrationsrecht
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Gottfried W. aus Berlin (23. Oktober 2023 um 20:29 Uhr)Danke für die vielen guten Klärungen. Danke auch für den Hinweis zur Parole. Die Idee eines freien Palästina auf dem Territorium der zwei Staaten geht von einem Staat für viele Religionen in einer freien Verfassung aus. Die Demokratiekonstruktion mit dauernder Besatzung ist in einer schweren Zeit. Landraub ist Thema, alles kommt hoch. Frau Asseburg von Stiftung WiPol hat sich sehr informiert geäußert.
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