NATO probt für Atomtod
Von Arnold Schölzel
Kriege und Krisen spitzen sich zu? Na und? Am Montag startete die NATO unbeirrt ihre jährliche Oktoberübung »Steadfast Noon«, bei der Atombombenabwürfe geprobt werden. Laut NATO nehmen daran bis Donnerstag nächster Woche bis zu 60 Flugzeuge teil. Darunter sind moderne Kampfjets, vermutlich auch die vom US-Typ F-35, aber auch Überwachungs- und Tankflugzeuge sowie Langstreckenbomber vom Typ B-52. Schauplatz ist in diesem Jahr insbesondere der Luftraum über Italien, Kroatien und dem Mittelmeer, teilnehmen werden 13 der 31 Bündnismitglieder, darunter Deutschland.
Bis 2019 teilte die NATO wenig über das Manöver mit, 2020 ging sie erstmals mit Informationen offiziell in die Öffentlichkeit. NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg erklärte wahrheitswidrig, die Übung sei »nicht gegen irgendein Land gerichtet«. Die damalige deutsche Kriegsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) hatte weniger Skrupel und drohte am 21. Oktober 2021 im Deutschlandfunk Russland mit einem Atomkrieg. Nach der neuen Einsatzplanung befragt, erklärte sie wörtlich: »Wir müssen Russland gegenüber sehr deutlich machen, dass wir am Ende – und das ist ja auch die Abschreckungsdoktrin – bereit sind, auch solche Mittel einzusetzen.« Das sei »der Kerngedanke der NATO«, das werde »angepasst auf das aktuelle Verhalten Russlands«. Zum Manöver 2023 legte nun Stoltenberg seine Hemmungen ab und erklärte, Russlands Krieg gegen die Ukraine sei eine Erinnerung an die wichtige Rolle der Atomwaffen für die Abschreckung. »Steadfast Noon« werde dazu beitragen, »Glaubwürdigkeit, Wirksamkeit und Sicherheit der nuklearen Abschreckung« zu gewährleisten.
Etwas Vernebelung muss aber sein. Also behauptete die NATO jetzt, dass »Steadfast Noon« keine Reaktion auf den russischen Angriffskrieg sei und keine scharfen Waffen zum Einsatz kämen. Die Übung sei eine routinemäßige Ausbildungsmaßnahme, die in mindestens 1.000 Kilometer Entfernung zu russischen Grenzen abgehalten werde. Details des Übungsszenarios blieben allerdings geheim. Nach Angaben von Militärexperten, so dpa am Montag, wird geübt, wie die in Westeuropa gelagerten US-Atomwaffen sicher aus unterirdischen Magazinen zu den Flugzeugen transportiert und unter die Kampfjets montiert werden. Die Übungsflüge finden angeblich ohne Bomben statt.
Die sogenannte nukleare Teilhabe der NATO sieht vor, dass in Europa stationierte Atomwaffen der USA im Krieg auch von Flugzeugen der Partnerstaaten abgeworfen werden. Rund 100 US-Atomwaffen liegen offiziell unbestätigten Angaben zufolge in Norditalien, der Türkei, Belgien sowie in den Niederlanden und im rheinland-pfälzischen Büchel. Die Bundeswehr beteiligte sich zuletzt unter anderem mit »Tornado«-Jets an den »Steadfast Noon«-Übungen. Laut Medienberichten stationierten die USA seit Dezember 2022 die ab 2012 entwickelten neuen Atombomben vom Typ B61-62. Im NATO-Jargon ist von »Modernisierung« die Rede. Die Waffe kann nicht nur wie ihre Vorgänger als ballistische Freifallbombe verwendet werden, sondern ist lenkfähig und gewährleistet höhere Präzision. Die Zielgenauigkeit soll 30 Meter betragen. Bis Januar 2024 wird die Zertifizierung neuer US-F-35-Kampfflugzeuge für die neuen Bomben trainiert und soll dann vorzeitig abgeschlossen werden. In Fachartikeln westlicher Militärexperten wird verkündet, die F-35A plus den neuen Atombomben B61-62 seien in der Lage, die moderne russische Luftabwehr zu überwinden und einen »begrenzten« Atomkrieg zu führen.
Immer noch kein Abo?
Die junge Welt ist oft provokant, inhaltlich klar und immer ehrlich. Als einzige marxistische Tageszeitung Deutschlands beschäftigt sie sich mit den großen und drängendsten Fragen unserer Zeit: Wieso wird wieder aufgerüstet? Wer führt Krieg gegen wen? Wessen Interessen vertritt der Staat? Und wem nützen die aktuellen Herrschaftsverhältnisse? Kurz: Wem gehört die Welt? In Zeiten wie diesen, in denen sich der Meinungskorridor in der BRD immer weiter schließt, ist die junge Welt unersetzlich.
-
Leserbrief von Sigurd von Stockert aus Nöthen (19. Oktober 2023 um 21:04 Uhr)Aus wissenschaftlicher Sicht sind die Fantastereien vom begrenzten nuklearen Krieg Ausdruck einer fortgeschrittenen Massenpsychose unter Uniformträgern. Der zitierte Major N. ist seinerzeit sicherlich nicht nach dieser Äußerung auf seinen Blutalkoholgehalt untersucht worden. Für jemand, der sich berufsmäßig mit Atomphysik befasst und während der Armeezeit im Bereich Hochfrequenz-Nachrichtentechnik tätig war, gibt es nur eine denkbare Anwendung für eine Kernwaffe. Die gezielte Explosion im Bereich der unteren Ionosphäre bedingt den sogenannten nuklear-elektromagnetischen Puls (NEMP), der im Bereich von Mikrosekunden solche Feldstärken erreicht, dass damit Halbleiter zerstört werden und damit sämtliche modernen elektronischen Gerätschaften ausfallen. Versuche mit Miniaturröhren zeigten zwar weniger Anfälligkeit wegen des anderen Prinzips der Elektronenleitung, sind aber für heutige digitale Steuer- und Auswertungslektronik, geschweige denn Computer, nicht zu gebrauchen. Der Effekt einer solchen Höhenexplosion würde die Satelliten auf der Stelle zerstören und zugleich am Boden sämtliche Nachrichteneinrichtungen unbrauchbar machen. Diese Gefahr wird nur unter Fachleuten diskutiert, weil sie den Nutzen von Kernwaffen schon im Ansatz verneint. Die »normalen« Explosionen dagegen kumulieren am Ende zur Unbewohnbarkeit der gesamten Erde. Die Zivilgesellschaft ist nicht zu schützen. Das hätte eigentlich der Major N. wissen müssen und ich frage mich ernstlich, wie weit dieser Mann überhaupt die nötigen Anforderungen als Offizier in der NVA der Deutschen Demokratischen Republik erfüllen konnte. Ich vermag in ihm weder eine allseits gebildete sozialistische Persönlichkeit zu erblicken, noch von einer hohen politischen Moral und Verantwortung sprechen. Dieses Subjekt hätte besser zur Bundeswehr gepasst. Denn in beiden Armeen war es unzweifelhaft, dass ein Krieg USA–UdSSR den Selbstmord ganz Deutschlands bedeutet hätte – und dies gilt auch noch heute.
-
Leserbrief von Onlineabonnent/in Joachim S. aus Letojanni (17. Oktober 2023 um 10:32 Uhr)Die Träumereien der NATO-Strategen von einem »begrenzten« und begrenzbaren Atomkrieg gibt es schon mehrere Jahrzehnte lang. Es hat sich nichts daran geändert, dass derlei Gewaltphantasien unweigerlich die unbegrenzte Katastrophe folgen würde. Denn die Vorstellungen von einem hundertprozentig wirksamen Enthauptungsschlag sind genauso irre wie die Vorstellung, der radioaktive Restmüll dieser Angriffe würde die Welt nur beim Gegner ruinieren. Diese Leute planen die Katastrophe nicht nur, sie bereiten sie unmittelbar vor. Wenn wir überleben wollen, müssen wir ihnen die Waffen aus der Hand schlagen, bevor sie auch nur in die Nähe des Abzugs kommen können.
-
Leserbrief von Onlineabonnent/in Stephan K. aus Neumarkt i.d.OPf. (17. Oktober 2023 um 10:14 Uhr)Sie wollen doch nur spielen … Einsetzen würde die Atombomben niemand, erzählen sie uns. Weder die Guten noch der Russe. Nicht mal der Russe und Oberschurke Putin. Wir sollten am 25. November in Berlin sehr, sehr viele werden. Bei der zentralen und hoffentlich größten Friedensdemo seit Jahren.
-
Leserbrief von Ullrich-Kurt Pfannschmidt (17. Oktober 2023 um 07:57 Uhr)Nachdem ich diesen Artikel gelesen habe, frage ich mich, wie sieht es denn seitens Russlands aus? Leider kein Wort hierzu. Vermutlich, weil die russische Seite mit ihren Manöverplänen, im Gegensatz zur NATO, nicht an die Öffentlichkeit geht. Aber es ist unwahrscheinlich, dass die russische Armee nicht auch alljährlich Übungen u. a. mit ihren Atomwaffen durchführt. Warum also diese Geheimhaltung? Klar, was keiner weiß, macht keinen heiß!
-
Leserbrief von A. Katz aus Berlin (17. Oktober 2023 um 11:36 Uhr)Ich habe bis 1983 bei den LSK/LV der NVA bei den Raketentruppen gedient und auch an scharfen Gefechtsschießen im kasachischen Asheluk teilgenommen. »Unvergessen« der Spruch unsres Politoffiziers Major N.: »Wenn es einen Atomkrieg gibt, dann gewinnen ›Wir‹ den!«
-
Leserbrief von Al Teich aus Berlin (17. Oktober 2023 um 17:54 Uhr)Ich möchte »Major N.« nicht zu nahe treten, er wurde in einer anderen Zeit sozialisiert. Aber es gibt Grund, skeptisch zu sein, ob ein Atomkrieg zu »gewinnen« ist … Zu befürchten ist, dass es tatsächlich auch heute einige Menschen gibt, die an so etwas glauben.
-
-
Dieser Artikel gehört zu folgenden Dossiers:
Ähnliche:
- Sputnik/Alexei Druzhinin/Kremlin via REUTERS08.07.2023
Warum der Krieg weitergeht
- Emmanuele Contini/imago24.05.2023
Im Schützengraben
- Belga/imago images22.10.2022
»Hier wird die Vorbereitung für einen Atomkrieg geprobt«