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Aus: Ausgabe vom 14.10.2023, Seite 3 (Beilage) / Wochenendbeilage

Pathetisch gesagt

Von Arnold Schölzel
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In der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung fragt der frühere Wirtschaftsredakteur des Blattes und jetzige freie Autor Rainer Hank: »Gründete der Kapitalismus auf dem Blut der Unterdrückten?« Das ist nicht direkt mit der Frage gleichzusetzen, warum Wasser nass ist oder sich die Bundesrepublik seit 1990 ununterbrochen mit Krieg befasst, kommt beidem aber nahe. Hanks Text wird mit den Sätzen eingeleitet: »Dass die Sklaverei zugleich eine Bedingung des Erfolgs des Kapitalismus gewesen sein könnte, war lange Zeit undenkbar und unerhört. Jetzt gibt es neue Forschung dazu.« Undenkbar ist fast nichts, vorstellbar alles, Gedanke und Vorstellung lassen sich leicht verwechseln. Unerhört wäre, Schweinereien mit der deutschen Industrie zusammenzubringen. Die war stets so sauber wie einst die Wehrmacht. Jedenfalls in bundesdeutschen Märchenstunden, genannt Geschichtsunterricht.

Nun gibt es also »neue Forschungen«. Alte Forscher, wie zum Beispiel den englischen Philosophen und Stammvater des Liberalismus John Locke (1632–1704), der die Gleichheit aller Menschen verkündete und die Sklaverei zugleich zwingend herleitete, weil sie nämlich ein Segen fürs Reichwerden war, muss ein deutscher Wirtschaftsjournalist nicht kennen. Liberalismus basiert auf Sklaverei? Das bleibt unvorstellbar und unerhört ohnehin. Hank findet immerhin »diese Verbrechen« wie Sklavenhandel und Sklaverei schlimm. Sei als »Denkmöglichkeit« in den Blick gekommen, dass sie auch »Bedingung des Erfolgs des Kapitalismus gewesen sein könnten«, sei bislang »ein Zusammenhang entweder geleugnet oder mit guten Argumenten ausgeschlossen« worden. Hank sollte zum Beispiel bei Locke Denkmöglichkeiten und vor allem über dessen Investitionen in den Sklavenhandel nachschlagen.

Laut Hank ist »die« Forschung schuld. Sie habe »heroische Kandidaten« zur Erklärung des Kapitalismuserfolgs ins Spiel gebracht. Sie kam nach ihm zum Ergebnis: »Gutes (Wohlstand für alle) kann nur von Gutem (Askese oder Ingenieurskunst) in die Welt kommen.« Wahrscheinlich gab es für solche Kapitalfrömmelei schon einen Nobelpreis. Jetzt aber, so Hank, habe sich der Wind in »der« Forschung gedreht. Eine besonders kluge Studie komme von den britischen Wirtschaftshistorikerinnen Maxine Berg und Pat Hudson. Sie vertreten demnach die Auffassung, »die Sklaverei habe entscheidend zur Entstehung des modernen Kapitalismus beigetragen. Ihre Belege sind triftig.« Großbritannien habe sich aber bisher »unschuldig« gefühlt, »weil zwischen der Heimat und den Kolonien Tausende von Seemeilen liegen und sich die Schuld verdrängen ließ.« Das leuchtet ein. Von den Verbrechen der Wehrmacht hat auch keiner was geahnt, weil die Ostfront so weit weg war.

»Die« Forschung, weiß Hank, habe »traditionell« mit dem Ende von Sklavenhandel (1807) und Sklaverei (1831) in Großbritannien den »Start der industriellen Revolution« angesetzt. Man sperrte nun eben Kinder in Fabriken, siehe »Das Kapital«. Immerhin steht für den Hobbyhistoriker fest: »Am heutigen Wohlstand des Westens klebt Blut, pathetisch gesagt. Doch die derzeit modische Kolonialismusforschung schießt weit über ihr Ziel hinaus.«

Die unpathetische Wahrheit nach Hank: »Der Kapitalismus beruht auf genialen Erfindungen und guten Rechtsinstitutionen (Eigentum, Vertragsfreiheit, Wettbewerb). Die Sklaverei hat das Wachstum und den wirtschaftlichen Fortschritt befeuert, aber sie hat den Wohlstand der Nationen nicht begründet.« Inmitten von allgegenwärtigem Trübsinn, Krise und Rezession schafft der Jubelfrankfurter Friede, Freude und Ruhe: »Der Kapitalismus basiert in seinem Kern auf Kreativität und Freiheit und nicht auf Zwang und Unterdrückung.« Außer in Tarifrunden, laufenden Kolonialkriegen etc.

Von den Verbrechen der Wehrmacht hat auch keiner was geahnt, weil die Ostfront so weit weg war.

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