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Aus: Ausgabe vom 14.10.2023, Seite 5 / Inland
Edeka, Rewe, Penny

»Wir sind unzufrieden«

Bundesweiter Aktionstag im Rahmen der Tarifrunde Handel. Berliner Kollegen schildern Zustände in Filialen
Von Susanne Knütter
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»Die meisten müssen ihr Geld zusammenhalten«: Streik im Einzelhandel am 2. Oktober in Chemnitz

Wussten Sie, dass der Lustgarten vor dem Berliner Dom einst bedeutender Versammlungsplatz der Arbeiterbewegung war? »Natürlich. Als Ossi weiß man so etwas.« Die Kollegin, die am Freitag zur Kundgebung der Berliner und Brandenburger Beschäftigten des Einzel- und Großhandels gekommen ist, arbeitete zu DDR-Zeiten im Centrum-Warenhaus am Ostbahnhof. Nach der »Wende« zunächst bei Reichelt, dann bei Edeka. Sie ist froh, dass sie nach dem Umbruch nicht einen Tag erwerbslos war, erläuterte sie im Gespräch mit jW. Trotzdem käme sie nach 41 Jahren als Bedienung an der Frischetheke derzeit nur auf 900 Euro Rente. Das liege auch an der Teilzeitbeschäftigung. In den 90er Jahren reduzierte sie ihr Stundenpensum – auch aus familiären Gründen, wie so viele Kolleginnen ihrer Edeka-Filiale in Britz. Sie würde für die letzten neun Jahre bis zur Rente die Stunden gern aufstocken. Fünf Anträge habe sie bereits gestellt. Bisher seien alle abgelehnt worden. Die Bewilligung werde von Umsatzsteigerungen abhängig gemacht, heiße es. »Aber mehr Umsatz in diesen Zeiten? Die meisten müssen ihr Geld zusammenhalten«, kritisiert die Edeka-Beschäftigte. So auch sie. Die Verkäuferin beteiligt sich an den Arbeitsniederlegungen im Einzelhandel vor allem mit Blick auf ihr Rentendasein.

Die Preissteigerungen im vergangenen und in diesem Jahr liegen im zweistelligen Bereich, sagte Verdi-Verhandlungsführerin für Berlin- und Brandenburg, Conny Weißbach, von der Bühne aus: »Der Preis für Quark ist um 50 Prozent gestiegen, Spaghetti sind 40 Prozent teurer.« Die Unternehmen hingegen machen satte Gewinne. Jede Kollegin und jeder Kollege im Handel erwirtschafte auch jetzt noch – nachdem die außerordentlich profitable Coronaphase rum ist – für die Unternehmen monatlich 800 Euro Gewinn, sagte Weißbach.

Dennoch werden die Beschäftigten im Großhandel bereits seit dem 1. Mai und im Einzelhandel seit dem 1. Juli hingehalten. Ende August waren die Tarifverhandlungen ohne ein neues Angebot der Unternehmen beendet worden. Das aktuelle wäre aus Sicht von Verdi ein Reallohnverlust für die Beschäftigten: 5,3 Prozent im Einzel- und 5,1 Prozent im Großhandel zum 1. Oktober. Einige Unternehmen zahlen bereits freiwillig 5,1 Prozent mehr. Aber die freiwillige Erhöhung, das betonten mehrere Redner am Freitag im Lustgarten, könne wieder rückgängig gemacht werden. Deshalb sei ein tarifvertraglich abgesichertes Ergebnis so wichtig. Dass es überhaupt zu »freiwilligen« Erhöhungen kam, sei bereits ein Erfolg der Arbeitsniederlegungen, so etwa Pascal Meiser von der Linkspartei in seinem Redebeitrag.

Einige Kollegen beteiligten sich nicht an den Arbeitsniederlegungen, weil sie befürchteten, dass der Konzern die erkämpften Lohnerhöhungen mit weiterem Personalabbau kompensieren könnte, erläuterten Kolleginnen einer Penny-Filiale in Berlin-Moabit im Gespräch mit jW. »Obwohl viele sehr unzufrieden sind«, sagte Marina Wilhelm. Sie arbeitet seit 25 Jahren in der Filiale in der Turmstraße. Was damals drei Kollegen geleistet hätten, müsse heute eine schaffen. Selbst vor zehn Jahren seien die Bedingungen noch besser gewesen. »Man hängt mit der Arbeit permanent hinterher«, ergänzte Frau Howe, die seit zwölf Jahren in der gleichen Filiale arbeitet.

Auch der Druck von seiten der Filialleitungen spielt eine Rolle. So etwa bei Rewe. »Streikende Kollegen müssten sich nicht mehr auf einen freien Samstag bewerben, heißt es«, sagte Christian R., der seit elf Jahren bei Rewe arbeitet und diese Woche das erste Mal an den Streiks im Einzelhandel teilnimmt, gegenüber jW. Mit einem weiteren Kollegen war er der einzige seiner Filiale bei der zentralen Kundgebung im Lustgarten. Tariflich stünden jedem zwei freie Samstage im Monat zu. Aufgrund der Personalsituation sei das real nicht mehr drin. Er selbst habe etwa einen freien Sonnabend im Quartal.

Trotz Schikanen seitens der Geschäftsführungen kämen immer wieder neue Streikende dazu, verkündete Gewerkschafterin Weißbach. Am Freitag versammelten sich im Lustgarten an die 1.000 Kollegen.

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