Läuft noch
Von Arnold Schölzel
Es kam, wie seit Wochen vorhergesagt. Das war bei einigen Wahlen zuletzt nicht so, und auch jetzt gab es Ausreißer: Die Hessen-CDU wuchs um fast acht Prozent, die AfD-Gewinne in beiden Ländern wurden unterschätzt. Beides hatten die Umfrageinstitute nicht auf dem Zettel. Die Ergebnisse besagen: Konservative und rechte Stimmungen und Überzeugungen, Protest in geringerem Maß, bestimmten in beiden Landtagswahlen die Mehrheiten. In Bayern ist das keine Überraschung. Mit CSU, Freien Wählern und AfD kämpften dort drei größere Parteien um dieses Lager. Sie kommen zusammen auf eine Zweidrittelmehrheit. Das erreichte die CSU in der Vergangenheit fast allein oder teilte es sich mit CSU-Ausgründungen wie den Republikanern. Heute sind die Freien Wähler in der CSU-Basis verankert. In Hessen, wo SPD und CDU vor 25 Jahren mit jeweils knapp 40 Prozent gleichauf lagen, kommen CDU und AfD jetzt auf eine absolute Mehrheit.
Die Bürgermedien halfen nach. Sie machten das Dreipunkteprogramm der AfD – Migranten, Migranten, Migranten – zu ihrem Hauptthema, oft mit falschen Zahlen. Musterfall war Friedrich Merz, der 300.000 Ausreisepflichtige halluzinierte, die Zahnersatz schneller erhalten als Deutsche. Der Hetze entsprach das Ergebnis – es ist ein Sieg der PR-Strategen. Mitten im Wahlkampf verschwand in Thüringen schon mal die »Brandmauer«. Das Signal lautet: Die AfD soll in der Bundesrepublik zur festen politischen Größe werden. Das schließt ein: Wartet noch eine Weile, dann holen wir euch ins Regierungsboot. Die AfD-Kovorsitzende Alice Weidel analysierte mit Blick darauf am Montag richtig: »Die AfD ist kein Ostphänomen mehr, sondern eine gesamtdeutsche Partei.« Es ist nur eine Frage der Zeit und der Zuspitzung von Krieg und Krise, bis die Blätter von Springer, Holtzbrinck, Funke-Medien oder andere Milliardärspostillen beginnen, Björn Höcke salonfähig zu machen.
Hilfreich für die AfD war, sie als unkalkulierbare Protestpartei finanziell Abgehängter darzustellen. Das war sie nie und versteht sich inzwischen als Steigbügelhalter für »Altparteien«. Dennoch wurde denen, die Wahlen für Denkzettel nutzen, mitgeteilt: Stimmen für die AfD regen »die da oben« auf. Klappt immer wieder.
Die Linke hat ihr Heil im Mainstream gesucht, genauer: In der Annäherung an imperialistische Kriegspolitik. Sie darf sich nicht wundern, dass sie auch mit deren Folgen identifiziert wird – von Teuerung bis Reallohnverlust und Massaker in sozialer und kultureller Infrastruktur.
Mit der Abwahl in Hessen verschwindet die Partei nicht nur nach 15 Jahren aus dem Parlament eines westdeutschen Flächenlandes. Es wird vermutlich den Anfang vom Ende der Partei insgesamt einleiten, zumal sich am Montag erneut zeigte: Die Parteiführung denkt erneut nicht daran, die Verantwortung für die Niederlage zu übernehmen oder gar eine Ursachenuntersuchung vorzunehmen. Einige Parteimitglieder scheinen diesen Wahlsonntag abgewartet zu haben, um den Bruch, der längst da ist, offenzulegen – in welcher Form auch immer. Dieser 8. Oktober wäre damit in mehrfacher Hinsicht ein Schlag für linke Kräfte in diesem Land insgesamt. Für die Partei bedeutet das Abwicklung und Lokalpolitik. Zur Freude besteht kein Anlass.
Ein Geheimnis bleibt, ob der Krieg bei der Stimmabgabe eine Rolle gespielt hat. Die enorme Unzufriedenheit mit der Bundesregierung spricht dafür, dass es so war und dass deren Waffenlieferwahn kritisch gesehen wird. Das Thema taucht aber in der veröffentlichten Meinung nicht auf. Bei Krieg ist Ruhe an der Heimatfront erste Pflicht im Überbau. Unzufriedenheit, so wurde wiedergegeben, erregen ausschließlich Murks und Nichtstun im Innern – vom versagenden Bildungswesen bis zu den Energiekosten. SPD und FDP zahlen dafür am meisten, Bündnis 90/Die Grünen leider nicht so viel, wie es die durchgeknallten antirussischen Menschenrechtskrieger verdient hätten.
Entscheidend war aber: Etwas ändern wollen die Wähler, die sich relativ stark beteiligten, in beiden Ländern nicht, sondern das Bekannte behalten. Erwünscht ist der gewohnte Gang, weil es in der Region noch so läuft – nur nicht in »Berlin«.
Bayern und Hessen beherbergen Zentren ökonomischer Macht, die weit über die Bundesrepublik hinaus reicht. Zusammen mit Baden-Württemberg repräsentieren beide Bundesländer eine Gesellschaft, in der gigantische Vermögen akkumuliert werden, ohne dass die statistisch gegebene soziale Ungleichheit sichtbare Formen annimmt – mit wenigen Ausnahmen: Bahnhofsviertel Frankfurt am Main oder wenige vernachlässigte Landkreise. Das prägt Mentalitäten. Die Konzentration von Kapitalmacht in diesen drei Bundesländern verschafft enorme Extraprofite und eine nicht nur eingebildete Überlegenheit gegenüber dem Rest der Bundesrepublik – Nordrhein-Westfalen ist seit langem nach hinten gerückt, im Norden gibt es mit Ausnahme von Milliardärs-Hamburg oder VW wenig globale Potenz, der Osten einschließlich Berlin ist aus solcher Perspektive nicht mehr als eine mit inzwischen zwei Billionen Euro subventionierte Immobilie mit überwiegend dubiosen, weil undankbaren Bewohnern.
Geld wird in Frankfurt am Main, in München und Stuttgart gemacht. Geld hat am Sonntag gewonnen. Und die Hoffnung, davon was abzubekommen.
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Leserbrief von Bernd Jacoby aus Wiesbaden (10. Oktober 2023 um 12:42 Uhr)Aus dem Kommentar von Arnold Schölzel in der jW und es ist zu unterstreichen: »Die AfD soll in der Bundesrepublik zur festen politischen Größe werden. … ein Schlag für linke Kräfte in diesem Land insgesamt und eine erneute Zäsur.« Hermann Schaus, Die Linke Hessen, laut Hessenschau: Am meisten zu schaffen machte Schaus nach eigener Aussage die Abwanderung von »10.000 Wählerinnen und Wählern von der Linken zur AfD«. Was Hessen betrifft: Am Samstag haben wir zusammen mit der Partei Die Linke Hessen in Wiesbaden gegen die AfD-Abschlusskundgebung demonstriert – alles gut und schön, auch recht machtvoll … aber! Schon Tage zuvor hatte ich in Facebook bei Die Linke Wiesbaden politische Fragen aufgeworfen, die Die Linke nach meiner Ansicht systematisch ignoriert und in der Person von Janine Wissler auch nach der Wahl wieder durch ein Hinweisen auf Demontage der Partei durch Wagenknecht übergeht. So hatte ich gefragt: »Ist das nicht wirklich seltsam: Die Unzufriedenen ›strömen‹ zur AfD, obwohl sie ja eigentlich der Linken ›gehören‹ könnten oder sollten, also laut Umfrage in Hessen 15 Prozent zur AfD und 4 Prozent zu Die Linke. Und unzufrieden sind sie mit allen möglichen Unsäglichkeiten und Zeitenwendezumutungen der übergreifend vorherrschenden Parteien Schwarz-Rot-Grün-Gelb. Und genau mit diesen Parteien Schwarz-Rot-Grün-Gelb demonstriert jetzt Die Linke ganz wertebasiert für Vielfalt, Akzeptanz und Weltoffenheit. Wo fängt da das eigene Nachdenken darüber an, was falsch laufen könnte? Oder wurde das an der Tür zum Landtag abgegeben, die man jetzt vielleicht von außen zumachen darf, wenn mehr Rechte ihren Platz im hessischen Landtag einnehmen könnten als jemals seit 1945? So plakativ wie im Wahlkampf und im Kampf der aufgeklärt Selbstgerechten gegen Rechts wird es nicht weitergehen. Die Demonstration am Samstag mag man unterstützen und die Stimmen, die Die Linke hier erntet, seien ihr gegönnt – wichtiger aber wäre es, der AfD-Stimmen der eigenen Wähler abzunehmen. Daran hapert es!«
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