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Aus: Ausgabe vom 09.10.2023, Seite 3 / Schwerpunkt
US-Gefängnisse

Menschenhass als Institution

USA: Symposium anlässlich Eröffnung von Mumia Abu-Jamals Knastarchiv beleuchtet System der Masseninhaftierung
Von Jürgen Heiser
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»Gefängnisse sind Konzentrationslager für Arme und Unterdrückte«: Protest in Philadelphia (23.4.2023)

»Hört auf, uns zu töten!« lautet die eindringliche Forderung von inhaftierten Frauen und Männern, von Demonstranten Ende September vor Philadelphias Rathaus getragen. Seit 2020 seien in den vier Gefängnissen der Stadt 46 Menschen zu Tode gekommen, so Workers World am 3. Oktober. Neunzig Prozent der Inhaftierten der Stadt seien People of Color ohne Urteil, von denen die meisten bis zu ihrem Prozess im Knast säßen, weil sie keine Kaution hinterlegen könnten. Reiche findet man äußerst selten in US-Haftanstalten, weshalb Workers World sie »Konzentrationslager für die Armen« nennt. Die Stadt ist nur eine von vielen in den USA, einem Land, das annähernd zwei Millionen seiner Bürger permanent einsperrt. Seit 1968 hat sich ihre Zahl verzehnfacht. Oft brachte sie polizeiliches Racial Profiling hinter Gitter. In den USA sind auch mehr Jugendliche als irgendwo sonst zu lebenslänglicher Haft verurteilt.

Systemischer Rassismus

Opfer des US-amerikanischen Gefängnissystems ist auch der Journalist und Ex-Black-Panther Mumia Abu-Jamal, der 1981 als 27jähriger durch einen Akt rassistischer Polizeigewalt schwerverletzt in Haft und wegen eines untergeschobenen Polizistenmordes im Todestrakt landete. Dass dieses Terrorurteil 2011 erst nach fast 30 Jahren zähen Ringens von einem US-Bundesgericht aufgehoben und in lebenslange Haft ohne Bewährung umgewandelt wurde, sagt alles über die US-Justiz, die Abu-Jamal nie Gerechtigkeit widerfahren ließ.

Doch der Bürgerrechtler ließ sich keinen Maulkorb anlegen. Er schrieb auch im Knast weiter und mischte sich mit seinen Kolumnen und Büchern ein gegen Krieg, Rassismus und Sexismus. Er inspirierte Junge und Alte und fand gerade an Hochschulen viel Unterstützung. So nahm sich die John Hay Library (JHL) der Brown University im US-Bundesstaat Rhode Island seines persönlichen Archivs aus 41 Jahren Haft an. Seit kurzem ist es der Grundstock einer Sondersammlung zum Forschungsprojekt Masseninhaftierung.

Zur Eröffnung der mit der Sammlung verbundenen Ausstellung fand unter dem Titel »Stimmen der Masseninhaftierung in den Vereinigten Staaten« vom 27. bis 29. September ein Symposium der JHL statt, organisiert mit dem feministischen Pembroke Center und dem Center for the Study of Slavery and Justice. Das Diskussionsforum »Die Auswirkungen der Polizeiarbeit auf das Gefängnissystem« machte deutlich, dass insbesondere die vom systemischen Rassismus geprägten Polizeimethoden die Knäste füllen. Und dass es letztlich Abu-Jamals journalistische Kritik an diesen Polizeistaatsmethoden war, weshalb er von reaktionären Polizei- und Justizkreisen als »Public Enemy« zum Schweigen gebracht werden sollte.

Das Publikum applaudierte, als die Veranstaltungsreihe mit einer aufgezeichneten Grußbotschaft Abu-Jamals begann. Er hieß die »lieben Freunde, Schwestern und Brüder und unsere nichtbinären Geschwister« willkommen und dankte allen dafür, »gemeinsam die Eröffnung der Archive bekanntzumachen«. Gefängnisse seien »von Menschenhand geschaffene Strukturen« und »von menschlicher Antipathie geprägt«. Die Archivierung der Hafterfahrungen unzähliger Betroffener gebe von nun »Einblick in diese Welt und in die lähmende Realität der Todestrakte«, so Abu-Jamal.

Hier knüpfte die Soziologin Nicole Gonzalez Van Cleve mit ihrem Beitrag über das »Mass Incarceration Lab« an. Gemeinsam mit Studierenden sichtet sie in diesem Projekt Briefe und andere Dokumente von Inhaftierten für das Archiv der JHL. »Wir sind überzeugt«, so Van Cleve, »dass man das System der Masseninhaftierung nicht verstehen kann, ohne die Stimmen der am stärksten Betroffenen in den Mittelpunkt zu stellen.« Die JHL bewahre als »erste Forschungsbibliothek in den USA das umfangreiche Archiv eines aktuell Inhaftierten« auf.

Moderne Sklaverei

Im Eröffnungsforum debattierte die Bürgerrechtsaktivistin Angela Davis mit der aus Paris per Video zugeschalteten Schriftstellerin Julia Wright und der Historikerin Johanna Fernández. Alle drei Frauen sind seit Jahren für die politischen Gefangenen aktiv. Zum Leitmotiv des »feministischen Kampfs für die Befreiung Mumias« erklärte Davis, die Abschaffung der Gefängnisse sei aus gutem Grund ein »feministisches Projekt«. Zwar seien die Gefangenen mehrheitlich Männer. Aber der Kampf gegen das Unrecht der Institution Knast sei »schon immer Frauenarbeit« gewesen. Als ehemalige politische Gefangene und anerkannte Stimme der Knastgegner kennt Davis beide Seiten.

Wright hatte sich zuletzt beim Besuch einer UN-Delegation in den USA für Abu-Jamal und alle politischen Gefangene eingesetzt. Fernández hatte nicht nur den Kontakt zur Brown University für Abu-Jamals Vorlass hergestellt. Sie stellte der JHL auch ihren eigenen umfangreichen Schriftwechsel mit Abu-Jamal und Dokumente ihrer Arbeit für seine Freilassung zur Verfügung.

Die Auseinandersetzung mit den Geschichten der Inhaftierten und ihrer Angehörigen könne helfen, »historische Muster von Ungerechtigkeit und Diskriminierung zu erkennen und zu durchbrechen«, sagte Davis. Die Entwicklung von der Sklaverei über die Bürgerrechtsbewegung bis hin zur Black-Lives-Matter-Bewegung zeige jedoch, dass sich die Unterdrückung fortsetze, »weil wir das Problem nicht wirklich lösen«. Wer glaubte, die Sklaverei sei abgeschafft, finde sie heute als Zwangsarbeit in den Gefängnissen wieder. Die Versklavung sei »in das Gewebe dieses Landes fest eingewirkt«. Deshalb sei es »unsere Aufgabe, Brüche zu schaffen«, forderte Davis. Und »denjenigen eine Stimme zu geben«, so Fernández, »die nicht selbst entscheiden können und deren Aufzeichnungen selten bewahrt wurden – bis jetzt«.

Mumia Abu-Jamal: Live beim Symposium

Willkommen zu einem Abend an der Brown University, an dem wir die Archive öffnen und damit eine neue Seite in der Geschichte aufschlagen. Ist es nicht erstaunlich, wie sehr Gender unsere Sprachen kodiert und dass wir uns dessen kaum bewusst sind? Wenn wir im Englischen an das Wort »Master« denken, stellen wir uns dann nicht unwillkürlich einen Mann vor? Der entsprechende weibliche Begriff »Mistress« ist jedoch nicht gleichbedeutend mit »Master«, denn traditionell dient eine Mistress dem Master.

Doch durch die Macht kultureller Veränderung können Worte die Fesseln der Tradition durchbrechen. Denken wir nur an Serena Williams auf dem Tennisplatz. Dort ist sie »Master of the Court«: Meisterin des Tennis Courts!

Auch in der heutigen Versammlung finden wir wahre Meisterinnen:
Dr. Angela Y. Davis: Als junge Frau drohte ihr in drei Anklagepunkten die Todesstrafe. Doch sie wurde freigesprochen, kehrte in ihren Beruf zurück und half bei der Gründung von Critical Resistance. Sie ist als feministische Knastgegnerin bekannt – eine Meisterin! (Beifall)

Pam Africa: Bekannt als »Ministerin für Konfrontation« der Organisation Move. Auch Knochenbrüche hinderten sie nicht daran, für die Freiheit zu kämpfen. Sie setzte die Herzen in Brand und gründete das Komitee »International Concerned Family and Friends of Mumia Abu-Jamal« – eine Meisterin im Organisieren!

Julia Wright: Dichterin, Schriftstellerin. Von ihrem Aufenthalt in Ghana während der Glanzzeit von Osageyfo Kwame Nkrumah über ihre kritische Unterstützung der Internationalen Sektion der Black Panther Party in Algier bis zu ihrer jahrelangen Unterstützung und Organisation der Mumia-Bewegung in Frankreich und ihrer heutigen Rolle als brillante, weise Wegweiserin für neue Generationen von Aktivisten – eine Meisterin! Eine Meisterin des Bonmots, des richtigen Wortes zur rechten Zeit!

Dr. Johanna Fernández: Die an der Columbia University ausgebildete Historikerin wurde für ihr erstes Buch über die puertoricanischen Revolutionäre der »Young Lords« von der »Organization of American History« ausgezeichnet – eine Meisterin!

Ich danke Ihnen allen und heiße Sie willkommen! (Beifall)

Übersetzung: Jürgen Heiser

Abu-Jamals Anruf während der Eröffnung des Symposiums über Masseninhaftierung am 27.9.2023; leicht gekürztes Transkript vom Mitschnitt des Forums »The Feminist Fight to Bring Mumia Home« auf dem Videokanal der John Hay Library/Brown University. Dort werden nach diesem auch alle anderen Veranstaltungsmitschnitte gepostet:

youtube.com/@brownlibrary/playlists

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