Rosa-Luxemburg-Konferenz am 13.01.2024
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Aus: Ausgabe vom 06.10.2023, Seite 7 / Ausland
Kontinuität des Faschismus

Wiederschlechtmachung

Der Pakt mit dem ukrainischen Faschismus und die Pervertierung der Aufarbeitung deutscher Vergangenheit
Von Susann Witt-Stahl
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Applaus für Ex-SS-Mann: Später gaben sie Russland die Schuld, ihren »Fehler« auszuschlachten (Ottawa, 22.9.2023)

Bei dem Skandal der Ehrung des ehemaligen SS-Angehörigen Jaroslaw Hunka durch den Premierminister und das Parlament Kanadas sowie den Präsidenten der Ukraine blieb ein schauriges Detail weitgehend unbeleuchtet: Die Botschafterin des Täterlandes, Sabine Sparwasser, hat an der Huldigung des aus der Ukraine stammenden Nazis, der sich 1943 freiwillig der Waffen-SS-Division »Galizien« angeschlossen und sich nach der Niederlage Hitlerdeutschlands nach Kanada abgesetzt hatte, teilgenommen.

Sparwasser hat als Vizesprecherin des Auswärtigen Amts unter Joseph Fischer (1999–2002) während der ersten Zeitenwende der Berliner Republik, als Deutschland erstmals nach 1945 wieder einen Angriffskrieg mit geführt hat, von ihrem Dienstherrn schon alle Regeln der Kunst ideologischer ­Instrumentalisierung der Opfer des Holocausts kennengelernt (der »grüne« Außenminister hatte die völkerrechtswidrige Bombardierung Serbiens »wegen Auschwitz« gefordert). Aber ihre Beihilfe zu dem – nur durch die beherzte Intervention des ukrainisch-kanadischen Politikwissenschaftlers Ivan Katchanovski, den Protest jüdischer Organisationen und wenige kritische Pressevertreter vereitelten – Versuch der Rehabilitierung und Würdigung eines Angehörigen der berüchtigtsten Massenmörderorganisation des »Dritten Reichs« indiziert, dass mit der zweiten Zeitenwende von 2022 auch eine neue Qualität der Vergangenheitsbewältigung beziehungsweise -nichtbewältigung erreicht ist.

Berlins Tabubruch

Wer Sparwassers katastrophalen – durch peinliche Ausflüchte notdürftig übertünchten – Auftritt wie auch die wiederholte Entrichtung des Faschistengrußes »Slawa Ukraini!«, der ukrainischen Variante von »Sieg Heil!«, durch den deutschen SPD-Kanzler, stets in Gegenwart der Weltpresse, noch als Bagatelle abtut, müsste spätestens jetzt wach werden. Denn in den Tagen, als die Welt wegen »Nazigate« nach Kanada schaute, belegten die Veröffentlichung einer parlamentarischen kleinen Anfrage der Bundestagsabgeordneten Sevim Dagdelen der Partei Die Linke sowie der Antworten der Ampelregierung, dass die politische Klasse Deutschlands endgültig den Rubikon zur Klitterung der Geschichte des Holocausts und des Vernichtungskriegs gegen die Sowjetunion überschritten hat.

Die Bundesregierung entgegnete beispielsweise auf die Frage nach ihrer Haltung zur Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN) sowie zu deren bewaffnetem Arm »Ukrainische Aufständische Armee« (UPA), die im Zweiten Weltkrieg zum Teil auch in der Waffen-SS und in »Schutzmannschaften« etc. kämpfte, Pogrome, Massaker und andere Greueltaten verübte: Sie mache sich die von der Fragestellerin vorgenommenen »rechtlichen Wertungen und Tatsachenbehauptungen, insbesondere hinsichtlich der pauschalen Einordnung bestimmter (historischer) Gruppierungen oder Personen als rechtsextrem, antisemitisch, antiziganistisch oder sonst rassistisch, ausdrücklich nicht zu eigen«. Darüber hinaus will die Bundesregierung »keine eigenen, über Medienberichte hinausgehenden Erkenntnisse« über die ukrainischen Nazikollaborateure haben – obwohl deren Verbrechen durch die Historiographie dokumentiert und bewiesen wurden. Nichts wissen will die deutsche Regierung auch davon, dass die ukrainische hohe Politik, das Militär, der Sicherheitsapparat, Wissenschaft und Kultur von Nazis und anderen Faschisten durchsetzt sind, die eine exzessive Huldigung des historischen Führers des »revolutionären« OUN-Flügels, Stepan Bandera, betreiben. Ein deutsches »Nazigate« – dieser Skandal bleibt jedoch von der Öffentlichkeit hierzulande unbeachtet, weil das Medienestablishment zum Influencer derer verkommen ist, die ihn verursacht haben.

Die von der Ampelregierung nun manifestierte indirekte Leugnung eines Teils der deutschen Nazivergangenheit ist ein gedächtnispolitischer Tabubruch; ebenso ihre verlogene Ahnungslosigkeit gegenüber der Ideologie und den Gewalttaten der ehemals engsten Verbündeten Hitlerdeutschlands. Er wird offenbar als notwendig im NATO-Stellvertreterkrieg gegen Russland erachtet, denn eine öffentliche Erinnerung an die Verbrechen der OUN würde das Licht der Aufklärung auf eine ungeheuerliche Kontinuität werfen, die um jeden Preis verschleiert werden soll: Mit der Aufrüstung von für Kiew kämpfenden Verbänden des in der Tradition der OUN und ihres Bandera-Flügels (OUN-B) stehenden »Rechten Sektors« und der »Asow«-Bewegung (das Symbol ihrer Brigade in der ukrainischen Armee ist nicht zufällig in Anlehnung an das Truppenabzeichen der SS-Sondereinheit Dirlewanger gestaltet) und der Ausbildung von Kriegern dieser und ähnlicher Nazihorden durch die Bundeswehr knüpft die Berliner Republik mit den Mitteln einer – mittlerweile invaliden – bürgerlichen Demokratie faktisch an die Bündnispolitik der deutschen Abwehr unter Wilhelm Canaris und des Reichsministeriums für die besetzten Ostgebiete unter Alfred Rosenberg an.

Der Grundstein dafür wurde bereits im Zweiten Weltkrieg gelegt, als Rosenberg 1943 angesichts der drohenden Niederlage durch die von ihm initiierte Gründung des »Committee of Subjugated Nations« in Schitomir den Weg für die Westintegration des ukrainischen Faschismus ebnete; die Organisation formierte sich 1946 in München neu, benannte sich in »Anti-Bolshevik Bloc of Nations« um und erhielt zunächst Unterstützung vom britischen Geheimdienst MI6. Vollzogen wurde das neue Bündnis mit der Rekrutierung der UPA als Stay-­behind-Terrorarmee gegen die Sowjetunion und später mit einem besonders von US-Präsident Ronald Reagan betriebenen politischen Empowerment der OUN-B etwa durch Aufnahme einiger ihrer Vertreter in das American Security Council, das den militärisch-industriellen Komplex der Vereinigten Staaten repräsentiert.

Freudscher Versprecher

Mit diesen historischen Kontinuitäten vertuscht die deutsche Regierung auch die Provenienz des Russenhasses, der, durch die NATO-Bindung des deutschen Imperialismus und wegen seines Nutzwerts im Kalten Krieg ideologisch legitimiert, in den westlichen Wertekanon eingepflegt wurde und heute wieder von der hohen Politik und den Medien geschürt und befeuert wird. Und zwar in seiner exzessiven Form, die nicht rational mit der nachvollziehbaren Wut auf Moskaus Invasion in die Ukraine und Kriegsverbrechen zu erklären ist: als wahnhafter Hass, der in Hitlerdeutschland seinen eliminatorischen Höhepunkt fand.

Wenn die Journalistin Anna Loll in einem Interview im Auftrag des ZDF die prorussischen Bewohner des Donbass vor laufender Kamera als »Untermenschen« bezeichnet (der Teil der Videoaufzeichnung mit dieser Aussage wurde nicht ausgestrahlt, aber von Unbekannten in den sozialen Netzwerken verbreitet), dann ist das mutmaßlich ein »Versprecher«, wie sie Monate später behauptet, aber ein Freudscher. Dazu neigen gewöhnlich Deutsche, die die Niederlage von 1945 als tiefe narzisstische Kränkung empfinden. Nicht zuletzt, weil diese Schmach von einem Feind beigebracht wurde, »dem man sich nach ›Rasse‹ und Kultur weit überlegen dünkte« – ein Umstand, der zu einer Abwehrhaltung gegenüber der Forderung nach Auseinandersetzung mit der Nazivergangenheit beiträgt, wie das Psychoanalytikerpaar Alexander und Margarete Mitscherlich in seiner berühmten Studie »Die Unfähigkeit zu trauern« von 1967 darlegte.

Nur so lässt sich auch die chauvinistische Entgleisung der Münchner Politikwissenschaftlerin Florence Gaub in einer »Markus Lanz«-Talkshow erklären: »Ich glaube, wir dürfen nicht vergessen, dass, auch wenn Russen europäisch aussehen, dass es keine Europäer sind, im kulturellen Sinne.« Ebenso der Totalaussetzer von Annalena Baerbock, die einige Monate vor ihrem Amtsantritt als Außenministerin der BRD in einem Interview mit der US-amerikanischen Denkfabrik Atlantic Council den Endkampf ihres Großvaters in Hitlers Wehrmacht gegen die heranrückende Rote Armee als wertvollen Beitrag für ein geeintes Europa lobpreiste. Einst in den finstersten Tiefen der Kollektivpsyche abgelagerte, aber nie überwundene nazistische Ideologeme finden im gegenwärtigen deutschen Zustand der durch das Bündnis der NATO mit dem ukrainischen Faschismus forcierten Verhetzung der Gesellschaft wieder zurück ins Bewusstsein – auch und vor allem in das der Propagandisten dieser verabscheuungswürdigen Allianz.

Geschichtsverlust

»Indem die westliche Welt als Einheit sich wesentlich durch die Abwehr der russischen Drohung bestimmt, sieht es so aus, als hätten die Sieger von 1945 das bewährte Bollwerk gegen den Bolschewismus nur aus Torheit zerstört, um es wenige Jahre danach wieder aufzubauen«, notierte Theodor W. Adorno 1959 unter dem Titel »Was bedeutet: Aufarbeitung der Vergangenheit«. Der verschriftlichte Vortrag stammt aus der »Wirtschaftswunder«-Zeit, in der eine ganze Reihe alter Nazis vorwiegend dank der US-amerikanischen Sieger nach einer wundersamen abrupten Bekehrung zu »Demokraten« schon längst eine zweite Karriere in der Regierung, den Parlamenten, im Militär und in den Geheimdiensten der BRD angetreten hatten und auf allen Ebenen zurück an die Hebel der Macht gelangt waren.

In seinem Text, der leider wiederholt in antikommunistische Totalitarismustheorie absackt, stellt Adorno auch Überlegungen zum grassierenden »Geschichtsverlust« und zur von Kulturindustrie kontaminierten »Geschichtsfremdheit des amerikanischen Bewusstseins, dem Schreckbild einer Menschheit ohne Erinnerung«, als unweigerliche Konsequenz des alle Verhältnisse dominierenden Verdinglichungsprozesses im fortgeschrittenen Kapitalismus an – basierend auf dessen Grundprinzip: »Die bürgerliche Gesellschaft steht universal unter dem Gesetz des Tauschs, des ›Gleich um Gleich‹ von Rechnungen, die aufgehen und bei denen eigentlich nichts zurückbleibt. Tausch ist dem eigenen Wesen nach etwas Zeitloses«, so Adorno. Das wusste auch der marxistische Dichter Erich Fried, als er das restaurative und revanchistische Wesen der Adenauerschen »Wiedergutmachung« und die perfide Ideologie des Begriffs – mit dem die Opfer des Naziterrors verhöhnt wurden, indem sogar ihr unermessliches Leid durch den Deal ›moralische Entlastung für das Täterland gegen Geld für die israelische Regierung‹ in den politischen Warenverkehr eingespeist wurde – entlarvte: »Die Wiedergutmachung kann eine geschickte Art sein, die Wiederschlechtmachung wieder gut einzuführen.«

Mit der Zeitenwende zum infernalen Pakt von Funktionseliten des deutschen Imperialismus und ihren Claqueuren mit den politischen Kindern und Enkeln von Hitlers ukrainischen Helfern, auf die die deutsche Reaktion ihre in Stalingrad vorerst erstarrten, mittlerweile aber reanimierten Wunschträume projiziert, ist ein vorläufiger Höhepunkt der »Wiederschlechtmachung« erreicht. Das verschafft bittere Gewissheiten zu der damals von Adorno aufgeworfenen Frage, wie der Nazismus in der BRD fortwirkt (ohne an der Macht zu sein): »Bis heute wissen wir nicht, ob er bloß als Gespenst dessen, was so monströs war, dass es am eigenen Tode noch nicht starb, oder ob es gar nicht erst zu Tode kam.« Seine einst häufig zitierte und heute weitgehend verdrängte Einschätzung – »Ich betrachte das Nachleben des Nationalsozialismus in der Demokratie als potentiell bedrohlicher denn das Nachleben faschistischer Tendenzen gegen die Demokratie« – hat sich als richtig erwiesen.

Adornos Diagnose, »dass die Aufarbeitung der Vergangenheit nicht gelang und zu ihrem Zerrbild, dem leeren und kalten Vergessen, ausartete«, muss im Zustand der Verdichtung faschistischer Elemente unter dem Deckmantel der »freiheitlich-demokratischen Grundordnung«, die von jenen mehr und mehr ausgehöhlt wird, radikalisiert werden: Die Aufarbeitung ist nicht nur gescheitert – sie ist zur Verklärung und ideologischen Ausschlachtung der Vergangenheit pervertiert und damit noch hinter den niedrigen Stand zurückgefallen, den sie zu Adornos Zeit erreicht hatte, als sie unentwegt von den alten Nazis unterminiert wurde. Das belegt zum Beispiel das Gewese von »deutscher Verantwortung«, wenn es darum geht, den Ukraine-Krieg mit immer mehr Waffenlieferungen an Kiew zu eskalieren und das Blutvergießen ins Unermessliche zu treiben; ebenso das Narrativ vom »Holodomor« als von der Sowjetunion verbrochenem »ersten Holocaust« (Außenministerin Baerbock bezeichnet ihn nicht zufällig als »Menschheitsverbrechen«). Solange man die Denkmäler für die ermordeten sowjetischen Kriegsgefangenen nicht einfach abräumen kann, erklärt man kurzerhand das Opferkollektiv des deutschen Vernichtungskriegs nachträglich zu Tätern.

Erinnerung als Akt der (Selbst-)Rettung

Das »leere und kalte Vergessen« ist in die Raison d’être der Berliner Republik eingegangen. Mit fatalen Folgen: Das Schrumpfen des Bewusstseins historischer Kontinuitäten in Deutschland, das Adorno schon seinerzeit beobachte, schreitet rapide fort. Der Verlust oder die ideologische Verzerrung der Erinnerung vergangener Katastrophen bedeutet Tilgung des Gedankens an die permanent bestehende Möglichkeit eines Rückfalls in die Barbarei – der so lange drohen wird, bis die falschen, die ausgebeutete Klasse in immer neue Blutvergießen treibenden Verhältnisse nicht umgeworfen worden sind.

»Ich will mich erinnern an alles, was man vergisst, denn ich kann mich nicht retten, ohne mich zu erinnern«, schrieb Erich Fried in einem Gedicht. Erinnerung als Akt der (Selbst-)Rettung zu begreifen, ein zentrales Motiv der Benjaminschen und anderer marxistischer Geschichtsphilosophie – das vor allem wollen die Herrschenden unterbinden. Wissen sie doch allzugenau, dass sie zu einer radikal emanzipatorischen Praxis drängt, die zukünftige Kriege und Massenschlächtereien zu verhindern trachtet. Solange die Linke als revolutionäres Kollektivsubjekt ausfällt – weil sie als Opposition in Paralyse verharrt, wenn sie nicht gerade mit den Kriegstreibern an einem Strang zieht –, müssen die vernünftigen und nicht korrumpierten Kräfte in ihren Reihen besonders in Deutschland zumindest der Forderung der Mitscherlichs als Stimme des aufgeklärten Bürgertums nachkommen: »Wir sollten aber wenigstens bis dahin gelangen, wo um die geschichtliche Wahrheit gerungen wird – und nicht um die effektivste Abwehr dieser Wahrheit.«

Der vorliegende Text ist dem aktuellen Newsletter der vom Verlag 8. Mai herausgegebenen Zeitschrift Melodie & Rhythmus entnommen.

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  • Leserbrief von Katrin Starke (7. Oktober 2023 um 16:42 Uhr)
    Sehr geehrte Frau Witt-Stahl, vielen Dank für Ihren aufklärerischen Beitrag. Der Hass gegen Russland, das russische Volk und die einstige Sowjetunion ist tief in der Psyche der westdeutschen Eliten verwurzelt. Er gilt den vermeintlich Minderwertigen und erscheint in den chauvinistischen Entgleisungen von Florence Gaub (»keine Europäer«) und Anna Loll (»Untermenschen«). Eine Erklärung liefert die Hegel-These vom Denken in alten Über- bzw. Unterordnungsverhältnissen von Herr und Knecht: »Die Behauptung der Ehre und Moral eines privilegierten Individuums bedeutet aus Sicht einer elitär-aristokratischen Weltanschauung, sie nicht nur ›ritterlich‹ zu verteidigen, sondern die Masse der gemeinen oder profanen Individuen zu demütigen und zu erniedrigen, um von ihnen die Anerkennung der Herrschaft zu erzwingen.« (Jens Schubert, Ein anderes ’68. Die Studentenunruhen in Leipzig 1768, Köln 2022, S. 565)
    Nach den eingeborenen Ostdeutschen, Andersdenkenden und Impfgegnern sind jetzt die Russen dazu freigegeben und jeder hierzulande eingeladen, sich auf Kosten jener eine höhere Moral zu verschaffen. Eine kritische Anmerkung zu Ihrem gelungenen Beitrag sei mir noch gestattet. Der Begriff »Täterland« für Deutschland wirft alle in einem Topf und relativiert dadurch die Untaten. Selbst die Rote Armee hat unterschieden zwischen dem deutschen Volk und den Hitlerfaschisten. Heinrich Fomferra, ein deutscher Antifaschist, der durch die Gestapo-Keller gegangen ist, spricht für die Opfer auf deutscher Seite, wenn er auf »die Frage, ob alle Deutschen gleich zu beurteilen seien«, antwortet: »Während mein Zellenkamerad zunächst außer mir alle Deutschen über einen Kamm scheren wollte, wies ich ihn immer darauf hin, dass es zweierlei Deutschland gab – eines der Faschisten und Monopolkapitalisten und eines der Antifaschisten.« (Heinrich Fomferra, Wie ich Politkommissar einer slowakischen Partisaneneinheit wurde, in: Heinz Voßke (Hg.), Im Kampf bewährt, Berlin 1969, S. 675-690, hier 682)
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Olaf M. aus München (6. Oktober 2023 um 10:13 Uhr)
    Leider hat Susann Witt-Stahl in ihrem hervorragenden Artikel noch nicht die Auslassung des Springer-Mediums »Politico« zu dem Thema verarbeitet (siehe https://www.politico.eu/article/fight-against-ussr-nazi-waffen-ss-trooper-yaroslav-hunka-world-war-ii-soviet-union-germany/). Darin wird dem Skandal der Nazieinhegung noch eins draufgesetzt. Hunka wird darin gerechtfertigt mit dem Titel »Fighting against the USSR didn’t necessarily make you a Nazi«. Weiter geht es mit den Worten (dt. Übersetzung): »Der kanadische Skandal um Hunka, ist eine Demonstration dessen, wie Geschichte kompliziert werden kann und zu einem Geschenk für jene Propagandisten, die den Reiz der Einfachheit nutzen.« Die Faschisierung Deutschlands schreitet mit Riesenschritten voran.
  • Leserbrief von Fred Buttkewitz aus Ulan - Ude (6. Oktober 2023 um 04:39 Uhr)
    Danke für diesen Artikel, der allerdings wenig Hoffnung für die Zukunft macht. Täter neigen eben eher zum Vergessen als Opfer. An einer einzigen Stelle bin ich beim Lesen gestolpert: »Und zwar in seiner exzessiven Form, die nicht rational mit der nachvollziehbaren Wut auf Moskaus Invasion in die Ukraine und Kriegsverbrechen zu erklären ist«. Mir ist natürlich klar, dass es Kriegsverbrechen auf beiden Seiten gibt, einfach auf Grund der Zusammensetzung der menschlichen Gesellschaft, etwa wie die Kriminalität im Alltag des Zivillebens. Warum sollte es im Krieg besser sein als zu Friedenszeiten? Mich würde jedoch bei der immer währenden Behauptung russischer Kriegsverbrechen die Beantwortung folgender Fragen interessieren: 1. Handelt es sich um Behauptungen der ukrainischen Seite oder liegen international geprüfte Beweise vor? Beispielsweise belegen die einzigen, von westlichen Ärzten durchgeführten forensischen Untersuchungen der Leichen am Straßenrand von Butcha, dass sich in ihnen unzählige Granatspiltter befanden, sie daher höchstwahrscheinlich aus der Zeit stammen, als die russisch besetzte Stadt noch von der Ukraine beschossen wurde. Man hat die Toten im Stil des »Senders Gleiwitz« zu Propagandazwecken ausgelegt, um die Friedensgespräche in der Türkei absagen zu können, auf Rat Londons. Es gibt keinen Beweis, dass es die Russen waren, aber noch einige weitere Anhaltspunkte, dass der Tod der Opfer den Ukrainern zugeschrieben werden muss. In die gleiche Kategorie fallen der Beschuss von Kramatorsk sowie des unlängst beschossenen Marktes, die Beschädigung des Staudammes usw. 2. Handelt es sich bei den Kriegsverbrechen um Ausnahmefälle und Taten einzelner Personen in Eigeninitiative oder wurden sie von der Regierung in Moskau angeordnet wie der tägliche Beschuss der Zivilbevölkerung in Donezk durch Kiew seit 2014? Erst nach Beantwortung dieser zwei Fragen kann von »Moskaus Kriegsverbrechen« die Rede sein, nicht vorher. Moskau ist nicht = Kiew.
  • Leserbrief von Johannes Paul aus Mering (5. Oktober 2023 um 21:22 Uhr)
    Der Nationalsozialismus in Deutschland war eine Volksgemeinschaft, die auf weiteste Unterstützung der Bevölkerung bauen konnte. Es war weniger eine Diktatur gegen ein Volk als Opfer, viele waren sehr involviert in das Geschehen. Und natürlich war die Ideologie antisemitisch. NS-Deutschland war eine antisemitische Volksgemeinschaft und keine Vorherrschaft einer kleinen Gruppe bürgerlicher Faschisten. Nochmal die Psychoanalytiker Alexander und Margarete Mitscherlich in ihrem Aufsatz »Die Unfähigkeit zu trauern« von 1967: »Verdrängte Schuld zeitige immer wieder Rachegefühle (…) Anstatt sich der Scham und der Depression, die sicherlich gefolgt wäre, auszusetzen, hat die Mehrheit der Deutschen so getan, als hätte es das dritte Reich nie gegeben. Doch in Ermangelung der nötigen Trauerarbeit habe eine echte Trennung vom Objekt der Anbetung nie gegeben (…) Die Geschichte wiederholt sich nicht, und doch verwirklicht sich in ihr ein Wiederholungszwang, solange eine Auseinandersetzung mit traumatischen historischen Ereignissen nicht zu einer Bewusstseinsveränderung führt.« Von einer »Bewusstseinsveränderung« sind wir heute mehr denn je entfernt, wie der Artikel sehr anschaulich darlegt.
    • Leserbrief von Onlineabonnent/in Joachim S. aus Berlin (6. Oktober 2023 um 13:50 Uhr)
      Gab es da nicht einen kleinen Unterschied zwischen den beiden deutschen Staaten und ihrem Bemühen um Bewusstseinsveränderung?

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