Es darf direkt sein
Von Peter Michel
Der Umgang mit Künstlernachlässen ist oft problematisch. Museen, die vormals ganze Erbschaften übernehmen konnten, sind dazu heute meist nicht mehr in der Lage. Vereine und andere Zusammenschlüsse versuchen zu bewahren, was zu bewahren ist. Kunstarchive, die früher wertvolle Nachlässe aufnehmen konnten, stoßen seit einiger Zeit an ihre Grenzen. Stiftungen zur Nachlasspflege – wie im Fall von Ronald Paris – werden eher selten gegründet. Den Hinterbliebenen bleibt oft nur die Entscheidung, die Kunstwerke selbst aufzubewahren oder dem Kunsthandel zu überlassen. So bleiben die Konvolute nicht erhalten, sondern werden verstreut. Nachlässe verschwinden auf Dachböden oder in anderen ungeeigneten Räumen und werden erst nach langer Zeit und in restaurierungsbedürftigem Zustand wiederentdeckt. Manches erhaltenswerte Kunstwerk wurde schon auf der Müllhalde entsorgt; und es gibt Maler, die ihre Bilder in einem Verzweiflungsakt selbst verbrennen.
Man muss die Frage stellen, wie ernst es die BRD mit ihrem kulturellen Erbe nimmt. Das ist kein Nebenschauplatz, sondern ein wichtiges Betätigungsfeld, wenn es um anspruchsvolle Kunst geht. Bundeseinheitliche Regelungen existieren nicht. Angeregt durch eine Werkstattagung in Potsdam, gibt es seit 2015 einen »Bundesverband Künstlernachlässe« (BKN), der aus Mitgliedsbeiträgen und Spenden finanziert wird und durch den die regionalen Bemühungen in den einzelnen Bundesländern auf eine bundespolitische Ebene gehoben werden. 2010/11 wurde die Initiative »Private Künstlernachlässe im Land Brandenburg« gegründet. Sie entschied sich für den digitalen Weg der Erfassung. Bei privaten Nachlässen gibt es also keine Besitz- oder Ortsveränderung, doch die Werke werden im Internet einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht.
Eine solche Datenbank würdigt seit August 2023 Leben und Werk des Bildhauers Heinz Worner, der schon vor der »Wende« in Vergessenheit zu geraten drohte. Sein politisches und künstlerisches Erbe ist nun für jedermann einsehbar. Die Webseite wurde von Liane Burkhardt, Thomas Kumlehn und Denise Richardt (Werkfotos) erarbeitet und geht weit über das hinaus, was bisher etwa im Lexikon »Künstler in der DDR« oder auf Wikipedia zu erfahren war. Heinz Worner wurde am 12. Dezember 1910 in Berlin geboren und starb dort am 7. März 2008. Der Nachlass befindet sich in der Uckermark. 2011 nahm seine Familie Verbindung mit der Initiative auf.
Sein gesamtes Leben hindurch war Worner den kommunistischen Idealen verpflichtet. 1931 fuhr er mit einer Delegation des »Arbeitersportvereins Fichte« in die Sowjetunion, trat im selben Jahr in die KPD ein und wurde 1933 durch die Gestapo verhaftet. Sechs Wochen verbrachte er im berüchtigten Berliner KZ »Columbiahaus« und in der Prinz-Albrecht-Straße. Von 1934 bis 1937 arbeitete er in der »Ateliergemeinschaft Klosterstraße«, zu der auch Käthe Kollwitz, Hermann Blumenthal, Werner Heldt und andere bekannte Bildhauer und Maler gehörten. Sein Atelier wurde zum Anlaufpunkt für illegale Kuriere. Als die Gefahr erneuter Verhaftung immer stärker wurde, floh er nach Prag und gründete dort mit Theo Balden und anderen Künstlern den »Oskar-Kokoschka-Bund«. Von Prag aus beteiligte er sich an der antifaschistischen Grenzarbeit im Riesengebirge und hielt sich 1938 im Auftrag der KPD illegal in Berlin auf. Als die Tschechoslowakei 1939 von der deutschen Wehrmacht besetzt wurde, floh er zunächst nach London, arbeitete bis 1940 in Nordirland und wurde als »feindlicher Ausländer« in ein kanadisches Internierungslager gebracht, wo er u. a. mit dem Bildhauer und Maler René Graetz zusammentraf. Beide kehrten 1941 nach England zurück und engagierten sich im »Freien Deutschen Kulturbund«. In dieser Zeit arbeitete Heinz Worner weiter künstlerisch und organisierte Ausstellungen. Im September 1946 war er wieder in Berlin.
All das sowie sein Engagement im Nachkriegsdeutschland und in der DDR stellt die Datenbank ausführlich, mit akribischer Genauigkeit dar. 67 Werke, meist Porträtplastiken, sind mit entsprechenden Informationen zu sehen. Eine Liste umfasst mehr als 50 Personal- und Gemeinschaftsausstellungen – von der ersten 1941 in Kanada bis zur vorläufig letzten 2017 in Berlin. Es gibt eine umfangreiche Übersicht mit Publikationen, Katalogen, Selbstzeugnissen, eigenen Artikeln und anderem Schriftgut. Fotos zeigen ihn während seiner Arbeit in London (u. a. mit John Heartfield) und Berlin. Man erkennt, wie gern er mit Kindern arbeitete. Ein von Worner selbst angefertigtes Foto zeigt einen Blick aus dem Fenster seines Arbeitsraumes in der Ateliergemeinschaft Klosterstraße. Diese Datenbank öffnet zugleich den Zugang zu weiteren Nachlass- und Werkverzeichnissen zahlreicher Künstler, z. B. von Werner Stötzer, Kurt Robbel und Claus-Lutz Gaedicke, so dass sie zu einem unverzichtbaren Arbeitsmittel für die kunstwissenschaftliche Forschung wird.
Heinz Worners Kunst erwuchs aus seiner Überzeugung und seiner klaren Sicht auf die Wirklichkeit. Sie ist sehr direkt, verzichtet auf Verschlüsselungen oder mythologische Bezüge. Die Achtung des bildhauerischen Handwerks und ein didaktisches Anliegen bilden eine Einheit. Worners Arbeiten für den öffentlichen Raum in Berlin – etwa am Kollwitzplatz, am ehemaligen Jüdischen Säuglings- und Kinderheim in Niederschönhausen, in Köpenick oder in der Karl-Marx-Allee – legen Zeugnis davon ab.
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