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Aus: Ausgabe vom 02.10.2023, Seite 11 / Feuilleton
Kunst

Kunst als Waffe

Wider den Ungeist: Ein Bildband über das Gesamtwerk des Münchner Künstlers Günter Wangerin
Von Nick Brauns
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Günter Wangerin: Filzläuse und andere Leute (Installation, 2020)

Des öfteren musste sich Günter Wangerin anhören, seine Kunst sei nur Agitprop. Was als Vorwurf gemeint ist, empfindet der Münchner als Lob. Schließlich sieht er sich damit in guter Gesellschaft mit Bert Brecht. Entsprechend lautet der Untertitel des nun im Verlag Das freie Buch erschienenen Bildbandes »Kunst in Zeiten der Barbarei«, der das Lebenswerk des 1945 Geborenen versammelt, nur scheinbar bescheiden »Versuche«.

»Brecht statt Strauß« war das ­Motto, als 1980 in einer großangelegten Theaterinszenierung Hunderte Laiendarsteller mit Dutzenden Lastwagen dessen Gedicht »Der anachronistische Zug oder Freiheit und Democracy« bundesweit auf die Straßen brachten. Hintergrund der spektakulären Aktion war die Kanzlerkandidatur des CSU-Vorsitzenden Franz Josef Strauß, der sich an der Spitze einer bis zur faschistischen Rechten reichenden nationalen Sammlungsbewegung als »Retter des Vaterlandes« vor der »roten Gefahr« präsentierte. Wangerin, der in der 68er Studentenbewegung politisiert wurde und ebenso wie der Regisseur des Stückes, Thomas Schmitz-Bender, dem Arbeiterbund für den Wiederaufbau der KPD angehörte, hatte die Masken für dieses Straßentheater gefertigt. Karikaturenhaft dargestellt wurden etwa CDU-Politiker mit Nazivergangenheit wie Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger und der baden-württembergische CDU-Ministerpräsident Hans Karl Filbinger, der noch in den letzten Kriegstagen als Militärrichter Todesurteile ausgesprochen hatte.

Das Maskengießen aus flüssigem Naturkautschuk hatte der gelernte Mediziner Wangerin in der Kaschierabteilung des Berliner Ensembles gelernt – Brecht-Tochter Hanne Hiob hatte den Kontakt nach Ostberlin vermittelt. Masken sind es auch, mit denen Wangerin als politischer Aktionskünstler in den folgenden Jahrzehnten immer wieder die Provokation suchte. Etwa, wenn er sich in der Maske von Verteidigungsminister Peter Struck, der die deutsche Freiheit am Hindukusch verteidigt sah, bei einer Trauerfeier für in Afghanistan gefallene Bundeswehrsoldaten vor der Münchner Feldherrnhalle unter die Gäste mischte. Oder als Bundespräsident Joachim Gauck maskiert bei einer Rekrutenvereidigung die Soldaten mit »Hab acht!« geradestehen ließ.

Dass solche Auftritte des bis in jüngste Zeit rührigen Aktivisten schon mal handgreiflich von Polizei oder Feldjägern beendet wurden und ein juristisches Nachspiel hatten, kann angesichts der aufs Korn genommenen bundesdeutschen Zustände nicht verwundern. Es erscheint vielmehr als einkalkulierter Teil der Performance, die ihre Fortsetzung im Gerichtssaal fand.

Im NSU-Prozess war Wangerin als Zeichner akkreditiert – vor dem Gerichtsgebäude protestierte er verkleidet als Richter mit Klappe über dem rechten Auge gegen die Verharmlosung von Naziterroristen als »Einzeltäter«. Braune Kontinuitätslinien in der BRD und der Umgang mit alten und neuen Nazis sind ein durchgehendes Thema der seit den 60er Jahren von Wangerin gefertigten Karikaturen, Collagen, Plakate, Gemälde und Skulpturen. Daneben geht es in seinem Werk um Militarismus und deutsche Großmachtpolitik, um die Verbindung von Kapital und Regierung, um Rassismus und Flüchtlingspolitik. Der von der Münchner Linke-Städträtin Brigitte Wolf und dem Bildhauer und Historiker Günther Gerstenberg herausgegebene Bildband dokumentiert so nicht nur das künstlerische und politische Wirken Wangerins, er spiegelt zugleich sechs Jahrzehnte bundesrepublikanischer Wirklichkeit aus der Sicht eines engagierten linken Künstlers wider. »Wer gegenständlich malt, weil sich mit diesem Genre scheinbar leichter gewisse Zustände und Personen darstellen lassen, gerät in diesem Land leicht in den Ruch des tendenziösen Kommentators, der eigentlich etwas ganz anders will als malen. Umsturz, gar Revolution«, schreibt Wangerin, um freimütig zu bekennen: »Ich gehöre zu diesen Gesellen.«

Günter Wangerin: Kunst in Zeiten der Barbarei. Versuche. Hrsg. von Brigitte Wolf und Günther Gerstenberg. München 2023, Verlag Das freie Buch, 164 Seiten, 24,90 Euro

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