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Aus: Ausgabe vom 30.09.2023, Seite 10 / Feuilleton
Rock

Der kakophone Haken an der Sache

Für Pubertäre und Nichtpubertäre allen Alters: »Confessions of the Fallen« von Staind
Von Ken Merten
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Zorn auf die Maschine: Staind

Weihnachten 2002: Ich bekomme, rausgerechnet Kindermusik, auf Wunsch mit der »Bravo Nu Rock« meine erste CD, und eine bessere hätte es damals nicht gegeben. Eine Platte voller Schmankerl: »In the End« von Linkin Park, Papa Roachs »She Loves Me Not« oder der Song, an den man sich nur noch am Rande erinnert, wenn man an Hoobastank denkt: »Crawling in the Dark«. Alien Ant Farms Cover von »Smooth Criminal« (Michael Jackson) war nicht drauf, aber das kennen ja eh alle. Statt dessen wurde hier der echte Diamant der Band eingefasst: »Attitude«. Natürlich auch Schmarrn: »It’s What We’re All About« von Sum 41 ist ein falsches Bekenntnis zu lobotomisiertem Dämlacksrock. Aber »Used for Glue« von Rival Schools, »Boom« von P. O. D. und, ja, auch »Too Bad« der gar nicht mal so schlechten jungen Nickelback machten das wett.

Und natürlich: »Outside« von Staind, von ihrem dritten Album »Break the Cycle«, einer kleinen Schatztruhe, die bei Öffnung viel vom popmusikalischen Zeitgeist zu Anfang dieses Jahrtausends preisgibt. Grunge hatte die Grunger aufgefressen und wurde Museumsgegenstand, an dem sich einige für die heikle Angelegenheit namens Alternative Rock schulten. Heikel, weil diese Art der Aufhebung meist nicht auf das Feilen am Erzeugnis abzielte, sondern auf die Vermarktung des Produkts, und Bands wie oben genannte Mobbingopfer namens Nickelback oder die dann doch interessant gebliebenen Foo Fighters den Umzug vom Punkschuppen ins Stadion abschlossen.

Auch der Metal hatte Krisenjahre hinter sich: Er legte sich in den 80ern und 90ern zwar mehr Nischen zu (Thrash, Death, Black), die an der Oberfläche wie auf Luftmatratzen in Platinpools Schwimmenden, allen voran Metallica, machten jedoch auf möglichst marktkonform, heißt hier: öde. Was sich Anfang der 2000er allerdings etablierte, gärte längst und drückte sich früh in Hybriden wie Cypress Hill oder Body Count aus: Das Amalgam aus HipHop und Metal gelang, nachdem sich frühe Versuche noch nach Zwangskreuzungen zweier Hartschalenspezies angehört hatten.

Staind wiederum schmissen sich in die Lücke zwischen Postgrunge respektive Alternative und dem in seine kurze Klassikära getretenen Nu Metal. Aus Kalkül oder Verzweiflung? Wohl beides. Das Moll der tiefgestimmten Gitarren, aus der, von Tom Morello abgeschaut, immer wieder kakophone, aber präzis plazierte Haken schlagen, vermittelt eine Restwut, der Zorn auf die Maschine ist noch da, bekommt aber merklich die Blässe von Erinnerungen. Nichts, mit dem man in den Wettstreit tritt, wer den härtesten und krankesten Nu Metal draufhat; zumal Sänger Aaron Lewis zwar knapp noch passabel Shouten kann, sonst einen wunderwarmen Bass singt, aber gerapt hat er noch nie.

Mit »Outside« oder »It’s Been ­Awhile« sind dann eben auch teilakustische Stücke sanftmütiger Resignation die bekanntesten der Band, die sich rar gemacht hat und nun, nach zwölf Jahren ohne Studioalbum, mit »Confessions of the Fallen«, ihren achten Langspieler vorlegt. Eine Publikationsscheu, die anderen gut stände, die ihren alten Stiefel weiterfahren, auch wenn der nur noch ein löchriger Lederlappen ist – Grüße gehen hier raus an die britischen Spätgrunger Bush, die nach ihrer Arbeit an Großem wie »Everything Zen« und »Glyce­rine« (1995) eigentlich ein paar Jahrhunderte verdientermaßen Pause machen sollten.

»Confessions of the Fallen« zeigt schon mit dem ersten Song, dass es nicht vom vorangegangenen Werk abfällt: »Lowest in Me« ist der Song für Pubertäre allen Alters, die sich nur dazu durchringen können, schlecht von sich zu reden, wenn sie gleichsam das Gegenüber dafür verantwortlich machen können: »You bring out the lowest that I have in me.« Gesäuselt und gezupft wäre das schnöder Kitsch und Hymne aufs Gaslighting. Mit schweren Riffs, die sich zwischen Strophe und Refrain fräsen, entsteht aber die Reibung, die erahnen lässt, dass hier nicht unbedingt von der Warte des Manipulators ausgegangen wird, sondern vielleicht vom Manipulierten, der beklagt, wieviel Gift da mutwillig in ihn hineingepumpt wurde. Das Ungenaue konkretisiert hier: Manchmal sind im Zwischenmenschlichen die Rollen nicht so klar verteilt.

»Here and Now« dagegen ist der Abgesang im Adagio, überraschungsfrei textiert, über einen Großteil der Sprachpalette des Menschen setzt sich Trauer ja nun mal, wenn sie da ist und Aufmerksamkeit einfordert, verhüllend wie eine Rauchglocke.

Apropos Trauer: Diesen September erschien die 123. Ausgabe der »­Bravo Hits«. Es gab nie eine zweite der »­Bravo Nu Rock«. Das weckt das Niedrigste in mir.

Staind: »Confessions of the Fallen« (Alchemy Records/BMG)

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Carsten G. aus Leipzig (30. September 2023 um 16:54 Uhr)
    die Musik ist sicher interessant & wichtig - aber was zum Merz soll »allen Alters« sein…? Meinten Sie Woody Allen? Oder meinten Sie nicht dieses oder jenes sondern einfach »jedes Alters«? Dann schreiben/drucken Sie das bitte auch so!

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