Entkriminalisierung jetzt!
Von Ina Sembdner
Weltweit werden zahlreiche Frauen nach wie vor kriminalisiert, wenn sie eine Schwangerschaft selbstbestimmt beenden wollen. Seit 2011 wird daher am 28. September international der Safe Abortion Day mit Demonstrationen und Veranstaltungen begangen und medial um Aufklärung gerungen. Dabei gibt es Länder, die aufgrund verschärfter Repression besonders im Fokus stehen, wie etwa Polen – die Lage andernorts sieht jedoch oft nicht besser aus. So werden beispielsweise in Großbritannien in diesem Jahr bereits fünf Frauen strafrechtlich wegen eines Schwangerschaftsabbruchs verfolgt, wie das Portal safeabortionwomensright.org am Donnerstag berichtete. Der jüngsten von ihnen wird demnach vorgeworfen, sich »Gift mit der Absicht beschafft zu haben, ihre eigene Fehlgeburt herbeizuführen« – eine Formulierung aus dem Jahr 1861, die bezeichnend ist. Faktisch hat die ungewollt Schwangere lediglich eine sogenannte Abtreibungspille eingenommen.
Die Betroffenen leben gefährlich. Bei der Anhörung vergangene Woche berichtete der Verteidiger laut dem Portal davon, dass andere Frauen Morddrohungen erhalten hätten, und auch dieser Fall hat bereits »viel Aufmerksamkeit erregt«. Der Richter genehmigte daraufhin eine einstweilige Verfügung, den Namen der Frau nicht zu nennen, und erklärte, dass »dies eindeutig ein sehr öffentlichkeitswirksamer Fall sein wird«. Möglicherweise werde er vor dem Old Bailey – dem zentralen Strafgerichtshof Großbritanniens – verhandelt.
Auch wenn die Situation diesbezüglich in Deutschland »besser« aussieht – ein Abbruch also trotz einer grundsätzlichen Strafbarkeit gemäß § 218 Strafgesetzbuch »in bestimmten Situationen straffrei« bleibt –, stehen Frauen nach wie vor unter hohem Druck, wenn sie selbstbestimmt eine Schwangerschaft abbrechen wollen. Und entgegen vermeintlich alarmierender Meldungen, dass die Zahl der Abbrüche steigt, verzeichnet die Statistik seit 1996 tatsächlich einen Rückgang. Damals wurden 130.899 Eingriffe registriert, nach einem Rückgang in der Phase der Pandemie hat sich die Zahl erneut bei rund 100.000 eingependelt. Und eine Mehrheit in Deutschland spricht sich für eine vollständige Entkriminalisierung aus.
Laut einer repräsentativen Umfrage des Marktforschungsinstituts Ipsos, die im Dezember 2022 im Auftrag des Bündnisses für sexuelle Selbstbestimmung (BfsS) durchgeführt wurde, wollen 83 Prozent der Befragten, dass der kriminalisierende Paragraph aus dem Strafgesetzbuch gestrichen wird. Dabei kommen erwartbar höhere Werte aus den ostdeutschen Bundesländern. Dort sprechen sich 88 gegenüber 81 Prozent in den westdeutschen Bundesländern für eine Entkriminalisierung aus. Die fortschrittliche Praxis in der DDR, die seit 1972 im Rahmen des »Gesetzes über die Unterbrechung der Schwangerschaft« eine Fristenregelung von zwölf Wochen vorsah, überlebte den Anschluss an die BRD nicht.
Und die Kriminalisierung hat weitere Folgen: Wie es im Aufruf zum diesjährigen Safe Abortion Day heißt, ist »die Gesundheitsversorgung einer ganzen Bevölkerungsgruppe« beim Schwangerschaftsabbruch »mangelhaft«. So sei es »für Ärzt*innen abschreckend, sich in einer rechtlichen Grauzone zu bewegen«, Abbrüche seien nach wie vor nicht Bestandteil des Medizinstudiums und der fachärztlichen Ausbildung. Die Versorgungslage in vielen Regionen ist darüber hinaus »kritisch«. Die Forderung, die darum auch am Donnerstag an verschiedenen Orten auf die Straße gebracht werden sollte, lautet: »Wir fordern die Politik auf, diesen Kreislauf zu durchbrechen. Keine Strafe für Selbstbestimmung! Weg mit § 218!«
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