Weltretter des Tages: Stanislaw Petrow
Von Michael Merz
Am Morgen des 27. September 1983 – vor genau 40 Jahren – gab es unseren Planeten noch. Die Sonne ging auf, die Vögel zwitscherten, und ich schlenderte als frischgebackener Jungpionier zur POS »Juri Gagarin«. Den Glücksfall wussten damals nur wenige zu schätzen. Fast wäre alles ganz anders gekommen, doch das blieb zunächst geheim. Stanislaw Jewgrafowitsch Petrow war einen Tag zuvor im Serpuchow-15-Bunker südlich von Moskau ganz seiner Intuition gefolgt. Er behielt die Nerven, als der Computer der Luftraumüberwachung den Start einer auf die Sowjetunion gerichteten Atomrakete im US-Bundesstaat Montana meldete. Einen Angriff mit nur einer Rakete, das konnte sich Petrow einfach nicht vorstellen. Dann meldete das System eine zweite, dritte, vierte und fünfte abgeschossene Interkontinentalrakete. Auf Satellitenaufnahmen konnte Petrow jedoch keine erkennen, und er ging richtigerweise von einem Fehlalarm aus. Der planmäßige Gegenschlag, der eine verhängnisvolle Reaktion der USA zur Folge gehabt hätte, blieb aus. Es ist davon auszugehen, dass die Menschheit ausgelöscht worden wäre.
Stanislaw Petrow wird in der dänischen Doku »The Man Who Saved the World« als ziemlicher Rüpel hingestellt – er ist laut, beleidigend, trinkt gern einen über den Durst. Ein ziemlich sympathisches Rauhbein, freut er sich doch wie ein Kind, als er nach einer Ehrung bei der UNO seinen Lieblingsschauspieler Kevin Costner trifft, bevor er zurück in seinen Moskauer Vorort reist, wo er in bescheidenen Verhältnissen lebt. Die Menschheit sei sich gar nicht mehr bewusst, wie nah sie auch heutzutage der kompletten Vernichtung ist, sagt Petrow im Interview. »Es kann jederzeit passieren«, warnt er. 2017 stirbt Petrow. Ohne seine Nerven wären wir wohl längst nicht mehr.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Detlev S. (27. September 2023 um 11:54 Uhr)In Anbetracht der Tatsache, dass solcherlei Kontrollposten fast ausschließlich elektronischen Überwachungssystemen gewichen sind, sollte man die komplexe Materie der Halbleiterphysik in Betracht ziehen. Die Sicherungssysteme werden durch Redundanzen geschaffen. Wenn man bedenkt, dass ein Mikroprozessor aus Milliarden von Transistoren besteht, erscheint es logisch, dass jeder Halbleiterchip eine potentielle Fehlerquelle darstellt. Es werden immer Flugzeuge abstürzen, es werden immer Raumschiffe explodieren! Je komplexer die Materie, desto wahrscheinlicher ist die Fehlprogrammierung durch »Faktor Mensch«. Wir legen unser Schicksal in die Hände der Halbleiterphysiker und der Informatiker. Auch dies ist ein Punkt, wo man ernsthafte Zweifel am Selbsterhaltungstrieb der Spezies Mensch haben muss.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Reinhard W. aus Hamburg (27. September 2023 um 10:36 Uhr)Was ich faszinierend finde: Ausgerechnet in der doch ach so autoritären Sowjetunion traut sich jemand, entgegen den Vorschriften zu handeln. Im Westen wären da längst alle Knöpfe gedrückt worden …
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Torsten Andreas S. aus Berlin (27. September 2023 um 09:25 Uhr)Wenn wir unser Überleben so betrachten – was hat Genosse Petrow falsch gemacht? Platschquatsch! In allen (!) Orten sollten Monumente für ihn stehen, Plätze und Straßen und Schulen und Schiffe und vor allem Kindergärten nach ihm benannt werden! Eigentlich jede Mall und jede Kaufhalle! Wer hat den Weltraum erobert? Herr Gagarin. Wer hat uns alle gerettet? Herr Petrow!
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Christa K. (26. September 2023 um 20:09 Uhr)»Ohne seine Nerven wären wir wohl längst nicht mehr.« Wie wahr, wenn in letzter Zeit immer wieder berichtet wird, dass KI diese Überwachungsaufgaben übernehmen wird (oder vielleicht sogar schon hat) ist eine Katastrophe nicht mehr auszuschließen … wir wähnen uns mehr oder weniger in Sicherheit, obwohl die Lunte des unvorstellbaren globalen Exitus möglicherweise schon gezündet ist …
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vom 27.09.2023