Katastrophe nach Krieg
Von Ina Sembdner
Während sich international endlich bemüht wird, die humanitäre Lage in Bergkarabach zu lindern, hat die armenische und seit vergangener Woche unter aserbaidschanischer Kontrolle stehende Exklave mit einer weiteren Katastrophe zu kämpfen. Am Montag abend explodierte ein Benzinlager nahe Stepanakert, der Hauptstadt der international nicht anerkannten Republik Arzach. »Das Lagerhaus diente dazu, Treibstoff an diejenigen auszugeben, die Arzach mit ihren Autos verlassen wollten. Hunderte von Menschen waren dort versammelt, als die Explosion stattfand«, erklärte der Parlamentsabgeordnete Metakse Hakobyan gegenüber der Agentur Armenpress.
Am Dienstag meldeten die Behörden den Tod von mindestens 20 Menschen sowie 290 Verletzte – viele von ihnen schwebten in Lebensgefahr, weitere Personen würden noch vermisst. Die Opfer werden demnach in zwei Kliniken der Republik wie auch in dem Spital der russischen Friedensmission behandelt. Das Menschenrechtsbüro in Arzach appellierte an die Weltgemeinschaft, dass es dringend notwendig sei, insbesondere schwer verletzte Menschen zur Behandlung auszufliegen. »Die medizinischen Kapazitäten Bergkarabachs sind nicht ausreichend, um die Leben der Menschen zu retten«, hieß es in einer Mitteilung auf X (ehemals Twitter). Am Dienstag nachmittag erfolgte nach Angaben des arzachischen Gesundheitsministeriums der vierte Flug mit schwer verletzten Opfern Richtung Armenien. Nachdem die aserbaidschanische Blockade der Exklave über Monate hingenommen wurde, kündigten sowohl die EU als auch die USA humanitäre Hilfszahlungen in Höhe von fünf Millionen Euro respektive 11,5 Millionen US-Dollar an.
Jenseits dieser Tragödie versuchten auch am Dienstag Tausende vor den aserbaidschanischen Truppen, die sich im Land postiert haben, zu fliehen. 19.000 Vertriebene seien bis Dienstag aus Arzach nach Armenien gekommen, sagte der stellvertretende Ministerpräsident Tigran Chatschatryan auf einer Pressekonferenz. Die armenische Regierung stelle allen Bedürftigen eine Unterkunft zur Verfügung, versprach Chatschatryan. Allerdings scheiterte diese Aussicht für viele schon vor dem Stadtrand von Stepanakert: »Wir konnten in vier oder fünf Stunden nur hundert Meter weit fahren«, erklärte etwa ein Familienvater gegenüber Armenpress. Reporter der Agentur AFP sahen entlang des sogenannten Latschin-Korridors – der einzigen Straßenverbindung zwischen Arzach und Armenien – Hunderte mit Habseligkeiten beladene Autos, die sich mühsam über die überfüllte Straße vorwärts quälten. Mehrere Fahrzeuge schleppten sich mit platten Reifen voran. Zahlreiche Menschen passierten den letzten aserbaidschanischen Grenzposten zu Fuß.
Und es werden weiterhin Tote gefunden: Bei den noch immer laufenden Such- und Rettungsaktionen in Folge des aserbaidschanischen Angriffskriegs kamen nach Angaben von Armenpress am Dienstag weitere zehn Opfer hinzu – mindestens 200 Getötete waren bereits zuvor registriert worden.
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