»Weg von dieser industrialisierten Landwirtschaft«
Interview: Dieter Reinisch
Die EU hat ab 1. Januar 2024 neue Nitratgrenzwerte festgesetzt. Welche Auswirkungen wird das auf Irland haben?
Es gab bisher eine Ausnahmeregelung, die 250 kg Nitrate pro Hektar erlaubte. Die Regierung hat behauptet, dass der Boden in Irland mehr Nitrate aufnehmen kann als anderswo. Die Fakten zeigen aber: Die Flüsse und Seen werden zusehends verschmutzt. Es gibt nur noch 15 Flüsse mit dem höchsten Sauberkeitsgrad, in den 1980ern waren es noch 800. Mehr als 50 Prozent der Flüsse gelten als verschmutzt.
Die Ausnahmeregelungen werden schrittweise aufgehoben und nur noch 220 kg Nitrate pro Hektar erlaubt. Das betrifft etwa 3.000 Rinder- und Milchbauern, hauptsächlich Großbauern. Das ist nötig, da unser Wasser verschmutzt ist. Der größte See in Irland, Lough Neagh in Nordirland, ist von einer Algenplage befallen.
Wir müssen weg von dieser industrialisierten Landwirtschaft. Wir unterstützen die Abkehr von der Ausnahmeregelung. Das muss aber Teil eines größeren Plans sein, der Kleinbauern bei der Umstellung zu nachhaltiger Bewirtschaftung unterstützt.
Es gibt viel Widerstand des Bauernverbands Irish Farmers’ Association (IFA).
Der größte Bauernverband IFA ist einflussreich und gegen die Aufkündigung der Ausnahmeregelung. Sie sagen: Es gibt den Klimawandel, und er ist von Menschen gemacht, aber weder unser Land noch unsere Industrie sind die Verursacher. Die IFA erkennt an, dass das Wasser verschmutzt ist, aber leugnet, dass die Landwirtschaft etwas damit zu tun hat.
Das Gegenteil ist der Fall: In Irland ist der größte Emissionsverursacher die Landwirtschaft mit über 30 Prozent des Kohlenstoffausstoßes. Das liegt daran, dass Milchproduktion viel CO2 verursacht und Irland davon besonders viel produziert, da irische Milch weltweit in Milchpulver für Babys verwendet wird.
Seit dem Frühjahr hört man, dass es 200.000 Kühe weniger geben müsse. Würde das einen Unterschied machen?
Die IFA und die rechten Abgeordneten aus den ländlichen Regionen geben den Leuten den Eindruck, als müssten massenhaft Tiere geschlachtet werden. In Wahrheit kann die Reduzierung ohne zusätzlichen Schlachtungen durchgeführt werden: schrittweise Verringerung von Zuchtprogrammen.
Ich verstehe den Ärger von einzelnen Bauern. Aber die Lösung kann nicht sein, mit dieser unnachhaltigen Praxis weiterzumachen. Wir müssen Bauern finanziell unterstützen, damit sie ihre Praxis ändern. Die meisten irischen Bauern sind arme Kleinbauern und haben nicht Tausende Kühe, wie das oft dargestellt wird, sondern brauchen Nebenjobs, um zu überleben. Die müssen wir mit einer nachhaltigen Landwirtschaftsförderung unterstützen.
In Irland sind die Grünen in der Koalition. Wie ist die Umweltpolitik der Regierung?
Sehr schlecht. Die Grünen haben nichts durchgesetzt, außer Radfahrstreifen. Das erlauben die rechten Koalitionspartner ihnen, weil es keine Gefahr für die kapitalistische Klasse darstellt.
Die großen Fragen werden nicht in Angriff genommen und die Grünen sind dazu da, das alles zu rechtfertigen. Irland ist eines der wenigen europäischen Länder, wo der CO2-Ausstoß zunimmt. Sie haben beschlossen, dass er bis 2030 um 51 Prozent gesenkt wird. Das ist viel weniger als die Vorgaben der Wissenschaft und nicht einmal dieses Ziel wird erreicht werden. Derzeit werden sie wohl nur 25 Prozent schaffen.
Es wird erwartet, dass die republikanische Partei Sinn Féin (SF) bei den Wahlen nächstes Jahr gewinnt und die nächste Regierung anführen könnte. Wie sehen Sie die Klimapolitik von SF?
Sie ist sehr enttäuschend. Es gibt einige SF-Abgeordnete, die gute Arbeit machen, aber die tatsächliche Tagespolitik von SF ist eine Verteidigung des Status quo. Sie trauen sich nicht, gegen die Rhetorik des IFA aufzutreten. Das ist opportunistisch. Sie wollen ihre ländlichen Wähler nicht vergrämen.
Die Position der linken Abgeordneten ist klar: Die Landwirtschaft muss drastisch verkleinert werden. SF stimmt dem zu, weigert sich aber zu sagen, um wieviel. Sie bezieht keine Position, weil sie Angst hat, Wähler zu verlieren. SF hat viele politische Schwächen, aber ihre umweltpolitische Arbeit ist die schlimmste.
Paul Murphy ist Abgeordneter im irischen Parlament für Süddublin und Mitglied der »ökosozialistischen« Partei RISE
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Torsten Andreas S. aus Berlin (27. September 2023 um 05:34 Uhr)Warum nicht bewusster, neu und anders leben? Eat plants! Not friends! Klingt bekloppt, aber: Wer mit dem Tiermorden aufhört, kann ab dann diese Kriegstreiber endlich loswerden. Klingt konstruiert, aber: Wer keine Tiere isst, will das alles gar nicht mehr! Wie bescheuert muss man sein, an einem Krieg mitzumachen? Aber richtig krank: Wenn uns erzählt wird, dass ein Krieg wichtig ist. Wer das erzählt, braucht neue Erfahrungen. Und zwar ganz vorne an der Front. Die Sache mit den Toten und den fehlenden Armen und Beinen und für immer Matsch an Eingeweiden wie Lunge, Leber, Niere, Magen, Darm? Sich mal Fotos aus dem Net zu Gemüte führen? Und dann endlich nicht mehr für Krieg sein? Ich habe nie begriffen, warum viele erst dann gegen Kriege sind, wenn mir selbst eine/einer daran stirbt. Das glaube ich auch nicht. Stellt sich die Frage: Wer darf Menschen in den Tod schicken?
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