Operation Nebelwerfer
Von Jörg Kronauer
»Thank you, USA«: Das war die erste spontane Reaktion auf den Anschlag auf die Nord-Stream-Pipeline vor einem Jahr, die Radosław Sikorski kurz nach den Explosionen vor Bornholm über Twitter um die Welt schickte. Polens ehemaliger Verteidigungs- und Außenminister, nun Europaabgeordneter und, wie man so sagt, transatlantisch bestens vernetzt, war sich sicher: Die gewaltsame, aus seiner Sicht hocherfreuliche Beendigung russischer Erdgaslieferungen direkt nach Deutschland, mit sofortiger Wirkung und auf Dauer – dies konnte nur das Werk der Vereinigten Staaten sein. Zumal sich Fachleute von Anfang an in einem Punkt einig waren: Eine Sprengung am Meeresgrund, die so gewaltig war, dass entfernte Messstationen sie als Erdbeben registrierten – sie konnte lediglich von Tätern mit Zugriff auf staatliche Kapazitäten realisiert werden. Interessenlage und politisches Profil wiederum ließen, meinte Sikorski, nur einen Schluss zu.
Natürlich musste Sikorski nach seinem allzu kühnen Tweet öffentlich einen Fallrückzieher einlegen. Genauso selbstverständlich wurden alle, die seine intuitive Vermutung mit Fakten belegten, als »Putinfreunde« abgestraft. Unvergessen der »Tagesschau-Faktenfinder«, der sich, um Recherchen des US-Journalisten Seymour Hersh zu widerlegen, von Experten bestätigen ließ, die Nord-Stream-Rohre seien wohl kaum mit Sprengstoff »in Form von Pflanzen« zerstört worden: Hersh hatte konstatiert, die Täter hätten C4-Hohlladungen »angebracht«, und er hatte dafür das weithin gebräuchliche Verb »plant« verwendet, das der »Faktenfinder« offenbar nur als Substantiv (»Pflanze«) kannte. »Fakten« findet der Mann für die ARD bis heute. Trotz solcher Pannen aber ist die Operation Nebelwerfer insgesamt recht erfolgreich verlaufen. Da wurden fleißig neue Verdächtige gefunden – Russland, na klar, zuletzt dann vor allem polnische und ukrainische Individuen, die mit einem Segelkahn vollbracht haben sollen, was Experten nur einer Staatsmacht zutrauen. Das reicht aus, um jeden Verdacht gegenüber den USA aus Leitmedien und staatlichen Ermittlungen zu verdrängen.
Fast in Vergessenheit geraten ist beim Stochern im Nebel ohnehin, dass die Anschläge materielle Folgen haben. Kostengünstiges russisches Pipelinegas? Das gibt es in Deutschland nicht mehr; und es wird auch keins geben, wenn dereinst in Verhandlungen über einen Waffenstillstand im Ukraine-Krieg eine Reduzierung der Russland-Sanktionen zumindest diskutiert werden muss. Die Bundesrepublik ist seit einem Jahr in hohem Maß auf Flüssiggas festgelegt. Sie finanziert seither vor allem die US-Frackingbranche, zahlt dabei erheblich höhere Preise, verliert daher energieintensive Industrien und steuert noch tiefer in die Krise. Plädoyers, in der Not halt doch wieder Pipelinegas aus Russland zu beziehen, um nicht allzu übel abzustürzen, haben seit dem Anschlag vom 26. September 2022 objektiv keine Chance mehr.
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Leserbrief von Rainer Kral aus Potsdam (26. September 2023 um 16:13 Uhr)Nur bei ganz Dummen und/oder indoktriniert Fehlgeleiteten können die deutschen Staatsmedien mit ihrem Ammenmärchen von der Sprengung der Pipeline von privaten Russlandfeinden landen. Dass man jetzt von dem als erstes geäußerten »die Russen waren es«, hin zu militanten Privattätern umgeschwenkt ist, hat nur einen Grund: zu unglaubwürdig, zu fadenscheinig und zu primitiv war es, die Russen für die Sprengung ihres Miteigentums verantwortlich zu machen. Selbst dem heftigsten Schwenker der Ukraine-Fahne war mittlerweile klar, dass man sich fragen muss: Wer hatte die Gelegenheit, wer hatte die Mittel und wer hatte ein Motiv? Wer sich dieser Frage widmet und einen weiteren Ermittlungsgrundsatz berücksichtigt, der da lautet – Cui bono – kommt automatisch zum Täter. Setzt allerdings voraus, dass man frei ist in seinen Entscheidungen ist – dies trifft leider weder auf die politische Elite, noch auf die Medienlandschaft hierzulande zu. Und deshalb wird dort gelogen, abgewiegelt, mit Finger auf andere gezeigt und das Offensichtliche verschwiegen.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Oliver S. aus Hundsbach (26. September 2023 um 14:11 Uhr)Danke Fred Buttkewitz und Marc P.! Lügen die Transatlantiker Scholz und Co. sowie die gleichgeschalteten Publikationsorgane bewusst oder »unschuldig«? Glauben sie selbst den Unsinn, den sie den Menschen erzählen? Überall wird gelogen, gebogen und zurechtgemodelt bis die präsentierten »Fakten« und die Interessen der Kriegstreiber kongruent sind. Eine Lösung wäre die Abwahl des politischen Personals und die Installation einer russlandfreundlichen Regierung. Das zu glauben, ist naiv. Absurderweise ist darauf zu hoffen, dass jemand in Washington den Geldhahn zudreht. Die Pipeline ist kaputt und die Amerikaner verdienen mit dem Flüssiggas ein Schweinegeld. Deutsche Industrie wandert z. T. in die USA ab. Mission accomplished! Ob Scholz das insgeheim auch so sieht? Bis jetzt keine Taurus-Marschflugkörper!? Glaubt man den Auguren hat die Ukraine den Krieg bereits verloren. Der Konflikt war für die BRD teuer genug. Ein offener Krieg mit Russland wäre das Ende Deutschlands. Dass das politische Personal, jenseits aller bösen Rhetorik, das auch so sieht, ist zu hoffen und wahrscheinlich.
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Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (26. September 2023 um 11:59 Uhr)Die angelsächsische Strategie seit dem Ende des 19. Jahrhunderts war, Deutschland kleinzuhalten und die Kooperation mit Russland zu verhindern. Deutschland wurde seit dem Zweiten Weltkrieg zum Hauptlieferanten der USA und erlangte den Status des Exportweltmeisters. Im Gegensatz dazu konnten Japan und China, die ähnliche Rollen von den USA erhielten, enorme Dollarreserven ansammeln und wurden zu den größten Gläubigern der USA. Deutschland konnte das nicht erreichen, und es fehlt jeglicher Nachweis für einen deutschen Überschuss. Wo sind die Exporteinnahmen geblieben? Bei genauerer Betrachtung der Wirtschaftsbeziehungen zwischen den USA und Deutschland stellt sich heraus, dass die USA durch verschiedene rechtliche Tricks immer wieder deutsche Gewinne abgeschöpft haben, unabhängig davon, ob es sich um Unternehmen wie Daimler, Telekom, BASF oder Bayer handelte. Sogar die beiden zerstörten Türme des World Trade Centers waren zufällig bei der deutschen Allianz versichert. Deutschland hat aus den Geschäften mit den USA kaum nennenswerte Gewinne erzielt. Es ist nun so weit gegangen, dass deutsche Investitionen sabotiert werden, und Deutschland nimmt dies ohne Protest hin. Das ist beschämend!
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Leserbrief von Fred Buttkewitz (26. September 2023 um 02:30 Uhr)Es ist unwahrscheinlich, dass der Mehrheit der Deutschen die Tatsachen nicht bewusst sind. Wahrscheinlicher ist, dass sie es nicht wissen wollen, wie 1933 bis 1945. Es lebt sich einfacher, mit der Herde zu gehen und kein Aussätziger zu sein. Um Aussätzige zu schaffen, haben die Medien einen öffentlichen Schandpfahl errichtet, ähnlich den Wandzeitungen des »Stürmer« 1933–45. Julius Streicher wurde dafür in Nürnberg hingerichtet. Die USA führten nach 1945 mehrere Kriege mit Millionen Opfern, wohlgemerkt ohne von den betreffenden Staaten bedroht gewesen zu sein. Russland führte in dieser Zeit in Syrien und Afghanistan Krieg auf das berechtigte Hilfsersuchen der dortigen Regierungen hin, die sich gegen vom Westen finanzierte Angriffe zur Wehr setzten. Das waren Verteidigungskriege als Hilfe für verbündete Staaten. Der Krieg im Kaukasus erneut gegen vom Westen gesponserte Islamisten war seitens Russlands ebenfalls ein Verteidigungskrieg. Der militante Islamismus an der Südseite stellte eine erhebliche Gefahr dar. In den Ukraine-Krieg, der 2014 von Kiew begonnen wurde, trat Russland erst 2022 ein, um die terrorisierte Bevölkerung im Donbass zu schützen, nach Boykottierung von Minsk II. Russland führt auch Krieg, um sich gegen die wortbrüchig ausgedehnte Kriegsallianz NATO zu schützen. Erstens muss man die Berechtigung der Kriege beider Seiten vergleichen und zweitens die Opferzahlen. Gegen die USA wurde nicht eine einzige Sanktion verhängt, gegen Russland mehr als 10.000 Einzelsanktionen. Ist es nun gerechtfertigt, weiter mit den USA verbündet zu sein, sich wirtschaftlich auspressen zu lassen und für Gas den vierfachen Preis zu bezahlen? Wäre es nach objektivem Vergleich der Taten beider Seiten nicht angeraten gewesen, dann eher mit der russischen Seite Handelskontakte zu pflegen? Wir kennen die Antwort: Deutschland wird von den USA als Vasall erpresst und ist mit transatlantischen Politikern unterwandert, welche die Interessen einer fremden Macht vertreten.
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Leserbrief von Wolfgang Schmetterer aus Graz (26. September 2023 um 12:11 Uhr)Volle Zustimmung! Die ganze Situation ist zum einen grotesk, zum anderen unerträglich. Ich hoffe, dass es eines (fernen?) Tages einen (dringend notwendigen) »Kniefall« vor Russland geben wird, mit dem wir das Land, dem so viel angetan wurde (korrekt: dem »wir« so viel angetan haben), um Vergebung bitten. Allzu viel Hoffnung habe ich allerdings nicht …
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Marc P. aus Cottbus (25. September 2023 um 22:10 Uhr)»Undank ist der Welten Lohn«, werden sich Olaf Scholz und seine »Koalitionäre« nach der Sprengung der Nord-Stream-Pipelines gedacht haben. Sie hatten sich weit hinausgewagt und mit breiter Brust den Ausstieg Deutschlands aus russischem Erdgas verkündet, also des Landes, das wie kaum ein anderes im Westen auf das russische Gas gebaut hat. So wollte man seine Solidarität gegenüber der Ukraine und – was ihnen sicherlich noch wichtiger gewesen ist – gegenüber den USA zum Ausdruck zu bringen. Und dann sprengt wenigstens einer, wenn nicht beide dieser vermeintlich guten Freunde hinter ihrem Rücken den Rettungsweg zurück in die sichere Energieversorgung in die Luft! Wer solche Freunde hat, …. Nachdem das ursprünglich erklärte offizielle Ziel des Ausstiegs aus russischem Erdgas klar verfehlt worden ist, Russland zu zwingen, sich aus der Ukraine zurückzuziehen, hat die Bundesregierung ihre Strafmaßnahme gegen Russland klammheimlich umetikettiert in »Klimawende«. Wirtschaft und Privathaushalte ächzen nun also nicht mehr unter hohen Energiepreisen, um – wie man uns noch im vergangenen Jahr erklärte – Russland zu besiegen, sondern um das Klima zu retten! Völlig unbehelligt von den Leitmedien (ARD, ZDF, FAZ, TAZ & Co.), die diesem Etikettenschwindel stillschweigend gefolgt sind und ihn für die eigene Berichterstattung übernommen haben, muss sich nun kein »Ampel«-Politiker mehr Asche aufs Haupt schütten und öffentlich erklären, dass man das Wohlergehen der Bürger und die stets sicher geglaubte Stabilität der deutschen Wirtschaft, besonders die der Industrie, ganz umsonst in Gefahr gebracht hat und sich gar dafür entschuldigen.
Regio:
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vom 26.09.2023