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Aus: Ausgabe vom 21.09.2023, Seite 6 / Ausland
Westafrika

Schwierige hundert Tage

Nigeria: Erste Bilanz der Amtszeit des Anfang des Jahres neugewählten Präsidenten Bola Tinubu
Von Georges Hallermayer
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Vorerst nur eine gemischte Bilanz: Nigerias neuer Staatschef Bola Tinubu (Paris, 23.6.2023)

Das Ergebnis sei »gemischt«, hieß es am Mittwoch in der nigerianischen Tageszeitung The Guardian. Zwar sei der neugewählte Präsident Bola Tinubu nach seiner Amtseinführung im Mai ins kalte Wasser gestoßen worden, als er sogleich den Vorsitz der regionalen Wirtschaftsgemeinschaft ECOWAS übernehmen musste. Es sei aber ein klarer Fehler gewesen, den Putschisten in Niger ein Ultimatum zu stellen, um die Macht wieder an den gestürzten Präsidenten Mohammed Bazoum zurückzugeben. Schließlich sei Nigeria »kaum in der Lage, eine militärische Invasion gegen seinen nigrischen Nachbarn zu starten. Außerdem fehlt dafür die Unterstützung der Nigerianer«, heißt es in dem Beitrag. Er beklagt nicht zuletzt die katastrophale Sicherheitslage in dem westafrikanischen Land und empfiehlt, zur Bekämpfung von »Dschihadisten, organisiertem Verbrechen und wiederholten Entführungen« den Ausnahmezustand auszurufen.

Bäcker statt Kekse

Zwei Wochen zuvor hatte bereits Abdulaziz Abdulaziz, der »Senior Special Assistant« des Präsidenten, im Guardian seine Einschätzung zu den ersten hundert Tagen Tinubus veröffentlicht. Er betonte, dass es darauf ankomme, nicht nur auf kurzfristige Erfolge zu schauen. Schließlich sei es besser, »Bäcker für die Zukunft« auszubilden, als lediglich »Kekse auf den Tisch zu stellen«. Als Beispiel nannte er die von einem chinesischen Unternehmen gebaute, am 4. September in Betrieb genommene Metro »Blue Line« in der 20-Millionen-Metropole Lagos. Für das Projekt, das 1,4 Milliarden US-Dollar gekostet hat, habe Tinubu vor Jahren noch als Gouverneur die Weichen gestellt. Die Linie soll in einer zweiten Bauphase von 13 Kilometern Länge auf 27 Kilometer ausgebaut, die Beförderung von 175.000 Passagieren täglich auf 250.000 erhöht werden. China ist seit 2020 Nigerias bedeutendster Handelspartner.

Auch Abdulaziz rühmte den Mut, »Subventionen auf Kraftstoffe zu stoppen, um auf Kredite zu deren Finanzierung« verzichten zu können. Bis dato musste das rohölexportierende Land für Benzinimporte monatlich 900 Millionen US-Dollar ausgeben, um den Preis für Sprit bei 40 Cent zu halten. Das waren ganze 15 Prozent des gesamten Staatshaushalts, in dem für Bildung gut acht, für Gesundheit fünf Prozent aller Aufwendungen reserviert sind. Der Benzinpreis stieg zwar umgehend aufs Dreifache. Aber Proteste hielten sich in Grenzen, insbesondere da die größte Gewerkschaft NLC nach Gesprächen mit der Regierung einen Generalstreik absagte. Ein Grund dürfte gewesen sein, dass die am 22. Mai eingeweihte Megaraffinerie des Milliardärs Aliko Dangote am Überseehafen Lekki in absehbarer Zeit das Doppelte des nationalen Verbrauchs liefern und die Preise wieder drücken wird. Die Kapazität der Raffinerie ist ausgelegt, ganz Westafrika mit Benzin zu versorgen.

Die Realisierung von zwei weiteren Großprojekten dürfte auf sich warten lassen. Bereits in Angriff genommen wurde der Bau einer Gaspipeline über Niger und Algerien quer durch die Sahara Richtung EU. Ob der Putsch in Niamey Auswirkungen auf dieses Vorhaben hat, ist unklar. Lediglich auf dem Papier existiert der Plan einer konkurrierenden Gastrasse um den Golf von Guinea herum an 13 Andockländern vorbei bis nach Spanien. Auch dies ein Alptraum für Umweltschützer. Wie jetzt schon die Situation im Nigerdelta, das durch mangelhaft gewartete Pipelines mit Erdöl verseucht ist. Größte »Baustelle« für Tinubu aber bleibt die soziale Lage. Mehr als 71 Millionen Nigerianer leben laut »Weltarmutsuhr« in extremer Armut. Also ungefähr jeder Dritte der etwa 220 Millionen Einwohner, die wiederum zu zwei Dritteln unter 25 Jahre jung und vielfach arbeitslos sind – angesichts einer Rekordinflationsrate von 27 Prozent genügend Sprengstoff.

Schatten des Verdachts

Die ersten 100 Tage im Amt hätten für Tinubu übrigens bereits die letzten sein können. Nicht wegen der Verwicklungen des Präsidenten in Geldwäsche, Korruption und Drogenhandel, wie von Wikileaks und MR online recherchiert wurde, sondern wegen Unregelmäßigkeiten bei den zurückliegenden Wahlen: Die Hauptkonkurrenten des Kandidaten der liberalen bis konservativen Partei All Progressives Congress, Atiku Abubakar von der Demokratischen Volkspartei und Peter Obi von der Labour Party, hatten beim Verfassungsgericht beantragt, den Urnengang für ungültig zu erklären. Erst am 6. September wies das nigerianische Berufungsgericht die Anfechtung zurück.

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