Die Sprache der Gewehre
Von Kai Köhler
Wie übermittelt man eine alte Kunstgattung in ein neues Land? Eslon Hindundu hat die erste namibische Oper komponiert. Sein »Chief Hijangua« wurde im September letzten Jahres in Windhuk uraufgeführt. Die ersten beiden Akte sind in einer zeitlosen Märchenwelt angesiedelt. Der Königssohn Hijangua liebt Matjiua. Doch der Vater ordnet an, dass Matjiua den älteren Bruder heiratet, also den künftigen Herrscher. Hijangua verlässt die Heimat und trifft in der Wüste auf sprechende Tiere. Das Lamm (gut) wird vom Schakal (böse) getötet. Das deutet auf Unheil voraus. Der ermattete Hijangua wird von Maria entdeckt, der Tochter eines deutschen Pfarrers. Damit vollzieht sich der Übergang in die geschichtliche Zeit, konkret: die des deutschen Kolonialismus.
Dritter Akt, drei Jahre später: Hijangua ist deutscher Hilfssoldat geworden. Maria hat zu ihm eine Neigung gefasst, die ihrem Mann, einem deutschen Major, gar nicht gefällt. Der Schwiegervater sorgt für die Lösung. Er tauft Hijangua und erklärt ihn für reif, in die Heimat zurückzukehren und seine große Liebe wiederzuerobern. Hijangua führt den Plan aus, tötet im Streit seinen Vater und bemerkt zu spät, dass er den deutschen Truppen den Weg zu seinem Volk gezeigt hat. Am Ende hat er alle Hoffnung verloren, Matjiua hasst ihn nun, und die Kolonialisten haben ihren Machtbereich erweitert.
Das Programmheft ist vor allem mit Grußworten gefüllt. Namibische wie deutsche (Claudia Roth, Kai Wegner) Politiker formulieren die genreüblichen Floskeln von der Kunst, die Grenzen überwinde, von Versöhnung usw. Ein Vertreter des Siemens Art Program, das Geld gegeben hat, sieht ein »transnationales Freundschaftsprojekt voller Hoffnungen, Erkenntnisse, Gemeinsamkeiten und Zukunftsvisionen«. Daran stimmt, dass namibische, deutsche und südafrikanische Künstler zusammengearbeitet haben. Doch ganz anders schreibt Nikolaus Frei, der Librettist: »Es ist die Geschichte eines jungen namibischen Prinzen auf der Suche nach Glück, die durch den imperialistischen Übergriff einer fremden Macht zu einem schrecklichen Ende führt.«
Das trifft die Handlung. Am Ende steht ein Widerstandschor der Opfer jenes imperialistischen Übergriffs. Vor jeder Verständigung steht, dass die Kolonialisten besiegt werden. Die Oper ist zwar zweisprachig. Gesungen wird auf otjiherero und auf deutsch. Doch markiert auch dies ein Gegeneinander. Deutsch ist die Sprache des Soldatenchors: »Der Deutsche liebt nichts mehr / als sein Schießgewehr.« Das Wort »Zivilisation« komponiert Hindundu als Karikatur. Deutsch singt auch der heuchlerische Pfarrer, der Gott für den Imperialismus einsetzt, und Hijangua, sobald er zum Werkzeug seiner Feinde herabsinkt.
Die Musik klingt fast durchgehend europäisch, mit wenigen afrikanischen Einsprengseln. Offensichtlich komponiert Hindundu für ein heimisches Publikum; eine Avantgardeoper für Windhuk wäre sinnlos. Aber musste er allen Instrumentierungsmustern nachkommen – nicht nur dem Posaunenchor zur europäischen Taufe, auch dem Trompetenklang für den afrikanischen König? Musste er die in Europa seit einem guten Jahrhundert veraltete Nummernoper schreiben, mit ihrer Abfolge von Szene, Arie, Duett, Quartett, Chor und Tanzeinlage? Manches wirkt deshalb allzu gedehnt, zumal über weite Strecken ein elegischer Ton vorherrscht.
Dabei kann Hindundu prägnante Gestalten schreiben und sie dem Verlauf entsprechend variieren. Nur kommt er oft dramaturgisch nicht auf den Punkt. Für seine zweite namibische Oper könnte man sich eine Straffung szenisch-musikalischer Abläufe vorstellen und mehr Mut zu einem eigenen Ton, der – wenn der Stoff es nahelegt – auch mit einer strukturellen Einbeziehung namibischer Musik einhergehen könnte, ohne dass darunter die Eingängigkeit leiden müsste.
Die Solisten, darunter Sakhiwe Mkosana als Hijangua, Galilei Uajenenisa Mjembo als sein Bruder und Janice van Rooy als Matjiua, überzeugten am Premierenabend am Freitag durchgehend. Das vom Komponisten geleitete Rundfunksinfonieorchester Berlin war auf der Bühne etwas ungünstig hinter Plastikfelsen versteckt – man hörte Gutes und vermutete doch, manches nicht zu hören. Kim Mira Meyer inszenierte werkdienlich. Deutsche Regiemoden hätten dem hierzulande unbekannten und traditionell angelegten Werk nicht entsprochen. Es ist gut, dass Meyer auf die Sache und nicht auf den Kulturbetrieb schaute.
Das Publikum feierte die Aufführung und sich selbst. Im Eingangsfoyer des Berliner Rundfunkhauses war »They Tried to Bury Us« von Isabel Katjavivi installiert. In etwa dreißig Quadratmetern Sand liegen tönerne Totenmasken, teils gut sichtbar und teils halb verdeckt. Das Werk erinnert an den deutschen Genozid in Namibia ab 1904. Es erwies sich als geeignete Kulisse für den Wein- und Sektkonsum zur Pausenzeit.
Am 22., 23. und 24.9. ist eine reduzierte Fassung für Kinder im Humboldt-Forum Berlin zu sehen
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