Olearius vor Gericht
Von Gudrun Giese
»Es geht um die sogenannten Cum-Ex-Geschäfte, ein gigantisches Modell der Steuerhinterziehung bei Aktiengeschäften: Am Montag hat vor dem Landgericht Bonn der mit Spannung erwartete Prozess gegen Christian Olearius begonnen. Dem früheren Chef und Mitinhaber der Hamburger Warburg-Bank werden 15 Fälle besonders schwerer Steuerhinterziehung, von denen das Gericht 14 zur Verhandlung zugelassen hat, vorgeworfen. An den Geschäften soll sich Olearius ebenso wie viele andere Banken und andere Geldhändler beteiligt haben.
Der Betrug bestand darin, sich die Kapitalertragssteuer mehrfach vom Finanzamt erstatten zu lassen, obwohl diese nur einmal gezahlt worden war. Das funktionierte wegen des hohen Tempos beim Aktienhandel mit (»cum«) oder ohne (»ex«) Dividendenanspruch. Da die Steueraufsicht mit ihren Kontrollen nicht hinterherkam, floss insgesamt vermutlich ein zweistelliger Milliardenbetrag an die Banker, wie das ZDF am Montag berichtete. Lange Zeit war aber unklar, ob diese Art des Betrugs an den Steuerzahlern zu ahnden sei, bis der Bundesgerichtshof 2021 Cum-Ex-Geschäfte als Steuerhinterziehung und damit rechtswidrig einstufte.
Olearius sollte ursprünglich Anfang des Jahres der Prozess wegen Cum-Ex gemacht werden, der jedoch wegen eines erfolgreich gestellten Befangenheitsantrages gegen einen Richter verschoben wurde. Auch im nun begonnenen Verfahren in Bonn wird wiederum über Befangenheit zu entscheiden sein: Peter Gauweiler, früherer CSU-Politiker und nun einer von vier Anwälten Olearius’, warf der ermittelnden Staatsanwältin vor, befangen zu sein. Exbanker Olearius selbst bestreitet alle Vorwürfe, zudem fühlt er sich vorverurteilt. Dieser Prozess erfährt – neben den vielen, die mittlerweile wegen der Cum-Ex-Praktiken laufen – besondere Aufmerksamkeit, weil der heutige Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) in der Causa Warburg-Bank eine ominöse Rolle spielte, als er Erster Bürgermeister der Hansestadt Hamburg war.
Zugegeben hat Scholz inzwischen, dass er mehrere Gespräche mit Olearius geführt habe, nachdem die Finanzverwaltung die Warburg-Bank zur Zahlung der unrechtmäßig erhaltenen Steuerrückzahlungen aus Cum-Ex-Geschäften aufgefordert hatte. Nach den Gesprächen mit Scholz sank das Interesse der Behörde, das Geld einzutreiben; die Zahlungsansprüche verjährten. Scholz hatte erklärt, er habe keinen Einfluss auf das Verfahren genommen.
Gleichzeitig kann er sich angeblich nicht an die Inhalte seiner Gespräche mit Olearius erinnern, der selbst Tagebuch darüber geführt hat. Die CDU/CSU-Fraktion im Bundestag möchte einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss einsetzen, der Scholz’ Rolle in der Angelegenheit klären soll. Die drei Fraktionen der Regierungskoalition aus SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP haben das mit ihrer Mehrheit verhindert. Die Fraktion aus CDU und CSU will vor dem Bundesverfassungsgericht dagegen vorgehen.
Erste Ermittlungen wegen der Cum-Ex-Praktiken gab es im Jahr 2013 durch die Staatsanwaltschaft Köln. In den folgenden Jahren kam deutschlandweit Bewegung in die Ermittlungen gegen die Steuerhinterzieher. Derzeit soll die Kölner Staatsanwaltschaft nach ZDF-Angaben noch 120 Ermittlungsverfahren gegen insgesamt rund 1.700 Beschuldigte führen. Mit Urteilen abgeschlossen wurden fünf Anklagen. Zu den Verurteilten zählt der Steueranwalt Hanno Berger, der in zwei Verfahren vor Gericht stand und vom Landgericht Bonn als Strafmaß eine Freiheitsstrafe von acht Jahren erhielt. Dagegen hat er Revision beim Bundesgerichtshof eingelegt.
Das Gros der Verfahren findet vor nordrhein-westfälischen Gerichten statt, weil das Bundeszentralamt für Steuern in Bonn angesiedelt ist. Mehrfach habe die Landesregierung neue Stellen für die Aufklärung der Cum-Ex-Geschäfte geschaffen, man komme aber immer noch kaum mit den Ermittlungen hinterher, wie es im ZDF hieß. So werde es noch Jahre dauern, bis die enorme Zahl an Fällen komplett aufgeklärt sei. Für das Verfahren gegen Christian Olearius hat das Landgericht Bonn zunächst 28 Verhandlungstermine bis zum März 2024 angesetzt.
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Leserbrief von Reinhard Hopp aus Berlin (18. September 2023 um 20:21 Uhr)Ein Mittäter fehlt jedoch noch auf der Anklagebank: der Spießbürger, der den die Allgemeinheit schädigenden Schwerstverbrecher als »smarten« und »gerissenen« Edelganoven klammheimlich bewundert, dem kleinen Hartz-IV-Empfänger aber nicht einmal das mickrige Flaschenpfand gönnt.
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