»Taurus« vor Abschuss
Von Reinhard Lauterbach
Vor der für den Dienstag geplanten nächsten Runde der innerwestlichen Absprachen im »Ramstein-Format« (»Ukraine-Kontaktgruppe«) wächst der Druck auf Berlin, Kiew »Taurus«-Marschflugkörper zu liefern. NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg lobte die früheren Lieferungen ähnlicher Raketen durch Frankreich und Großbritannien. Die BRD habe bereits gezeigt, dass ihre Lieferungen an die Ukraine »einen Unterschied machten«, sagte er den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. Der CDU-Abgeordnete Roderich Kiesewetter hatte am Sonntag abend in der ARD erklärt, er rechne mit raschen Entscheidungen bei dem Ramstein-Treffen auf dem exterritorialen US-Stützpunkt bei Kaiserslautern. Ähnliches hatte Omid Nouripour von den Grünen bereits letzte Woche gefordert. Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) hatte am Freitag erklärt, die Entscheidung über eine Lieferung brauche so lange, wie sie eben brauche. Der Minister spielte im übrigen die Bedeutung der »Taurus«-Raketen herunter: Nur ein Teil von ihnen sei einsatzfähig, bei einem anderen müsse die Software neu programmiert werden.
Diese scheinbar technische Frage ist die politisch entscheidende: Wohin soll mit den »Taurus«-Raketen geschossen werden können? Bisher hat die Bundesregierung versucht, den Eindruck zu erwecken, sie wolle verhindern, dass dies auch Ziele im Inneren Russlands sein könnten. Deshalb sei sie mit den Herstellern im Gespräch darüber, die Reichweite der Geschosse entsprechend zu reduzieren.
Andererseits hält sich der ukrainische Präsident Wolodimir Selenskij die Entscheidung über Angriffe in Russland selbst ausdrücklich offen. Er sagte am Sonntag abend dem US-Fernsehsender CBS, die Ukraine habe das Recht, Ziele anzugreifen, von denen aus sie selbst beschossen werde. Russland müsse wissen, was es riskiere, wenn es im Herbst und Winter wieder die ukrainische Energieversorgung lahmzulegen versuche. Er bestritt gleichzeitig, dass die bereits laufenden Schläge gegen Ziele im Inneren Russlands auf seinen Befehl hin erfolgten. John Kirby, Berater des Weißen Hauses für »strategische Kommunikation«, wusch unterdessen die Hände in Unschuld. In einem Interview für den britischen Telegraph sagte er, die USA lieferten der Ukraine nur die Waffen, die Zielauswahl sei Sache der ukrainischen Führung. Er erklärte gleichzeitig, ein erheblicher Angriff gegen Ziele in Russland sei nicht im Interesse der Sicherheit der USA. Mit diesen Distanzierungen wird eine Sphäre der Unklarheit über die Verantwortung für solche Angriffe geschaffen.
Unterdessen kommen neue Einzelheiten über die ukrainischen Verluste ans Licht. Der Leiter der Wehrersatzbehörde in der ukrainischen Stadt Poltawa sagte auf einer Sitzung des dortigen Stadtrats, von den im Frühjahr in der Stadt mobilisierten Soldaten seien heute noch maximal 20 Prozent einsatzfähig. Der Rest sei tot oder verwundet. Ukrainische Soldaten bestätigten in Internetmitteilungen diese Größenordnung der Verluste und beklagten das niedrige Ausbildungs- und Motivationsniveau der Einberufenen. Kirilo Budanow, Chef des ukrainischen Militärgeheimdienstes, erklärte, die Ukraine rechne nicht damit, eines Tages »eine Siegesparade auf dem Roten Platz« zu veranstalten. Es gehe darum zu verhindern, dass Russland ebendies irgendwann in Kiew tue. Selenskij wiederum verglich im CBS-Interview Russlands Präsidenten Wladimir Putin mit Hitler und warnte vor einem »dritten Weltkrieg«, sollten russische Truppen bis an die polnische Grenze durchmarschieren.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Gottfried W. aus Berlin (19. September 2023 um 08:55 Uhr)Die NATO ist seit ihrer Gründung eine terroristische Organisation, organisierte Kriminalität in großen Mafia-Dimensionen. Gladio und die Fortsetzung des Hitlerkrieges gegen Russland sind ebenso Bestandteil dieser spätkolonialen Überwaltigungsstrategien, wie die Ausplünderung der Werktätigen durch den militärisch-industriellen Komplex. Alle sich als demokratisch bezeichnende Parteien haben den Schwur auf die Mörderbande abgelegt. Auch hier in der Zeitung werden Versuche unternommen, die zu diskreditieren, die aus wohlverstandenem Eigeninteresse nicht die Terror-Mission unterstützen möchten. Jeder, wie er kann.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Torsten Andreas S. aus Berlin (19. September 2023 um 08:11 Uhr)Vor diesem Engpass habe ich bereits im Februar 2022 gewarnt: Am Höhepunkt der Internationale rund um Kiew werden oben und unten und links und rechts Fremdenlegionen entstehen, die die fehlenden Kanonenfutteropfer vorne und hinten zur allmählichen Einstiegsvariante aller NATO-Kräfte zwingen wird. Denn dann wird nicht mehr zu unterscheiden sein, wer einmarschiert. Wer erinnert sich noch daran, dass deutsche Soldaten Seite an Seite seit 1979 zur Eroberung von Waffen der Sowjetarmee Krieg geführt haben? In Afghanistan? Unterm Kommando von Hekmatyar? Klare Aussage: »Ohne Krieg Seite an Seite ging gar nix.« – Diese Doku wird bei ZDF mit Sicherheit niemals wieder gesendet. Merke: Filme, wo passen, machen! (…)
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Leserbrief von Fred Buttkewitz aus Ulan - Ude (19. September 2023 um 03:19 Uhr)»Der CDU-Abgeordnete Roderich Kiesewetter hatte am Sonntag abend in der ARD erklärt, er rechne mit raschen Entscheidungen bei dem Ramstein-Treffen auf dem exterritorialen US-Stützpunkt bei Kaiserslautern.« Selbst dann, wenn es keinen Ukraine-Krieg gäbe und man die Krim noch zur Ukraine gehörig betrachtet, bliebe Sewastopol auf der Krim nach geltenden Verträgen dennoch ein exterritorialer Stützpunkt Russlands. Falls also mit von Deutschland oder den USA gelieferten Raketen dieser Stützpunkt beschossen wird, dann könnte es sein, dass Russland als spiegelbildliche Gegenmaßnahme den exterritorialen Stützpunkt Ramstein angreift. Das wäre Gegenwehr gegen eine Aggression und Vertragsbruch der Ukraine. Deshalb zögern Biden und Scholz. Denn Sewastopol als Stützpunkt Russlands bleibt auch nach westlichem Recht legitim, solange bis der Vertrag mit der Ukraine nicht ausgelaufen ist. Kiew beschießt jedoch diesen Stützpunkt mit westlichen Waffen. Die scheinen in Ramstein das Wort Bumerang nicht zu kennen. Was Deutschland und die USA gegenwärtig in der Ukraine veranstalten, ist keine Gegenwehr, da sie erstens Schuld an der Entstehung dieses Krieges tragen, zweitens von Russland nicht angegriffen wurden und drittens keinerlei Bündnisverpflichtungen gegenüber der Ukraine haben. Selenskij warnt vor einem 3. Weltkrieg? Der läuft doch bereits, wenn man die Anzahl der beteiligten Staaten betrachtet, welche Unsummen in ein Land pumpen, welches gegen Russland gezielt als Feindstaat und Waffe gegen Russland ausgerüstet wurde. Auch Wirtschaftskrieg ist Krieg. Der Zweite Weltkrieg sah anders aus als der Erste und der dritte Weltkrieg hat andere Formen, als der Zweite, aber er läuft und steigert sich langsam, aber kontinuierlich.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Christa K. (18. September 2023 um 21:16 Uhr)Alle diese Äußerungen von den Faschisten in der Ukraine als auch von »Nahtod«-Seite erinnern frappant an die Appelle zum »Endsieg« in Nazi-Deutschland … Volksturm und Wunderwaffe – die Geschichte wiederholt sich nicht als Farce, sondern als Blutrausch … natürlich weiß ich, dass vor beinah 80 Jahren der Blutzoll bei den sowjetischen Befreiern grausam hoch war und durch die deutsche Vorgangsweise viele Zivilisten ums Leben kamen – doch viele Menschen in der heutigen Zeit, die durch die massive Propaganda verblendet wurden – und die Machthaber, die die US-Interessen vertreten, sind nicht bereit, aus der Geschichte zu lernen … gilt es doch für den Westen, die Niederlage von 1945 zu revidieren!
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