50 Jahre Putsch in Chile: jW-Reihe
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50 Jahre Putsch in Chile: jW-Reihe
Aus: Ausgabe vom 19.09.2023, Seite 11 / Feuilleton
Rock

Nicht mal ein Mäuschen

Unsung Heroes (10): Puhdys
Von Frank Schäfer
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Wer konnte denn 1973 ahnen, wie haltbar so ein Schweinesystem sein würde? Die Puhdys

Das erste Album der Puhdys ist ein Selbstläufer. Die meisten Songs sind DDR-Rundfunkaufnahmen, eingespielt im Berliner Funkhaus in der Nalepastraße, und längst Radiohits. Nicht zuletzt die beiden Beiträge zum Soundtrack von Heiner Carows Kultstreifen »Die Legende von Paul und Paula«, das vertonte Plenzdorf-Gedicht »Wenn ein Mensch lebt« und das Slade-Plagiat »Geh zu ihr« (vergleiche »Look Wot You Dun«), kennt jedes Kind.

Wobei die Lyrics von »Geh zu ihr«, die sich ebenfalls Ulrich Plenzdorf ausgedacht hat, wohl in erster Linie an ein erwachsenes Publikum adressiert sind. »Geh zu ihr und lass Deinen Drachen steigen. / Geh zu ihr, denn Du lebst ja nicht vom Moos allein. / Augen zu, dann siehst Du nur diese eine! / Halt sie fest und lass Deinen Drachen steigen.« Den einäugigen Hosendrachen, oder was? Egal. Mit den anderen Puhdys-Evergreens »Vorn ist das Licht«, »Ikarus«, »Von der Liebe ein Lied« und ihrem allerersten Hit »Türen öffnen sich zur Stadt« ist das Album eine Art verfrühte »Smash Hits«-Anthologie und verkauft sich entsprechend gut.

Es gibt aber auch neues Material, dazu gehört »Vineta«, der neben »Türen« härteste Song des Albums. Man erkennt hier noch ganz gut ihre Anfänge als Covertruppe, die den englischen Hard Rock hinter die Mauer brachte und dafür auch schon mal Ärger bekam, weil sie zu laut spielten, das Publikum zu sehr auf Krawall bürsteten und nur auf englisch sangen.

»Led Zeppelin, Uriah Heep, Deep Purple, Jimi Hendrix, Cream – das waren unsere Idole, das haben wir nachgespielt«, erzählt Sänger und Gitarrist Dieter »Maschine« Birr. »Das hat uns geformt, mich zumindest. ›Whole Lotta Love‹ war ein Höhepunkt bei unseren Konzerten oder der ›Immigrant Song‹, ›Dazed and Confused‹. Das haben wir alles gespielt. Oder von Deep Purple, schon in der Anfangszeit, als die noch gar nicht so hardrockig waren, ›Hallelujah‹ zum Beispiel. Dann ›Child in Time‹, ›Highway Star‹, ›Smoke on the Water‹, ›Space Truckin’‹. Das war die Musik, die ich selbst gern machen und erfinden wollte. Unsere ersten Lieder klangen dann ja auch so.«

Zumindest einige. Neben »Türen öffnen sich zur Stadt« und »Ikarus« eben vor allem »Vineta«. Die beiden rabiaten, sauber verzahnten Rhythmusgitarren von Dieter »Quaster« Hertrampf und Birr bilden ein solides Fundament für das lyrische Untergangsszenario. »Die Sage spricht von ihr / der Stadt Vineta. / Sie sank mit Mensch und Tier. / Mit allen Stuben. / Mit Stolz und Überhebung sank sie / ins kühle, nasse Grab. / Man weiß nicht mehr den Platz, / wo sie gestanden hat. / Es blieb nicht eine Katz, / nicht mal ein Mäuschen. / Sie nannte sich Vineta. / Neid und Hass trieb sie hinab.« So schnell kann es gehen mit dem blühenden Kapitalismus. Nichts bleibt übrig von den vielen Mäusen – »nicht mal ein Mäuschen«. Wer konnte denn 1973 ahnen, wie haltbar so ein Schweinesystem sein würde?

Der instrumentale Mittelteil, in dem sich Keyboarder Peter Meyer und Hertrampf an der Leadgitarre ordentlich aneinander reiben dürfen, inszeniert den brutalen, inhumanen Wettkampf in der freien Marktwirtschaft, und das fast schon avantgardistisch-noisige Ende klingt wie eine Onomatopoesie der Katastrophe. Das ist ziemlich artifiziell, wie Text und Musik hier an einem dicken Strang ziehen, und vor allem knallt es ganz apart. So lässt man sich gern ideologisch schulen!

Puhdys: »Die Puhdys« (Amiga)

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