Tageskonferenz: Der Bandera-Komplex
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Aus: Ausgabe vom 16.09.2023, Seite 4 (Beilage) / Wochenendbeilage
Bildreportage

Ein neues Algenmeer

Agroindustrie und Abholzung: Ein Strom aus Sargassum bedroht die Küsten Mexikos
Von Giuditta Pellegrini
Wichtiger Wirtschaftszweig: Rund fünf Millionen Touristen kommen jedes Jahr in den Bundesstaat Quintana Roo
Arsen und Schwermetalle freigesetzt: Eine Gefährdung für den Menschen soll es nicht geben
Im Moment gibt es keine andere Lösung als das Einsammeln der Algen mit Heugabeln oder das Anbringen von Netzen, um das Problem einzudämmen
Nicht nur die Algen verändern die Küste: In dem Hafen der kleinen Stadt Mahahual kommen täglich Kreuzfahrtschiffe an und lassen Tausende Touristen an Land
Eigentlich ein internationales Problem, betrifft es aufgrund der Strömungsverhältnisse hauptsächlich die Küste Mexikos

Seit 2011 sind schwimmende Makroalgen in die Karibik eingedrungen und haben ihr Erscheinungsbild tiefgreifend verändert. Das außergewöhnliche Wachstum der Arten Sargassum natans und Sargassum fluitans wird durch verschiedene Faktoren begünstigt, wie zum Beispiel dem Anstieg der Meeresoberflächentemperatur und der »Nährstoffzufuhr« »infolge der Abholzung und der agroindustriellen Aktivitäten im Amazonaswald«. So beschreibt es der 2017 in der Fachzeitschrift Biogeosciences veröffentlichte Bericht »On the potential causes of the recent Pelagic Sargassum blooms events in the tropical North Atlantic Ocean«. Einigen Forschern zufolge könnte die Vermehrung der Algen auch durch die Explosion der BP-Plattform »Deepwater Horizon« im Jahr 2010 verursacht worden sein.

Erstmals von Kolumbus vor der Ostküste der Vereinigten Staaten entdeckt, sammelt sich das Sargassum mit seinen steifen Blättern und kleinen runden Früchten zu riesigen schwimmenden Inseln, die Nahrung für Fische und Unterschlupf für neugeborene Schildkröten bieten. Südlich dieser Sargassosee hat sich nun jedoch seit Anfang der vergangenen Dekade ein neues Algenmeer entwickelt. Bis Mitte 2018 hat es eine 5.600 Meilen lange lebende Brücke zwischen dem Karibischen Meer und der afrikanischen Küste gebildet, wie das Portal Infoamazonia im April 2021 berichtete. Das Sargassum-Satellitenfrühwarnsystem der »Nationalen Kommission für die Kenntnis und Nutzung der biologischen Vielfalt« der mexikanischen Regierung hat vier Millionen Tonnen Algenmasse ermittelt, die sich allein an den Stränden des Bundesstaates Quintana Roo ansammeln.

Das Problem ist nicht die Pflanze selbst, sondern ihre Fähigkeit, sich in nur 15 Tagen auf bis zu 20 Quadratmeter zu vermehren. Die Folgen sind enorm und vielfältig. Analysen der Meeresgewässer, in denen Sargassum verbleibt, haben das Vorhandensein von Arsen und Schwermetallen ergeben, die von der Pflanze freigesetzt werden. Bislang haben sich die Konzentrationen bei Kontakt mit dem menschlichen Körper noch nicht als gefährlich erwiesen, aber die Daten sind in einem Gebiet wie der sogenannten Riviera Maya, in das jedes Jahr fünf Millionen Besucher kommen, von besonderer Bedeutung.

Die zahlreichen Arbeiter, die Berge von Sargassum mit Heugabeln oder Traktoren einsammeln, um es vor den Augen der Touristen in den Luxusresorts zu verbergen, helfen da wenig. Das Problem ist auch die Entsorgung der Pflanze, die in der Zersetzungsphase nicht nur einen stechenden Geruch verströmt, sondern auch giftige Abwässer und schädliche Stoffe wie Schwefelwasserstoff und Treibhausgase wie Methan freisetzt: eine mühsame Angelegenheit, die das gesamte Meeresökosystem betrifft, von den Riffen bis zu den Feuchtgebieten wie den Mangrovenwäldern, mit direkten Auswirkungen auf die Fischerei und die Tierwelt.

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  • Leserbrief von Alex Bunzelmann (22. September 2023 um 09:00 Uhr)
    Arsen und Schwermetalle aus dem Nichts? Offenbar werden diese Giftstoffe durch diese Alge doch gebunden, da sie im Meer vorhanden sind? Im Artikel wird die Vermutung mit der explodierten BP-Plattform ja genannt. Mir fehlt bei solcherart dramatisierenden Berichten regelmäßig die materielle Grundlage, die materialistische Analyse, weswegen ich die junge Welt doch eigentlich habe. Ohne das könnte man sich den Zusatzteil am Wochenende und leider oft auch Beiträge im Feuilleton sparen.
  • Leserbrief von Bernd Schöser aus Leisnig-Sachsen (17. September 2023 um 18:18 Uhr)
    Vielen Dank für den informativen Beitrag! Jedoch scheint mir die Zahl von »4 Mio. to Algenmasse täglich« doch unvorstellbar hoch.
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Martin M. aus Paris (16. September 2023 um 22:42 Uhr)
    Empfehle den franz. Film »Grüne Algen«, der auf tatsächlichen Begebenheiten basiert. Les algues vertes von Pierre Jolivet https://www.imdb.com/title/tt22534718/ https://www.rts.ch/info/culture/cinema/14278834-les-algues-vertes-de-pierre-jolivet-met-a-nu-un-scandale-ecologique-majeur.html

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