Rosa-Luxemburg-Konferenz am 13.01.2024
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Aus: Ausgabe vom 16.09.2023, Seite 1 (Beilage) / Wochenendbeilage
Asyl in Österreich

»Jeder Angriff auf Geflüchtete ist ein Angriff auf die Arbeiterklasse«

Über das Asylsystem ist Österreich, Behördenwillkür und die Notwendigkeit der Organisierung. Ein Gespräch mit Kübra Atasoy
Interview: Dieter Reinisch, Wien
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Ein österreichischer Soldat vor Geflüchteten, die darauf warten, die Grenze von Slowenien nach Spielfeld in Österreich zu überqueren (2015)

Sie sind schon lange politisch aktiv und leiten mittlerweile die Nichtregierungsorganisation »Asyl in Not«. Was zeichnet deren Arbeit aus?

Asyl in Not ist mittlerweile eine gut gewachsene politische Organisation, die sich lange Zeit als »NGO neuen Typs« beschrieben hat. Es ist eine Menschenrechtsorganisation, die den politischen Kampf um das Recht auf Freizügigkeit und freie Bewegung mit juristischen Mitteln verbindet. Das bedeutet für uns, dass wir eine grundlegende juristische Ausbildung für das Asylverfahren haben und dies auch anbieten.

Wir vertreten Geflüchtete im Asylverfahren, aber auch in fremdenrechtlichen Belangen, und beraten Opfer von Gewalt. Unsere Erfahrung zeigt: 99 Prozent der Personen, die von Gewalt betroffen sind und zu uns kommen, sind Frauen. Gerade wenn der Aufenthalt an einen Partner gebunden ist, versuchen wir, möglichst rasch eine Existenzsicherung zu betreiben, um überhaupt gegen die Gewalt wirksam handeln zu können.

Wir versuchen, die Gewalt, die Frauen erleben, politisch im Asylverfahren geltend zu machen. Für uns ist das auch politische Verfolgung aufgrund der Geschlechtszugehörigkeit, die in klassischen Fluchtkontexten konkrete Formen annimmt. Das kann die Bedrohung durch eine Zwangsverheiratung, frauenspezifische Gewalt, systematische Vergewaltigungen im genozidalen Kontext, FGM (Female genital mutilation, dt.: weibliche Genitalverstümmelung, jW) sein. Aber auch sogenannte privat erfahrene Gewalt hat für uns Verfolgungscharakter, und unser Ziel ist es, dies in Österreich auch juristisch durchzusetzen, weil es das bisher noch nicht ist.

Wir unterstützen auch Repressionsbetroffene in verwaltungsrechtlichen Verfahren. Das bedeutet oft rassistisch motivierte Polizeikontrollen oder Strafen. Zuletzt haben wir einen Wiener Künstler vertreten, der mit Kreide ein Bild vor die US-Botschaft gemalt hat von der Tötung Patrick Lyoyas, der von zwei Polizisten regelrecht hingerichtet wurde (Lyoya wurde am 4. April 2022 in Michigan erschossen, jW), und der Künstler hat dafür Strafen bekommen. Mit unserer Unterstützung wurde diese Strafe aufgehoben.

Wer sind Ihre Klienten? Und in dem Zusammenhang: Als NGO sind Ihre Ressourcen begrenzt. Wie wählen Sie aus, wen Sie vertreten?

Wir haben politische Kriterien, wen wir vertreten. Wir vertreten keine Verfolger, auch wenn die irgendwann vielleicht Verfolgte werden. Ein Beispiel dafür sind die Anhänger der Gülen-Bewegung in der Türkei, die nach dem Putschversuch 2016 stark von Repression und Folter betroffen waren. In den zwei Jahrzehnten davor haben sie aber in jeder Stelle des Staates, in der sie aktiv waren, Kurden malträtiert, sei es in ihrer Rolle als Staatsanwälte, Richter, Polizisten. Da haben wir relativ viele Leute abweisen müssen und das auch gerne gemacht. Unsere Begründung war immer, dass wir keine Verfolger vertreten.

Um unseren Klientinnen einen sicheren Raum zu bieten, vertreten wir auch keine Vergewaltiger und Männer, die Gewalt gegen Frauen ausgeübt haben – auch im Paarkontext. Wenn sich das irgendwann herausstellt, vertreten wir weiter Frauen und Kinder, und der Mann muss sich selbst um eine Vertretung kümmern. Das sind die inhaltlichen Ausschlusskriterien.

Welche anderen gibt es noch?

Es gibt auch ein paar technische Kriterien: Leute, die schon anwaltlich vertreten sind und mitten im Verfahren merken, dass »Asyl in Not« vielleicht besser ist. Zu denen sagen wir, dass jene, die noch keine Vertretung haben, Vorrang besitzen.

Wir haben ein großes Bewusstsein für spezifische rassistische Kontexte. Das heißt, auch in der Frage, wie wir vertreten und wie weit wir vertreten, haben wir gewisse interne Tendenzen. Wir lassen etwa schwarze Männer nicht allein, wenn es zu Behördenkontakten kommt. Die Willkür in den Behörden ist so groß, dass sie sehr oft mit Haft bedroht werden. Menschen, die im Grunde wieder an ihren Wohnort entlassen werden sollen, werden statt dessen gemeinsam mit der Polizei in eine Flüchtlingsunterkunft transportiert. Da würden wir dann oft den Kontakt verlieren. Das betrifft schwarze Männer überproportional mehr als jede andere Klientengruppe.

Anders als in Deutschland haben wir in Österreich andere Menschen, die kommen und Schutz suchen. In Deutschland mit seiner Kolonialgeschichte sind es ganz andere Gruppen. In Österreich haben wir etwa das ganze Jahr keinen Antrag von Eritreern. In Deutschland gibt es kaum Asylanträge von Tschetschenen, während in Österreich eine der größten Klientengruppen Tschetschenen sind, gemeinsam mit Syrern, Afghanen, Irakern, Kurden; und im Vergleich zu Deutschland kommen mehr Westafrikaner. In Deutschland habe ich den Eindruck, dass Ostafrikaner viel öfter um internationalen Schutz ansuchen.

Bei den Tschetschenen ist es ein Sonderfall, da es oft keine klassischen Asylverfahren sind. Hier zeigt sich besonders die Behördenwillkür. Die größte Gruppe von Tschetschenen, die wir vertreten, sind Leute, die seit Jahrzehnten durchgehend einen Aufenthaltsstatus bis hin zu internationalem Schutz in Österreich hatten. Es ist derzeit sehr spürbar, dass die interne Weisung aus dem Innenministerium ist, möglichst viele Tschetschenen zu schikanieren, ihren Aufenthalt unsicher zu machen. Es ist unklar, wie konkret die Informationsflüsse innerhalb der Behörden sind, weil schon bei Kleinigkeiten Aberkennungsverfahren durch die Hintertür eingeleitet werden, noch bevor es zu Straffälligkeit kommt. Es kommt zu Fällen von Sippenhaftung.

Ein konkretes Beispiel: eine Mutter, die ihre eigene schwerkranke Mutter besuchen wollte und für sich entschieden hat, das Risiko auf sich zu nehmen und sie zwei Wochen lang zu besuchen. Der gesamten Familie, auch jenen, die in Österreich geblieben und nicht nach Russland gegangenen sind, wurde der Asylstatus aberkannt. Ein skandalöses Urteil, das tatsächlich vom Gericht bestätigt wurde.

Sie vertreten keine Verfolger, sagen Sie. Wie können Sie das im konkreten Fall wissen?

Interessanterweise pflegen die Leute einen offenen Umgang. Es gibt aufschlussreiche Verfahrensunterlagen, andererseits sind wir spezifisch darauf geschult, Gewaltkontexte zu erkennen, unserer Intuition zu vertrauen und diese Dinge offen anzusprechen. Wo wir Fragen haben, machen wir das explizit und führen Einzelgespräche mit den mutmaßlichen Tätern. Dort, wo gefragt wird, bekommen wir durchaus selbstreflektierte und ehrliche Antworten. Aber selbstverständlich können wir nicht alles wissen.

Zurück zu Österreich: Sie erwähnen immer wieder Behördenwillkür. Wie ist die Situation im Land, was sind die Trends?

Dafür muss ich ein wenig ausholen. Wir haben derzeit in Österreich eine sehr geringe Asylantragsquote, auch wenn sie im letzten Herbst von jeglichen Ministerien der Regierungspartei ÖVP wahnsinnig hochgepuscht wurde: Hunderttausende Asylsuchende kommen über die Grenzen – Millionen und Milliarden Asylanträge! Das wurde gesagt.

In der Tat musste jeder, der über die Grenze kommt, einen Asylantrag stellen. Das war eine polizeiliche Weisung. Jeder Mensch, der in Österreich aufgehalten wurde, wurde damals im Herbst 2022 in die Statistik aufgenommen. Doch wie so oft hat die ÖVP da nicht viel weiter gedacht in ihrer Panikmache. Diese Zahlen haben sich nämlich nicht in der Grundversorgung niedergeschlagen. Die Diskrepanz war sehr groß: sehr wenige Menschen, die in Österreich in der Grundversorgung sind – die auch Ukrainer umfasst – und im Gegensatz dazu eine eklatant hohe Zahl an Asylanträgen, die sich weder in den Verfahren noch bei uns in der Beratung und in der Grundversorgung, also den Flüchtlingsunterkünften und den Versorgungseinrichtungen, niederschlägt.

Wie kann das sein?

Um das zu verstehen, muss man etwas zurückgehen und sich das Innenministerium ansehen: Es hatte 2017/18 eine riesige Rekrutierungswelle gestartet. 400 Personen wurden eingestellt, um mit den sogenannten Nachwehen des »Sommers der Migration« umzugehen. Mehr Beamte einstellen führt in der Regel nicht zu effizienterer Bürokratie. Sie haben es dennoch gemacht, und in weiterer Folge wurden die Asylantragszahlen halbjährlich halbiert. Wir haben also einen riesigen Beamtenapparat, der die klassischen Asylverfahren führt, die aber von geringer Zahl sind. Zum Vergleich: Wir hatten 2017 bei den offenen Beratungen, zu denen jeder kommen kann, im Mittel wöchentlich rund 60 bis 70 Beratungen. Wir pendeln uns jetzt bei Zahlen wie vor 2015 ein, wo wir im besten Fall vielleicht 15 Beratungen durchführten. Dies liegt daran, dass die Menschen den Weg nach Europa nicht mehr überleben, und dort, wo sie es schaffen, werden sie nicht mehr weiter hereingelassen. Wir erleben die Realität der Pushbacks. Leute schaffen es nicht mehr nach Österreich.

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Und die Behördenwillkür?

Die zeigt sich da, wo es Beamten scheinbar langweilig wird. Wir merken, dass gezielt Menschen einer bestimmten Herkunft herausgezogen und mit komplett willkürlichen Aberkennungsverfahren schikaniert werden. Asyl ist etwas, das sowieso jederzeit aberkannt werden konnte und wird. Es gibt bestimmte Asylausschlussgründe und Taten, wodurch man es verliert. Einer davon ist, sich wieder in den Schutz des Herkunftslandes zu stellen. Das ist klar definiert: Zwei Wochen Besuch bedeuten noch nicht, dass man sich wieder in den Schutz des Herkunftslandes stellt. Die klassischen Ausschlussgründe sind: Mord, schwere Verbrechen und Suchtmittel. Hier arbeiten unterschiedliche Bereiche des Behördenapparats zusammen.

Im Suchtmittelkontext wird wahnsinnig rassistisch motiviert kontrolliert. Und es wird wahnsinnig rassistisch motiviert verurteilt. Ich gebe gerne dieses Beispiel: Die gleiche Menge an Cannabis wird bei einem österreichischen Studenten, der auf dem Rad damit aufgehalten wird, mit einem Schulterklopfer und einer kleinen Verwarnung quittiert. Bei Menschen, die rassifiziert werden, führt es dagegen hunderprozentig zu einer Verurteilung für Besitz und dem Vorwurf, es verkaufen zu wollen und in den Markt zu bringen. Das führt dann in weiterer Folge zur Einleitung eines Aberkennungsverfahrens.

Gerade im tschetschenischen Kontext sehen wir, dass besonders viele Aberkennungsverfahren eingeleitet werden. Hier spielt der gesamte Staat eine Rolle, auch bereits die Jugendämter. Nicht jede jugendliche Auseinandersetzung sollte zur Aberkennung führen. Noch bevor es zu einer Verurteilung kommt, wissen wir, dass das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, BFA, bereits informiert wird über die Verfahren, die ermittelt werden. Im Laufe des Ermittlungsverfahrens werden bereits Aberkennungsverfahren eingeleitet. Da ist die Informationskette relevant: Sind das illegale Abfragen, oder ist das Behördenkooperation? Jede Staatsanwaltschaft bezieht in Ermittlungsverfahren sofort das BFA ein. Das sind für den Rest der österreichischen Bevölkerung undurchsichtige Kontexte.

Was wir in Österreich in der Linken immer wieder betonen: Geflüchtete sind Teil der Arbeiterklasse. Das ist auch Teil unserer Arbeit, den Leuten zu erklären, dass jeder Angriff auf Geflüchtete ein Angriff auf die Arbeiterklasse ist. Wenn die Behördenkooperation undurchsichtig und illegitim ist, wird dasselbe in sozialrechtlichen und mietrechtlichen Belangen für die gesamte österreichische Bevölkerung auch relevant werden. Im Flüchtlingskontext zeigen sich Tendenzen der Repressivität eines Staates. Es sind die Trockenübungen für großflächigen Sozialabbau.

Was denken Sie, weshalb trifft die Willkür bestimmte Gruppen?

Ich kann nur mutmaßen. Einmal begann die Behörde völlig willkürlich Zahlscheine für Übersetzungskosten an Männer aus Westafrika, vor allem aus Nigeria, auszusenden, obwohl diese Kosten im Asylverfahren beinhaltet sein sollten. Wir haben recherchiert und bemerkt, dass es einzelne regionale Leitstellen sind, die das getan haben. Wie viele Personen das zahlen, wissen wir nicht. Wir kennen nur die Leute, die zu uns kommen, und aufgrund der mangelnden Politisierung der anderen NGOs werden solche Sachen nicht öffentlich diskutiert. Auch ein hoher Organisierungsgrad macht dich in Österreich zur Zielscheibe, wir sehen das besonders bei Fällen von Kurden.

Wohin entwickelt sich denn das Asylsystem in Österreich?

Hin zu einer Abschaffung des Asylrechts. Pushbacks werden legitimiert, Personen, die hier sind, wird es verunmöglicht, einen Asylantrag zu stellen, und es wird verhindert, dass Leute überhaupt herkommen. Außerdem gibt es eine außerordentliche Instanzenverschiebung. Die Verfahren werden bürokratisiert und entpolitisiert.

Macht es einen Unterschied, wie sich die Regierung zusammensetzt?

Ja, absolut. Eine FPÖ-Regierungsbeteiligung führt nicht automatisch zu einer Asylrechtsverschärfung. Was aber eine FPÖ-Regierungsbeteiligung gebracht hat, ist ein unbeschreibliches Selbstbewusstsein im Beamtenapparat. Das Gefühl, alles tun zu können, was man will, ohne jemals dafür belangt zu werden. Das macht es schwer, Amtsmissbrauch nachzuweisen. Die Schwelle dafür ist in Österreich sehr hoch.

Die Art und Weise, wie Menschen im Asylverfahren behandelt werden, wie Menschen angesprochen werden, wie sich über sie lustig gemacht wird, wie sie rassistisch und sexistisch beleidigt werden. Das absichtlich unordentliche Führen von Akten, keinerlei Ermittlungen, am Telefon nicht erreichbar sein, den Menschen Dokumente abnehmen, die sie brauchen und die nicht zurückgegeben werden. Oder auch geplatzte Termine vorher nicht absagen, obwohl die Menschen mit ihren 40 Euro Taschengeld monatlich anreisen müssen. Das alles hat eine neue Qualität erreicht.

Sieht denn man eine Änderung durch die »grüne« Regierungsbeteiligung der letzten drei Jahre?

Außer in der Desillusionierung von Grünen-Wählern nein, absolut nicht. Die Partei hat sich einen Maulkorb verpasst. Es gibt nicht einmal ein Gesprächsangebot an NGOs wie noch in früheren Jahren.

Sehen Sie einen Unterschied in der Behandlung von ukrainischen Flüchtlingen im Vergleich zu Personen aus anderen Herkunftsländern?

Absolut, in jedem einzelnen Bereich. Die Geschwindigkeit, mit der Maßnahmen, für die andere Migranten teilweise seit Jahrzehnten kämpfen, umgesetzt werden: sofortiger bilingualer Unterricht in gemischten Gruppen, Schutzräume für Frauen, Zugang zum Arbeitsmarkt, zu kulturellen Einrichtungen, Wohnraum, Rechtssystem. Von heute auf morgen wurde das umgesetzt. Das bestätigt uns natürlich, dass diese Umsetzung möglich ist.

Ich bin froh, dass eine Generation an ukrainischen Kindern diese Maßnahmen bekommt. Aber mir blutet das Herz um alle anderen Kinder, die im sprachlichen Kontext diskriminiert und rassistisch behandelt werden. Bis heute kämpfen Migranten, die seit Jahrzehnten da sind, dafür, ihre Sprache verwenden und lernen zu können, und im ukrainischen Kontext war das alles sofort möglich.

Selbstverständlich wissen wir, dass die gesamte kapitalistische Produktionsweise rassistisch motiviert ist, aber das in Aktion zu sehen, hat die Generation-Z-Kids mit Migrationshintergrund hoffentlich angefacht, aber zuallererst hat es sie desillusioniert.

Was kann gegen die Situation gemacht werden?

Als gelernte Marxistin muss ich eine Klassenanalyse machen, und da desillusioniert mich die Linke sehr. Wir müssen zeigen und verstehen, welche Rolle Rassismusbetroffene, Migranten, innerhalb der Arbeiterklasse einnehmen. Unser Kampf ist ein Teil der globalen Befreiungskämpfe. Unsere Arbeit dient dazu, Menschen in Österreich ihre Organisierung innerhalb der Arbeiterklasse überhaupt erst zu ermöglichen. An dem Punkt, an dem ich keinen Aufenthaltsstatus habe, von ständiger Repression betroffen bin und mir Organisierung verboten wird, habe ich keine Möglichkeit, an einem Klassenkampf, weder ökonomisch noch politisch, teilzunehmen.

Der Kampf für den Aufenthaltsstatus und die Organisierung von Menschen, die nach Europa kommen, während Europa ihre Länder zerschießt und islamistische Milizen finanziert, ist Teil der Befreiungsbewegungen. Wir verstehen uns als Teil der Arbeiterklasse. Der Vorwurf der Stellvertreterinnenpolitik wird immer wieder in den liberalen, postmodernen Debatten an uns herangetragen. Aber wir weisen das zurück: Wenn ich hier aufgewachsen bin, dann muss ich die Werkzeuge des Klassenkampfs, die mir zur Verfügung stehen, teilen, damit auch andere Menschen kämpfen können.

Kübra Atasoy ist langjährige politische Aktivistin in Wien, Antirassismusexpertin und Linguistin. Sie ist Vorsitzende und Geschäftsführerin von »Asyl in Not«, einer politischen Menschenrechts-NGO, die Geflüchtete im Asylverfahren vertritt. Ihre Großeltern kamen als Arbeitsmigranten aus der Türkei nach Österreich

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  • Leserbrief von Roland Winkler aus Aue (20. September 2023 um 12:12 Uhr)
    Spätestens seit 2015 ist das Thema Flüchtlinge, Asyl, Migration übergreifendes Stimmungsthema auch deutscher Bevölkerung. Spätestens seit 2015 haben rechte, nationalistische Kräfte das Flüchtlingsthema zu ihrem Thema gemacht. Spätestens seit 2015 hat es jede Regierung, deutsche Politik bei reinster Heuchelei und Verlogenheit, zum grundlegenden Menschenrechtsthemen belassen. Nie hat deutsche Politik ernsthaft rechter Stimmungsmache, dem Fremden- und Ausländerhass den Kampf angesagt. Mit jeder Flüchtlingswelle schwappt Hass und Hetze gegen Asyl- und Schutzsuchende in der Stimmung der Bevölkerung über. Initiatoren dessen finden sich seit Jahrzehnten auf politischen Ebenen. Spuren der Gewalt sind seit vielen Jahren, seit Beginn der 90er Jahre bis heute eindrucksvoll belegt und sprechen dem, was Politik und Regierende unentwegt zu Menschenrechten, Moral, Menschlichkeit und Werten von sich geben, nur Hohn und Spott. Menschliche Solidarität, Mitgefühl, Hilfe, Mitmenschlichkeit, das haben Regierende neben ihren Sonntagsreden immer den Menschen überlassen, die sich freiwillig, unentgeltlich, mitmenschlich den Asylsuchenden, Geflüchteten und Vertriebenen in vielfältiger Hilfe opfern.
    Es kann kaum verwundern, wenn Doppelmoral, Heuchelei und Verlogenheit nur den besten Nährboden für rechtes Gedankengut, Ausländer- und Fremdenhass seit vielen Jahren bietet.
    An der Zustimmung und Ergebnissen rechter bis faschistischer, nationalistischer Kräfte bei Wahlen oder öffentlichen Auftritten kann es jeder ablesen. Schauprozesse gegen rechte Gewalttäter haben an der gesamten Stimmungslage nie etwas grundlegend geändert.
    Wechselnde Regierungen haben in der Flüchtlingsfrage und Stimmungsmache nie große Unterschiede erkennen lassen.
    »Jeder Angriff auf Geflüchtete ist ein Angriff auf die Arbeiterklasse«, sagt Kübra Atasoy zutreffend. Es stellt dann die Frage, welche Partei in Deutschland hat noch einen Bezug zur Klassenfrage, das Verständnis dafür?
    Seit Jahren wird deutsche Bevölkerung Zeuge grausamsten Umgangs mit Flüchtlingen an deutschen Grenzen, Grenzen der EU, auf dem Mittelmeer, der Abschottung hinter Zäunen, Mauern und vor Bewaffneten. Im Nazijargon hören wir von »Ungeziefer«. Staat und Politik bezeichnet Geflüchtete gern als Sozialschmarotzer. Wen wundert es, wenn Bevölkerung diese Stimmung aufnimmt, in täglichen Hass gegen Menschen auslebt? Keine neue Praktik, dem Volke Feindbilder zeigen und es sieht die wahren Feinde und Peiniger nicht mehr.
    Es hat seinen Grund, wenn alle Heuchelei, Verlogenheit und scheinheilige Tränen der Regierenden es tunlichst vermeiden, der Bevölkerung die Ursachen von Flucht und Vertreibung anschaulichst zu erklären, das eigne Zutun seit Jahrzehnten zu erklären. Keiner derer, die gern ihren Fremdenhass öffentlich freien Lauf lassen, würden bei jedem persönlichen Mißgeschick nie vergessen nach den Ursachen zu fragen. Warum nicht bei Flucht und Vertreibung ganzer Völker, vieler Millionen Menschen der Welt? Die selbsternannte wertebasierte westliche Staatengemeinschaft, wie sie sich unentwegt feiert, deren Antwort auf das Elend von zahllosen Flüchtlingen ist unwürdiges Gefeilsche darum, wie die Menschen fernzuhalten, zu bekämpfen sind und wer von der imperialen Räuberbande am meisten ungeschoren aus dem Menschendilemma herauskommen kann.
    Diese Gesellschaft ist unfähig, Menschheitsprobleme im Interesse der Menschheit zu lösen. Welche Beweise braucht es noch?
  • Leserbrief von Antun Zonger aus A 2261 (17. September 2023 um 22:40 Uhr)
    Ja, da ist ein großer Angriff auf die Arbeiterklasse im Gange. Bei uns in Österreich gilt § 4 AsylG, dessen Absatz 1 ich hier zitieren möchte: (1) Ein Antrag auf internationalen Schutz ist als unzulässig zurückzuweisen, wenn der Drittstaatsangehörige in einem Staat, mit dem ein Vertrag über die Bestimmungen der Zuständigkeit zur Prüfung eines Asylantrages oder eines Antrages auf internationalen Schutz nicht besteht oder die Dublin-Verordnung nicht anwendbar ist, Schutz vor Verfolgung finden kann (Schutz im sicheren Drittstaat). https://www.jusline.at/gesetz/asylg/paragraf/4 »Ist als unzulässig zurückzuweisen« – kein Antrag, kein Verfahren, kein Asyl, Abschiebung ins EU-Eintrittsland nach Art 13–16 Dublin-VO oder nach § 41 FPG ins Nachbarland, aus dem eingereist wurde. Leitet ein Beamter trotzdem, also entgegen § 4 AsylG ein Verfahren ein, so gilt: Strafgesetzbuch, falsche Beurkundung und Beglaubigung im Amt § 311. Ein Beamter, der in einer öffentlichen Urkunde, deren Ausstellung in den Bereich seines Amtes fällt, ein Recht, ein Rechtsverhältnis oder eine Tatsache fälschlich beurkundet oder der an einer Sache ein öffentliches Beglaubigungszeichen, dessen Anbringung in den Bereich seines Amtes fällt, fälschlich anbringt, ist, wenn er mit dem Vorsatz handelt, dass die Urkunde im Rechtsverkehr zum Beweis des Rechtes, des Rechtsverhältnisses oder der Tatsache gebraucht oder die Sache im Rechtsverkehr gebraucht werde, wenn die Tat nicht nach § 302 mit Strafe bedroht ist, mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren zu bestrafen. https://rdb.manz.at/document/ris.n.NOR12029861. An Hand dieser Gesetzestexte fällt der Nachweis leicht, dass es sich bei der Republik Österreich wohl eher nicht um einen Rechtsstaat handelt. Was den Aspekt »Arbeiterklasse« betrifft, unterstelle ich einem gewissen Edmund Sackbauer, den folgenden Satz gesprochen zu haben: »Proletarier aller Länder, vereinigt euch! Aber doch nicht alle bei mir in der Hasengasse!«

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