50 Jahre Putsch in Chile: jW-Reihe
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50 Jahre Putsch in Chile: jW-Reihe
Aus: Ausgabe vom 16.09.2023, Seite 12 / Thema
Nazikunstraub

Mit allen Mitteln

Der Kunsthändler Walter Andreas Hofer unterstützte Hermann Göring tatkräftig bei der Beschaffung von Bildern und setzte seine Karriere nach 1945 mehr oder weniger bruchlos fort
Von Horsta Krum
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Geraubt und abgepresst – maßgeblich mit Hilfe Walter Andreas Hofers. US-Soldaten in Berchtesgaden stellen Teile der Kunstsammlung Hermann Görings sicher (Mai 1945)

Der 1893 geborene Kunsthändler Walter Andreas Hofer hatte in den 1930er Jahren eine bemerkenswerte Karriere durchlaufen. Von dem deutschen Kunstsammler Gottlieb Reber in Rom und Paris eingeführt, ließ er sich 1934 in Berlin nieder und zählte bald den Reichsluftfahrtminister und Organisator der wirtschaftlichen Kriegsvorbereitung, Hermann Göring, zu seinen bedeutendsten Kunden. Für ihn beschaffte Hofer vor allem Gemälde, während seine Ehefrau Bertha Hofer für den zweitmächtigsten Mann nach Hitler im Deutschen Reich als Restaurateurin arbeitete. Göring hatte sich zum Ziel gesetzt, eine große Kunstsammlung aufzubauen, legte aber Wert auf niedrige Kosten.

Zunächst kaufte Hofer hauptsächlich in Deutschland, auch in Auktionshäusern, die von Notverkäufen jüdischer Familien und Galerien profitierten. Entsprechend günstig waren die Preise. Als die Wehrmacht im Frühjahr 1940 die westlichen Nachbarländer überfiel, hielt Hofer sich oft in den Niederlanden auf, manchmal von Göring begleitet. Aus Frankreich aber stammten die meisten Kunstwerke, die Görings riesige Kunstsammlung ausmachten. Das Pariser Museum Jeu de Paume diente als Depot für Hunderte von kostbaren Kunstwerken, die der Einsatzstab von Alfred Rosenberg, dem Chefideologen der Nazis, jüdischen Eigentümern geraubt hatte. Göring und Hofer besuchten es häufig und wählten Kunstwerke aus. Hofer kümmerte sich um den Transport in einem der Sonderzüge Görings. Rose Valland, die Leiterin dieses Museums, führte heimlich und unter Lebensgefahr Buch darüber, welche Kunstschätze, vor allem Gemälde, im Jeu de Paume eintrafen und wohin sie verschickt wurden.

Druck und Erpressung

Im Herbst 1941 suchte Hofer den kubistischen Maler Georges Braque auf, dessen Werke in Deutschland als »entartete Kunst« galten. Braque besaß auch Kunstwerke aus anderen Epochen, beispielsweise das »Bildnis eines jungen Mädchens« von Lucas Cranach dem Älteren, den Göring und Hitler schätzten. Hofer wusste von diesem Gemälde, wahrscheinlich durch einen seiner Spitzel. Weil Braques Sammlung von den deutschen Besatzern in Bordeaux sichergestellt worden war, deutete Hofer diesem an, er könne diese zurückerhalten, falls er bereit sei, das Cranach-Bild zu verkaufen, wie er Göring in einem Brief berichtete. Das Schreiben ist ein Beispiel dafür, dass Hofer auch vor dem Mittel der Erpressung nicht zurückschreckte.

Den weitaus größten und wertvollsten Teil der geraubten und gelegentlich auch bezahlten Kunstwerke ließ Göring auf sein Gut nach Carinhall in der Schorfheide nördlich von Berlin bringen, ein riesiges Grundstück mit mehreren Gebäuden, die ständig erweitert wurden. Dort wohnten Hofers seit Beginn des Jahres 1944. Anfang 1945 sorgte Hofer dafür, dass Görings Kunstsammlung nach Süddeutschland gebracht wurde, damit sie der anrückenden Roten Armee nicht in die Hände fiel. Die Gebäude ließ Göring sprengen und zog sich dann mit seiner Familie nach Bayern zurück. Nach seiner Festnahme durch die US-Armee in Österreich, musste er sich 1946 für seine zahlreichen Verbrechen vor dem Internationalen Nürnberger Gerichtshof verantworten, entging der Hinrichtung aber durch Selbstmord.

Die meisten Kunstschätze Hitlers, Görings und anderer Nazis befanden sich 1945 in Bayern und Österreich, dem amerikanischen Besatzungsgebiet. Dort verhörten die US-Amerikaner auch das Ehepaar Hofer. Über Walter Andreas Hofer heißt es im Protokoll, das von dem Gespräch angefertigt wurde: »Die Dokumente, die Zeugenaussagen und auch Hofers eigene Äußerungen stimmen darin überein, dass niemand auch nur annähernd einen solch starken Einfluss auf Göring und auf die Gestaltung der Kunstsammlung hatte wie Hofer und dass niemand quantitativ so viel zur Sammlung beitrug wie er und dabei die verwerflichsten Methoden anwandte.« Am Ende sprach eine Kommission folgende Empfehlung aus: »Was den Kunstraub angeht, so ist Hofer jedenfalls genauso schuldig wie Göring. Unsere Abteilung empfiehlt, dass er (…) als Kriegsverbrecher angeklagt wird.«

Aber was taten die Verantwortlichen, die den Bericht mit der daraus resultierenden Empfehlung bekamen und über ihn befinden sollten? Sie stellten ihn nicht vor Gericht, sie ließen ihn für sich arbeiten. In den Collecting Points, den Sammeldepots für sichergestelltes Kunst- und Kulturgut, besonders im Münchner Central Collecting Point (CCP), hatten sich inzwischen Tausende von Kunstwerken eingefunden, nicht nur aus Görings und Hitlers Sammlung; auch andere kunstbeflissene Nazis hatten gesammelt. Hofer sollte bei der Identifizierung helfen, denn er kannte Görings Sammlung am besten und wusste auch, wo Restbestände, die sich noch nicht im CCP befanden, zu suchen waren. Die Kunstwerke wurden, soweit möglich, identifiziert und an die ursprünglichen Eigentümer in den verschiedenen, vormals von Deutschland besetzten Ländern zurückgegeben, wobei die Aufzeichnungen der erwähnten Museumsleiterin Rose Valland eine große Hilfe waren. 1948/49 stellten die US-Amerikaner ihre Arbeit in den Collecting Points allmählich ein und übergaben die restlichen Kunstwerke an das Land Bayern.

1950 verurteilte ein französisches Militärtribunal Hofer zu zehn Jahren Gefängnis. Aber er entging der Strafe, weil die junge Bundesrepu­blik ihn nicht auslieferte. Bundeskanzler Konrad Adenauer und der französische Staatspräsident Charles de Gaulle konnten den von den Nazis organisierten Kunstraub zwar nicht übergehen, aber der westeuropäische Zusammenschluss vor dem Hintergrund des Kalten Krieges war ihnen wichtiger: Gemeinsam mit den USA bildeten sie eine Allianz gegen die Sowjetunion. So wurden Hofer und andere in den Nazikunstraub verstrickte Personen zwar verurteilt, aber weder die französische noch die bundesdeutsche Seite wurde tätig, um die Urteile zu vollstrecken, und die US-Amerikaner fühlten sich nicht mehr zuständig.

Ab November 1950 wohnten Walter Andreas und Bertha Hofer in München. Wie groß ihr Vermögen an Gemälden, Geld und sonstigen Wertgegenständen, die sie über den Krieg retten konnten, war, ist nicht bekannt. Bekannt ist aber, dass Hofer zusammen mit Görings Sammlung gegen Kriegsende auch eigenes Vermögen aus der Schorfheide nach Süddeutschland gebracht hat. Ein Teil lagerte auf dem Gelände von Burg Veldenstein nordöstlich von Nürnberg in einem kleinen Haus, das Hofer von Göring überlassen worden war. Was sich von Hofers Vermögen noch in den Gebäuden von Carinhall oder in der Umgebung von Berlin befand, konnte er wahrscheinlich nicht retten. Weitere Wertgegenstände, die Hofer gehörten, hatte der Münchener Kunsthändler Walter Bornheim in seinem Depot bei der Dresdner Bank in Tegernsee gelagert. Auch in der Schweiz, so der US-amerikanische Bericht vom September 1945, waren wahrscheinlich Gemälde und Bargeld deponiert.

Görings Leute

Görings ehemalige Mitarbeiter, die sich in München zusammenfanden, bildeten dort ein Nachkriegsnetzwerk, von dem alle profitierten. Es ließ freilich alte Rivalitäten nicht verschwinden, doch das Andenken Görings war wichtiger. In München, in der »Stadt der Bewegung«, konnten die Ehemaligen leichter an die gute alte Zeit anknüpfen. Innerhalb des Netzwerkes bildete sich eine kleine, verschwiegene Gruppe heraus, zu der außer dem Ehepaar Hofer auch Görings Sekretärin Gisela Limberger und Hitlers Kunstbeschaffer Karl Haberstock gehörten – und ­Görings Witwe Emma nebst ihrer Tochter Edda, die den Mittelpunkt der Gruppe bildeten.

Bald nahm Hofer wieder alte Geschäftsbeziehungen auf, beispielsweise mit Schweizer Händlern. Auch Bertha Hofer, die bereits in den 1930er Jahren in den USA gearbeitet hatte, wurde gleich nach 1945 wieder angefragt. Denn US-amerikanische Museen und Kunsthandlungen machten nicht nur während der Weltwirtschaftskrise gute Geschäfte, sondern profitierten auch während des Weltkrieges von Notverkäufen, zu denen Juden und andere Verfolgte in Deutschland gezwungen waren. Walter Andreas Hofer durfte nicht gleich in die USA einreisen. Vertreter der Besatzungsmacht hatten ihn ja als »Kriegsverbrecher« eingestuft. Mit der aufkommenden antikommunistischen Hysterie unter dem Republikaner Joseph McCarthy änderte sich das. Hofer durfte einreisen und war wieder als Geschäftspartner willkommen.

Aber Bertha Hofer war nicht nur im Ausland gefragt: 1955 restaurierte sie zum ersten Mal ein Gemälde für Adenauer. Der besaß eine vergleichsweise kleine Kunstsammlung, vorwiegend aus religiösen Bildern. Betreut wurde sie von dem Münchner Kunsthändler Heinz Kisters, der mit den Hofers bekannt war, auch wenn er nicht zu den »Ehemaligen« gehörte. Kisters stellte den Kontakt zwischen dem Kanzler und Bertha Hofer her. Adenauer war mit seiner Restauratorin hochzufrieden und bedankte sich für deren Arbeiten jedes Mal persönlich: »Sehr geehrte Frau Hofer! Als mein schönstes Namenstagsgeschenk kam der heilige Hieronymos an. Das Bild ist geradezu prachtvoll geworden und ist wohl – dank Ihrer Kunst – das schönste Gemälde, was ich besitze. Ich bewundere Ihre großartige Technik und das Einfühlungsvermögen, mit dem es Ihnen gelingt, die Ursprünglichkeit eines solchen Bildes wieder hervorzuzaubern. Nehmen Sie nochmals meinen herzlichen Dank entgegen.« Adenauer übertrieb nicht, denn Bertha Hofer war tatsächlich eine »Weltklasserestauratorin«, wie einer der »Ehemaligen« sich ausdrückte.

Das Lieblingsbild

Hofers besaßen ein Lieblingsbild: ein kleines, sehr kostbares Gemälde aus der Renaissancezeit, eine Madonna von Masaccio. Hofer hatte es 1941 in Berlin für 24.000 Reichsmark gekauft. Um die Jahreswende 1942/43 nahm er das Bild in Görings Sonderzug mit nach Florenz, um es dort von einem Fachmann schätzen zu lassen. Da sich Italien aber im September 1943 auf die Seite der Alliierten stellte, war das Bild plötzlich unerreichbar im feindlichen Ausland. Der Florentiner Fachmann, bei dem das Bild sich nach wie vor befand, versteckte es daraufhin in einem Kloster, wo es aber die italienische Polizei fand und in Staatsbesitz überführte.

Selbstverständlich unternahm Hofer alle möglichen Anstrengungen, um die kleine Kostbarkeit zurückzubekommen. Zunächst wandte er sich an Rodolfo Siviero, den Bevollmächtigten Italiens, der in München über die Rückgabe des von den Nazis geraubten italienischen Kunstbesitzes verhandelte. Hofer unterstützte ihn. Im Gegenzug versprach Siviero seine Hilfe, damit Hofer sein Bild zurückbekäme. Hofer hatte ihm eine hohe Summe Geld zugesagt, falls Sivieros Bemühungen erfolgreich sein würden. Doch Hofer gab sich nicht mit der mündlichen Zusage Sivieros zufrieden: Er schrieb Briefe an US-amerikanische und italienische Behörden, berief sich auf Siviero, legte Bescheinigungen vor usw. usf. Aber seine Bemühungen waren vergeblich, denn das Gemälde befand sich in Staatsbesitz, daran ließ sich nicht rütteln.

1953 beschlossen Adenauer und der italienische Staatschef Alcide De Gasperi die Einsetzung einer deutsch-italienischen Kommission, die über die Rückgabe des italienischen Kunstbesitzes verhandeln sollte. Die Verhandlungen waren äußerst schwierig und endeten erst 1983 mit dem Tod Sivieros. Dieser vertrat hartnäckig den Standpunkt, dass die bundesdeutsche Seite alle Kunstwerke zurückzugeben habe, auch solche, die geschenkt oder bezahlt worden seien, schließlich hätten Hitler, Göring und deren Bevollmächtigte stets Druck ausgeübt und die Verkäufer erpresst.

Als sich die Kommission 1956 traf, bat der bundesdeutsche Verhandlungsleiter Friedrich Janz Siviero, er möge allein kommen. Siviero war überrascht, denn tatsächlich wollte Janz über die Rückgabe des Masaccio-Bildes verhandeln. Die Bundesrepublik sei bereit, das Bild zu kaufen. Siviero versprach, den Fall prüfen zu lassen. Nach gut einer Woche gab er Bescheid: Das Masaccio-Bild befände sich in Staatseigentum, eine Rückgabe bzw. ein Verkauf könne nur durch eine Gesetzesänderung geregelt werden. Eine solche aber sei unrealistisch, weil sie eine große öffentliche Diskussion auslösen würde.

Wie hatte Hofer es geschafft, seinen privaten Wunsch zu einer öffentlichen Angelegenheit der BRD zu machen? Janz war ein Vertrauter Adenauers. Während der deutsch-italienischen Verhandlungen, die sich über viele Jahre hinzogen, telefonierten die beiden immer wieder. 1955 hatte Bertha Hofer begonnen, für den Kanzler zu arbeiten. Sie schrieb ihm damals, dass sie sehr gern kostenlos für ihn tätig werden würde, um »dadurch einen kleinen Teil des Dankes abstatten zu dürfen, den Ihnen mit mir das ganze Deutsche Volk für Ihre Bemühungen um die Rückführung unserer Gefangenen entgegenbringt«. Es ist also davon auszugehen, dass Adenauer auf Anregung Bertha Hofers seinen Vertrauten Janz beauftragte, das Masaccio-Bild auf die Tagesordnung der deutsch-italienischen Kommission zu setzen. Allerdings war die Mühe auch diesmal wieder vergeblich. Aber Hofer gab nicht auf.

Dann eben stehlen

Während der 1960er Jahre machte eine Diebes- und Hehlerbande von sich reden, die wertvolle Kunstwerke stahl und von den Medien als »Kunstmafia« bezeichnet wurde. Der Zelteverleiher und Millionär Franz Josef K. gehörte dieser Bande an. K., der als Kunstsammler bekannt war, unterhielt auch Kontakt zu Hofer. K. erschien Hofer als der richtige Verbündete, um doch noch an sein Bild zu gelangen. Beide beschlossen, drei erprobte Einbruchspezialisten zu beauftragen. Die sollten aus dem Florentiner Palazzo Vecchio zwei kleine Gemälde entwenden: das Masaccio-Bild für Hofer und das »Portrait eines Edelmannes« von Hans Memling aus dem Jahre 1455 für K. Letzteres hatte Hitler einst für sein geplantes Museum in Linz aus Italien beschaffen lassen. Vom Münchner Collecting Point aus war es nach 1945 an Italien zurückgegeben worden. Vermutlich waren Hofer und die drei beauftragten Männer nach Florenz gereist, um zunächst die Ausstellung zu besuchen und sich zu orientieren. Hofer musste ja das Memling- und das Masaccio-Bild identifizieren, und die Männer mussten sich ortskundig machen.

Die Ausgangsbedingungen für den Diebstahl waren äußerst günstig. Zum einen besaßen die Türen des Museums nur einfache Schlösser, und die Bilder waren nicht eigens gesichert. Zum anderen streikten die Angestellten der Stadt Florenz, so dass alle öffentlichen Gebäude geschlossen blieben. Lediglich ein Notdienst, bestehend aus ehemaligen Museumswärtern, die inzwischen verrentet waren, wurde aufrechterhalten. Sie führten tagsüber und nachts Kontrollgänge durch. Am Vormittag des 12. März 1971 entdeckte einer dieser Wärter zwei helle Vierecke an der Wand, am Boden Glasscherben und zwei leere Bilderrahmen. Um diese Zeit befanden sich die Bilder bereits in Süddeutschland, sicher verstaut hinter der Türverkleidung eines Autos.

Nach 28 Jahren hielt das Ehepaar Hofer das kostbare Bild wieder in seinen Händen. Zeigen aber konnten sie es nicht. Sie wagten nicht einmal, es zu rahmen und privat aufzuhängen, da die deutschen Behörden und Interpol bald nach dem Gemälde suchten. Sogar der bundesdeutsche Innenminister Hans-Dietrich Genscher (FDP) schaltete sich ein und wies das Bundeskriminalamt auf die politische Bedeutung des Falles hin. Rodolfo Siviero hatte sofort Hofer in Verdacht. Er wandte sich an einen niederländischen Kunsthändler, mit dem Hofer vor 1945 Geschäftsbeziehungen unterhalten hatte.

Der Niederländer suchte Hofer mehrmals auf und sprach ihn direkt auf Franz Josef K. an – bis Hofer schließlich zugeben musste, dass er im Besitz des gesuchten Bildes war. Im Sommer 1973 erfolgte die Übergabe an Siviero in der Schweiz, ganz ohne Öffentlichkeit und Aufsehen. Die Übergabe des Memling-Bildes indes war schwieriger und zog sich lange hin, weil das Gemälde weiter ins Ausland verkauft worden war. Schließlich erfolgte auch diese Übergabe, ebenfalls ganz diskret. Auf eine öffentliche Diskussion, ob Italien ein Recht auf das Bild habe, das Hofer ja legal erworben und seinerzeit nach Italien zum Zweck der Schätzung eingeführt hatte, wollte sich die Bundesregierung auch im Interesse der deutsch-italienischen Beziehungen nicht einlassen. Belangt wurde Hofer für den Diebstahl nicht. Er handelte Straffreiheit aus.

Eine böse Überraschung

Auch Hermann Göring hatte ein Lieblingsbild besessen. Schon immer wünschte er sich ein Gemälde des berühmten holländischen Malers Jan Vermeer für seine Sammlung, zumal Hitler ihm mehrere Male beim Kauf eines Vermeer-Gemäldes zuvorgekommen war. Als Göring schließlich das bis dahin unbekannte Vermeer-Bild »Christus und die Ehebrecherin« angeboten wurde, zögerte er zunächst wegen des hohen Preises, konnte aber doch nicht widerstehen. In US-Haft erlebte er dann 1946 eine böse Überraschung. Ein US-amerikanischer Offizier überbrachte ihm die Nachricht, dass das Vermeer-Bild eine Fälschung des niederländischen Malers Han van Meegeren sei. »Göring sah aus, als habe er zum ersten Mal in seinem Leben von der Existenz des Bösen in der Welt erfahren«, schrieb der US-amerikanische Offizier.

So waren die drei, die die Leidenschaft für schöne Kunstwerke zusammengeführt hatte, am Ende ihres Lebens um ihr wichtigstes Besitztum gebracht: die beiden Hofers um das kleine kostbare Masaccio-Bild und Hermann Göring um seine stolzeste Erwerbung, die dem fanatischen Sammler am Ende wichtiger war als das Tausendjährige Reich.

In diesen Tagen erscheint Horsta Krums Studie »Görings Kunstbeschaffer und seine Frau – Wie das Ehepaar Hofer durch den Strom der Zeiten schwamm« (hg. v. Kerstin Kämpfe). Das Buch wird diesen Sonnabend um 15 Uhr im Jagdschloss Schorfheide (Groß Schönebeck) der Öffentlichkeit vorgestellt

Horsta Krum ist Theologin und Philologin und hat jahrzehntelang als Gemeindepastorin in Berlin in der Französischen Kirche (Hugenottenkirche) und in Lyon gearbeitet. Sie schrieb an dieser Stelle zuletzt am 7. Juli 2022 über den Kunsthändler Bernhard Böhmer, der zahlreiche Werke Ernst Barlachs vor der Zerstörung bewahrte

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