Rosa-Luxemburg-Konferenz am 13.01.2024
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Aus: Ausgabe vom 16.09.2023, Seite 3 / Schwerpunkt
Verdi-Bundeskongress 2023

»Arbeiter schießen nicht auf Arbeiter«

Verdi-Bundesvorstand will friedenspolitische Grundsätze aufgeben und ignoriert Interessen der Basis. Ein Gespräch mit Hedwig Krimmer
Von Susanne Knütter
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»Kein Krieg zwischen den Völkern. Kein Frieden zwischen den Klassen«: Demo gegen den Burgfrieden (Rostock, 1.5.2023)

Ihr Aufruf »Sagt nein! Gewerkschafter:innen gegen Krieg, Militarismus und Burgfrieden« richtet sich gegen den Versuch des Verdi-Bundesvorstands, die friedenspolitischen Grundsätze der Gewerkschaft aufzuweichen. Gab es zuvor bereits derartige Angriffe von seiten des Bundesvorstands?

Ja. Aber bisher nicht auf dem Bundeskongress. Beim DGB-Bundeskongress im Mai letzten Jahres wurde die bisherige Positionierung, die selbstverständlich für die Gewerkschaften war, nämlich keine Aufrüstung und keine Waffenlieferungen in Kriegsgebiete, mit einem Initiativantrag umgedreht. Dagegen konnte die Basis nichts unternehmen, weil es ein Antrag war, der auf der Konferenz überhaupt erst aufkam.

Von wem kam der Initiativantrag damals?

Vom DGB-Bundesvorstand. Jetzt ist es so: Von unten, von Bezirks- und Landesbezirkskonferenzen, von Bezirksfachbereichskonferenzen bis hin zu Bundeskonferenzen liegen lauter Anträge vor, die sich klar gegen Aufrüstung positionieren. Und ein Teil ganz klar gegen Waffenlieferungen. Anstatt diese Anträge zusammenzufassen, hat der Bundesvorstand einen eignen Antrag mit völlig anderem Inhalt vorgeschlagen.

Ist der Antrag vom Vorstand und Gewerkschaftsrat eine Antwort auf diese Anträge, oder lief das parallel?

Der Antrag vom Bundesvorstand wurde in den Gewerkschaftsrat zu einem Zeitpunkt eingebracht, als sämtliche Konferenzen vorbei waren. Das heißt, dem Bundesvorstand und Gewerkschaftsrat lagen sämtliche Anträge vor.

Warum handelt der Vorstand gegen die Interessen der Basis?

Es geht um Übereinstimmung mit dem Regierungskurs. Diese Position hat in unserer Gewerkschaft zu große Bedeutung. Das drückt sich auch darin aus, dass Olaf Scholz am Sonntag auf dem Bundeskongress spricht. Es liegt jetzt an den Delegierten, dafür zu sorgen, dass unsere Anträge von unten auch verabschiedet werden. Denn die Antragsberatungskommission hat bei allen Anträgen außer dem Leitantrag empfohlen, dass sie Arbeitsmaterial zu dem Leitantrag oder erledigt durch ihn sein sollen, der das Gegenteil der Anträge aus der Basis besagt. So etwas nennt man in gewerkschaftlichen Kreisen Beerdigung erster Klasse. Ein Antrag wird dadurch erledigt. Aber das müssen sich die Delegierten nicht gefallen lassen. Die Delegierten können jeden Antrag herausziehen, indem sie einen Wortbeitrag dazu machen.

Wie sind die Rückmeldungen auf die Petition?

Die Resonanz kann man so zusammenfassen: Endlich nimmt es jemand in die Hand, dass gekämpft wird um eine Positionierung der Gewerkschaften, die einer Gewerkschaft würdig ist.

Gibt es noch andere Mobilisierungen außer über die Petition?

Es gibt noch andere Initiativen. Uns eint, dass der Leitantrag in dieser Form nicht verabschiedet wird. Am Antikriegstag gab es bundesweit über 200 Veranstaltungen. Fast immer wurden sie mitgetragen von Gewerkschaften.

Wie viele kamen denn zur Friedensdemo am 1. September nach München, wo Sie aktiv sind?

Wir zogen mit einem sehr kämpferischen Demonstrationszug von ca. 280 Teilnehmenden durch das Münchner Westend.

Für den Gewerkschaftstag der IG Metall im Oktober ist etwas ähnliches geplant. Liegen Ihnen da auch schon Anträge vor?

Ja. Der Antrag des IG-Metall-Bundesvorstandes umfasst auf mehr als 50 Seiten alle Themen von Arbeitslosigkeit, Umwelt, Transformation bis Krieg. Aber die inhaltlichen Positionierungen sind haargenau die gleichen. Waffenlieferungen sollen unterstützt werden. Die Aufrüstung dürfe nicht zuviel sein, aber sie sei notwendig. In der IG Metall gibt es allerdings – das macht es etwas schwerer – einen Flügel für Rüstungsproduktion.

Es gibt auch Kritik von links am Aufruf. Es heißt, der Aufruf würde die Schwankenden nicht mitnehmen.

Ich weiß. Aber die Kritik verkennt, dass es hier nicht um ein Gespräch mit schwankenden Kollegen geht, sondern um eine Richtungsentscheidung der Gewerkschaft. Wir reden hier mit den Delegierten, die einen Auftrag haben und die sich der Größe ihres Auftrages auch bewusst werden müssen. Es geht um die Haltung »Arbeiter schießen nicht auf Arbeiter«. Deswegen hat der Aufruf »Sagt nein!« diesen Ton gewählt. Die Frage ist, stimmt der Zweck? Wer das in anderer Art und Weise formulieren will, dem sei das gegeben. Aber real hat sich dieser Aufruf als derjenige herausgestellt, bei dem gut 11.000 überwiegend Verdi-Mitglieder sagen: Ja, das passt so, wie ihr das sagt.

Manche meinen, der Leitantrag des Bundesvorstands hätte gute Punkte und könnte mit Hilfe von Änderungsanträgen »geradegebogen« werden. Wie haltet Ihr das?

Das angeblich Gute ist das »Grün drum herum«, um die eigentliche Neuausrichtung aufzuhübschen. Wir als Initiative »Sagt nein!« bleiben bei unserem Nein. Es gibt genügend Anträge, zu denen man aufrichtig ja sagen kann.

Was würde es für die Arbeiter bedeuten, wenn der Regierungskurs auf dem Bundeskongress gewinnt?

Dass wir eine ganz wichtige Organisation, die Gewerkschaften, im Kampf gegen den Krieg wieder verlieren. Die entscheidende Frage ist doch: Wo gibt es dann ein Halten? Im Antrag steht zum Beispiel »militärisch unterstützen«. Noch wird gesagt, das beinhalte nicht, Soldaten hinzuschicken. Aber die Büchse der Pandora ist geöffnet. Man sieht sehr gut an der Regierung, wie eine rote Linie nach der anderen fällt. Darum geht es auch bei uns. Hier ist die rote Linie – hier ist Schluss!

Hedwig Krimmer war Verdi-Sekretärin in München und ist Initiatorin der Petition »Sagt nein! Gewerkschafter:innen gegen Krieg, Militarismus und Burgfrieden«

Protestkundgebung beim Verdi-Bundeskongress vor dem Estrel in Berlin ab Sonntag 10 Uhr

Wahl des Verdi-Bundesvorstands

Alle vier Jahre wieder – findet der Verdi-Bundeskongress statt. 1.000 Delegierte haben sich angemeldet, um von Sonntag bis Freitag darüber zu diskutieren, wie Verdi sich in den kommenden Jahren politisch und gesellschaftlich aufstellt. Außerdem wird der Bundesvorstand neu bzw. wiedergewählt. Erstmals in den Bundesvorstand gewählt werden wollen von zehn Kandidaten nur drei – Rebecca Liebig, Silke Zimmer und Orhan Akman. Die letzten beiden treten gegeneinander an um die Leitung des Bundesfachbereichs Handel.

Zimmer, die bisher den Fachbereich im Landesbezirk NRW leitet, ist Wunschkandidatin des Bundesvorstands und offiziell nominiert von der Bundesfachbereichskonferenz. Akman war bis Sommer 2022 Fachgruppenleiter für den Handel auf Bundesebene. Dann begann der Bundesvorstand ein Kesseltreiben gegen ihn. Weil er Interna nach außen gegeben haben soll, wurde er mehrfach gekündigt. Für ihre Verdachtskündigungen kassierte die Verdi-Leitung schallende Ohrfeigen. Fest steht, Akman sieht vieles grundsätzlich anders als der Vorstand. Dazu gehört nicht zuletzt, dass er für die bisherigen friedenspolitischen Grundsätze der Gewerkschaft einsteht.

Anfang September stellte er ein Positionspapier mit »zehn Vorschlägen für eine schlagkräftige Gewerkschaft« vor. Ein zentraler Punkt darin: Um die Krise der Gewerkschaft zu überwinden, sollen Personal, Budget und Kapazitäten dort gebündelt werden, wo »Menschen arbeiten und wo wir Mitglieder gewinnen« – vor Ort in den Betrieben. Das bedeutet Sparen an anderer Stelle, etwa bei Verwaltungsstrukturen. Auch in der Zusammenlegung von einzelnen Fachbereichen zu Kompetenz- und Aufgabenbereichen könnten Mittel für die Basisarbeit freigemacht werden. (sk)

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  • Leserbrief von Andreas Kubenka aus Berlin (18. September 2023 um 17:16 Uhr)
    »Arbeiter schießen nicht auf Arbeiter«? Tun sie leider doch. Seit anderthalb Jahren ermorden russische und ukrainische Arbeiter einander zu wahrscheinlich Hunderttausenden! Sie tun es auch mit von deutschen Arbeitern gefertigten und bezahlten Waffen.
  • Leserbrief von Raimon Brete aus Chemnitz (16. September 2023 um 17:10 Uhr)
    Danke für das sehr interessante und nachdenklich stimmende Interview »Arbeiter schießen nicht auf Arbeiter«. Zunächst möchte ich der engagierten Gewerkschafterin Hedwig Krimmer für ihre konsequent auf Frieden orientierte Initiative in Vorbereitung auf den Verdi-Bundeskongress ganz herzlich danken. Aber auch den Gewerkschaftsmitgliedern, die sich mit aller Kraft gegen eine Burgfriedenspolitik des Verdi-Vorstandes stellen und sich der gewerkschaftspolitischen Verschiebung hin zu einer bedingungslosen Unterstützung der Regierung verweigern. Mit Erschrecken und tiefer Enttäuschung muss man konstatieren, dass jetzt auch Gewerkschaftsfunktionäre vor allem im Gefolge von SPD und den anderen im Bundestag sowie der Regierung handelten Parteien ihre friedenpolitischen Grundsätze aufgeben und im Tross der Kriegstreiber Konflikte mittels Waffengewalt lösen wollen. Schritt für Schritt wurden die Schranken für Verbote von Waffenexporten in Krisengebiete niedergerissen und die da Oben erheben auch keinen Einspruch gegen den Einsatz von Kampfjets, Streubomben und uranangereicherter Munition. Die Lieferung von »Taurus« ist nicht mehr ausgeschlossen, auch wenn Deutschland damit in den Fokus verheerender Gegenmaßnahmen geraden könnte. In seltener Eintracht, bis auf wenige Ausnahmen, fordern die etablierten Parteien und die Mehrzahl der Medien mit Nachdruck die bedingungslose kriegerische Eskalation und die sinnlose Ausweitung der Sanktionen. Und das alles will der Verdi-Bundesvorstand mit seinem Leitantrag unterstützend auf den mörderischen Weg bringen. Sollte dem leider Erfolg beschieden sein, so wird die Friedenbewegung weiter gravierend geschwächt, was wohl das Ziel der Regierenden ist. Wo sind wir an- und hingekommen? Noch ist es nicht zu spät und den Delegierten des Verdi-Bundeskongresses ist Erfolg im Kampf um den Erhalt der friedenspolitischen Grundsätze und bei der Verhinderung eines Burgfriedens zu wünschen!
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Marion F. (16. September 2023 um 08:13 Uhr)
    Im Verdi-Leitantrag wird das Zwei-Prozent-Ziel der NATO abgelehnt, aber nur, weil die Abhängigkeit vom BIP falsch sei. Nach dem Antrag muss sich die Aufrüstung nach dem Bedarf richten. Da kann man Angst kriegen. Außerdem: Was die Ampel in ihrer »Nationalen Sicherheitsstrategie« »Integrierte Sicherheit« nennt, heißt im Leitantrag »erweiterter, umfassender Sicherheitsbegriff« für den Verdi sich einsetzen und werben soll. Bisher wurde als Daseinsvorsorge von den Gewerkschaften die Grundversorgung mit lebenswichtigen Gütern und Dienstleistungen eingefordert, ÖPNV, Gesundheitsversorgung, Wohnungen etc. Jetzt sollen Aufrüstung und Rüstungsexporte dazu zählen. Wohin das führt, sehen wir am aktuellen Bundeshaushalt. Als Verdi-Mitglied lehne ich diesen Leitantrag ab.

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