Skandal um Prisca
Von Gisela Sonnenburg
Die Tänzer sind gerade erst aus den Ferien zurück. In München wird wieder fleißig trainiert und geprobt. Doch schon gibt es einen Skandal, der die Freiheit der Kunst in Frage stellt. Es geht um die Erste Solistin Prisca Zeisel, gebürtige Wienerin, die sich seit 2016 in München mit Sinnlichkeit, Persönlichkeit und Ehrgeiz in den Rang einer Weltkünstlerin hochgetanzt hat. Sie trat im August, in den deutschen Ballettferien, bei einer renommierten Gala in Sewastopol auf der Krim auf. Das wäre noch vor zwei Jahren kein Problem gewesen.
Aber 2023 ist kein gutes Jahr für persönliche Freiheiten in der Kunst. Zurück in München, führte Prisca Zeisel Gespräche mit der Direktion des Bayerischen Staatsballetts. Auch die Leitung der Bayerischen Staatsoper hatte offenbar Fragen. Und bald bat Zeisel um die Auflösung ihres Vertrags.
Mit dem früheren russischen Münchner Ballettdirektor Igor Selenski und seiner Ehefrau, der Ballettmeisterin Jana Selenski, kam Zeisel hingegen gut zurecht. Sie hat sich mit ihnen entwickelt und Rollen vom klassischen »Schwanensee« bis zur brandheißen Herzkönigin in »Alice im Wunderland« von Christopher Wheeldon getanzt. Sie war eine hinreißende Olga in »Onegin« von John Cranko, eine quirlige Hermia in »Ein Sommernachtstraum« von John Neumeier. Und sie begeisterte mit russischer Moderne: als laszive Aegina im »Spartacus« des Bolschoi-Genies Juri Grigorowitsch. Eine der besten Produktionen des Bayerischen Staatsballetts überhaupt.
Aber das gilt jetzt nichts mehr. Igor Selenski verließ seinen Posten 2022. Angeblich aus persönlichen Gründen, doch alle wussten, dass die Politik dahintersteckt. Selenski gilt als putinnah, manche munkeln von einer Affäre mit einer Tochter des russischen Präsidenten. Es ist neu, dass im 21. Jahrhundert solche Geschichten einen verheerenden Einfluss auf die künstlerische Karriere haben.
Der aktuelle Münchner Ballettchef heißt Laurent Hilaire. Er kommt aus Paris und hat keine Bettgeschichten, er tritt als zurückhaltender Modegeck auf. Gefällig, nicht provozierend. Toleranz ist nicht seine Stärke. Er macht, was man ihm sagt. Er und die Leitung der Oper in München lösten den Vertrag mit der hochbegabten Zeisel. Kunst ist nicht das Ziel, es zählt politisches Mitläufertum.
Fürs Münchner Publikum ist das dumm. Und Prisca Zeisel ist zu wünschen, dass sie ein gutes Angebot aus Russland erhält.
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