Rosa-Luxemburg-Konferenz am 13.01.2024
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Aus: Ausgabe vom 15.09.2023, Seite 2 / Inland
Chatkontrolle stoppen

»Sie betrifft die Rechte aller Internetnutzer«

Datenschutzverein warnt weiter vor EU-Vorstoß zur Massenüberwachung von Chats. Kinderschutz kein Argument. Ein Gespräch mit Konstantin Macher
Interview: Barbara Eder
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Angst ist ein schlechter Ratgeber auch beim Umgang mit dem Internet …

Seit Mai 2022 liegt ein Entwurf der EU-Kommission zu einer Verordnung mit »Vorschriften zur Verhütung und Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs von Kindern«, kurz: CSAR, vor. Stellungnahmen des EU-Rats und des EU-Parlaments stehen noch aus. Welches Vorhaben verbirgt sich hinter dem Etikett?

Mit CSAR will die EU-Kommission Internetdienste dazu verpflichten, unsere Nachrichten und Onlineinhalte zu kontrollieren. Damit wird ein Überwachungspaket geschaffen, das sich gegen die gesamte EU-Bevölkerung richtet. Es umfasst den Angriff auf die Ende-zu-Ende-Verschlüsselung, so etwa bei Messengerdiensten wie Whatsapp, Signal und Threema, aber auch bei E-Mails, Cloud-Hostings und Computerspielchats. Dadurch wird es möglich, Nachrichten automatisiert zu durchleuchten, potentiell betroffen sind davon alle Internetdienste; das automatisierte Durchforsten von Chatnachrichten wäre mit einer enormen Quote an Falschpositiverkennungen – Meldungen von nur vermeintlich illegalen Inhalten – verbunden. Die »Chatkontrolle« wird mit dem Argument des Kinderschutzes begründet, sie betrifft jedoch die Rechte aller Internetnutzer und Internetnutzerinnen.

Was sieht das EU-Gesetzespaket zur Chatkontrolle noch vor?

Es beinhaltet erweiterte Uploadfilter, Alterskontrollen und Netzsperren. Bei der Altersverifikation geht es darum, ob Menschen das Internet überhaupt noch anonym verwenden können oder sie auf jeder Webseite, die sie aufrufen, ihr Gesicht in die Kamera halten müssen. Ein biometrisches Erkennungssystem schätzt dann ein, ob sie über 18 sind. Damit wird die anonyme Internetnutzung sowie die digitale Teilhabe von Menschen, die noch nicht volljährig sind, verhindert.

Kritiker des Vorstoßes der Kommission, den die Bundesinnenministerin Nancy Faeser, SPD, unterstützt, sehen in dem Ziel Schutz vor sexualisierter Gewalt nur einen Vorwand, um Online-Dienste verstärkt kontrollieren zu können.

Es ist kompliziert: Es gibt viele EU-Abgeordnete, die fälschlicherweise glauben, dass sie mit solchen Maßnahmen Kindern helfen würden, obwohl alle Sachverständigen vor diesem Trugschluss warnen. Und es gibt solche – so etwa die spanische Regierung im EU-Rat – die einfach nur die Ende-zu-Ende-Verschlüsselung verbieten wollen. Es gibt immer wieder den Versuch von Unsicherheitspolitikern, Verschlüsselung zu untergraben. Dabei wechseln die Begründungen mit jedem weiteren Gesetzentwurf: Schutz von Kindern, Kampf gegen Terrorismus, Geldwäsche und organisierte Kriminalität. Verschlüsselung ist jedoch keine Frage der Moral und damit von Gut und Böse, sie basiert auf Mathematik. Wenn man Verschlüsselung angreift, dann macht man sie für alle kaputt. Unsere Gesellschaft braucht Verschlüsselung, damit Menschen sicher im Netz miteinander kommunizieren können.

Wie könnte analoge und digitale Aufklärungs- und Präventionsarbeit für Kinder und Jugendliche tatsächlich aussehen?

Chatkontrolle ist keine effektive Maßnahme zum Schutz von Kindern – und sie ist keine verhältnismäßige Maßnahme. Man müsste mehr investieren in die Stärkung der Medienkompetenz junger Menschen und Eltern adäquat unterstützen, damit sie ihre Kinder begleiten können. Zudem braucht es unbürokratische Meldewege für Opfer von sexualisierter Gewalt: Jugendliche, die von Pädokriminellen kontaktiert werden, sollten Möglichkeiten haben, sich schnell und unbürokratisch Hilfe zu suchen. Es geht darum, Jugendämter besser auszustatten, Fortbildungen in Schulen anzubieten und allgemein für das Thema zu sensibilisieren. Und man muss jenen den Rücken freihalten, die investigativ in einschlägigen Online-Foren ermitteln. Alle diese Ansätze fehlen im Paket zur Chatkontrolle. Statt dessen wird politisches und finanzielles Kapital für technokratische Überwachungsmaßnahmen verbraten.

Gegen die geplante Chatkontrolle gibt es eine Petition von Digitalcourage e. V. Wie geht es auf EU-Ebene nun weiter?

Am 28. September wird der EU-Rat seine Position zur »Chatkontrolle« festlegen, Anfang Oktober das EU-Parlament. Wir alle können jetzt etwas dagegen tun: Protestaktionen organisieren, Europaabgeordnete anschreiben. Und unsere Petition »Chatkontrolle stoppen!« unterschreiben.

Konstantin Macher ist digitalpolitischer Sprecher von Digitalcourage e. V.

Immer noch kein Abo?

Die junge Welt ist oft provokant, inhaltlich klar und immer ehrlich. Als einzige marxistische Tageszeitung Deutschlands beschäftigt sie sich mit den großen und drängendsten Fragen unserer Zeit: Wieso wird wieder aufgerüstet? Wer führt Krieg gegen wen? Wessen Interessen vertritt der Staat? Und wem nützen die aktuellen Herrschaftsverhältnisse? Kurz: Wem gehört die Welt? In Zeiten wie diesen, in denen sich der Meinungskorridor in der BRD immer weiter schließt, ist die junge Welt unersetzlich.

  • Leserbrief von Ronald Prang aus Berlin (15. September 2023 um 04:21 Uhr)
    Es ist eine Illusion zu glauben, man könne die flächendeckende Überwachung des Internets in irgendeiner Weise verhindern. Die NSA hat schon vor vielen Jahren, faktisch in den »Kindertagen des Internet«, die vollständige Überwachung begonnen und werden sie niemals beenden. Die CIA hat längst ihre Büros bei Apple, Google, Microsoft, Facebook usw. eingerichtet. Was sie aber, laut US-Verfassung, nicht dürfen ist, die amerikanische Bevölkerung auszuspionieren, glaubt irgendwer, dass sie es deshalb nicht tun? Der »feuchte Traum« von Erich Mielke ist in den USA wahr geworden. Deshalb arbeiten sie auch so intensiv an der künstlichen Intelligenz, denn Menschen sind nicht mehr in der Lage, die Menge der anfallenden Daten zu erfassen, geschweige denn auszuwerten. Sie werden an der Menge der Informationen »ersticken«.
    • Leserbrief von Onlineabonnent/in Heinrich H. aus Stadum (15. September 2023 um 12:16 Uhr)
      Knapp daneben ist auch vorbei am Thema: Im Artikel geht es um die Verschlüsselung privater Kommunikation bzw. deren Verhinderung zum Zwecke der massenhaften individuellen Überwachung. In guten alten Zeiten hat man in diesem Zusammenhang von »Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis« gesprochen. Was (Auslands-)Geheimdienste machen und was die EU plant, sind zwei Paar Stiefel, man könnte auch sagen, zwei Seiten einer Medaille. Die EU und die national Herrschenden trauen ihren BürgerInnen nicht. Deshalb streben sie die Chatkontrolle an. Was früher der Blockwart und die Denunzianten besorgt haben, soll heute der Internetserver erledigen. Durch die Hintertür würde das Grundgesetz weiter durchlöchert (Artikel 10 GG), auf die §§ 202 und 206 StGB sei auch verwiesen. Leseempfehlung: https://www.datenschutz.org/briefgeheimnis/
      • Leserbrief von Onlineabonnent/in Manfred G. aus Hamburg Altona (17. September 2023 um 20:14 Uhr)
        »Sie trauen ihren Bürgern nicht« ist eine lustige Formulierung für totale Kontrolle und Herrschaftsausübung der Kapitaleliten. Sie üben keine Kontrolle aus, weil sie den Bürgern nicht trauen, sie üben sie aus, um Krieg zu führen, um Neokolonialismus lebendig zu halten, um kulturelle Manipulation zu ermöglichen, um Softpower-Techniken für ihre Manipulation anzuwenden.

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