50 Jahre Putsch in Chile: jW-Reihe
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Aus: Ausgabe vom 15.09.2023, Seite 1 / Titel
Flutkatastrophe in Libyen

Land ohne Hoffnung

Zehntausende Todesopfer nach Flutkatastrophe in Libyen. Von NATO-Staaten verursachtes politisches Chaos verhindert effektive Hilfe
Von Jörg Kronauer
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Überlebende der Flutkatastrophe in Darna am Donnerstag

Die Zahl der dokumentierten Todesopfer der Flutkatastrophe in Libyen schnellt weiter in die Höhe und könnte allein in der am härtesten getroffenen Stadt Darna auf bis zu 20.000 steigen. Dies berichtete der Bürgermeister der Stadt, Abd Al-Moneim Al-Gheiti, am Mittwoch abend dem saudischen Fernsehsender Al-Arabija. In Darna waren nach dem Bruch zweier Dämme ganze Stadtviertel von den Fluten weggespült worden und hatten zahllose Menschen mit sich gerissen. Immer noch werden rund um die Uhr Leichen gefunden, die im meterhohen Schlamm stecken oder im Meer treiben. Laut offiziellen Angaben wurden bis Donnerstag vormittag rund 3.000 Opfer beerdigt, 2.000 weitere Begräbnisse waren in Vorbereitung. Die Leichen werden oft in einfachen Leichensäcken in Massengräbern verscharrt. Zu den Opfern aus Darna selbst kommt eine unbekannte Zahl an Flüchtlingen hinzu, die sich auf dem Weg nach Europa an der ostlibyschen Küste gesammelt hatten und dort gleichfalls von den Fluten hinweggespült wurden. Wie viele von ihnen ertranken, wird wohl nie genau festzustellen sein.

Mittlerweile kommt auch internationale Hilfe in Gang. Schon früh hatte die Türkei reagiert und erste Hilfsflüge nach Libyen organisiert. Auch die Vereinigten Arabischen Emirate, Katar und weitere arabische Staaten hatten Hilfslieferungen auf den Weg gebracht. Am Mittwoch schlossen sich EU-Staaten an, so etwa Italien, Frankreich und Deutschland, die medizinische Ausrüstung, Stromgeneratoren und Rettungskräfte nach Libyen entsandten. Dort wird weiterhin verzweifelt nach Überlebenden gesucht. Zudem müssen die mehr als 30.000 Menschen versorgt werden, die obdachlos geworden sind.

Erschwert werden die Rettungsaktivitäten durch die desaströsen politischen Verhältnisse in Libyen, die nach dem Schock unter dem ersten Eindruck der Katastrophe nun in den Blick geraten. Hätten die libyschen Behörden angemessen funktioniert, hätten sie die Bevölkerung rechtzeitig warnen und evakuieren können, kritisierte Petteri Taalas, der Generalsekretär der World Meteorological Organization der UNO, am Donnerstag in Genf. Über funktionierende Behörden verfügt Libyen allerdings nicht mehr, seit die NATO-Staaten das Land im Jahr 2011 in Schutt und Asche legten, um Muammar Al-Ghaddafi zu stürzen. Seither wird es durch einen immer wieder aufflackernden Bürgerkrieg geplagt. Zwei Regierungen – eine in Tripolis, eine im ostlibyschen Bengasi – beanspruchen jeweils die Macht für sich. Auf der Straße herrschen Milizen, in den Amtsstuben regiert die blanke Korruption. Libyens Infrastruktur ist – kein Wunder unter diesen Voraussetzungen – in einem desolaten Zustand. All dies hat nicht nur dazu geführt, dass in Darna die Instandhaltung der Dämme stark zu wünschen übrig ließ. Es erschwert nun auch die Koordination der Hilfsaktivitäten ganz erheblich.

Die Wut über die staatlichen Missstände wächst in der Bevölkerung in rasantem Tempo, wie man Berichten aus den Überresten der Stadt entnehmen kann. Kenner des Landes wie Tarek Megerisi vom European Council on Foreign Relations (ECFR) warnen bereits, da zeichneten sich womöglich Aufstände ab. Megerisi verweist zudem auf Beiträge in den sozialen Medien, in denen es heißt, Europa habe den korrupten libyschen Herrschaftszirkeln nicht nur mit dem Bombardement von 2011 den Weg gebahnt, sondern sich immer wieder auch mit ihnen arrangiert, etwa zur Flüchtlingsabwehr. Die Wut auf Europa könne leicht noch steigen – die EU müsse eilig umfangreiche Hilfe leisten, um sie zu dämpfen.

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  • Leserbrief von Reinhard Hopp aus Berlin (15. September 2023 um 16:35 Uhr)
    »Europa habe den korrupten libyschen Herrschaftszirkeln nicht nur mit dem Bombardement von 2011 den Weg gebahnt, sondern sich immer wieder auch mit ihnen arrangiert, etwa zur Flüchtlingsabwehr.« – Aber stets strikt »westlich-wertebasiert«; denn schließlich ist »Europa« ja die »Gute« und nur ein Jahr später (2012) für diese und ähnliche »guten Taten« mit dem Friedensnobelpreis (selbst-)gekürt worden! Wir sind Europa, wir sind Friedensnobelpreisträger, wir sind die Guten! Wie gut sich das doch anfühlt, zu den Guten zu gehören!
  • Leserbrief von Rainer Kral aus Potsdam (15. September 2023 um 11:19 Uhr)
    Libyen, einst Vorzeigeland auf dem afrikanischen Kontinent – heute, dank westlicher »Hilfe« und NATO-Bombardement, befohlen vom »Friedens«nobelpreisträger O., ein Land ohne Hoffnung. So ergeht es Ländern, die westliche Hilfe unter deren Bedingungen nicht akzeptieren wollen. Die Afghanen, die Iraker und die Syrer können unter anderem ebenfalls ein Lied davon singen.

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