Kein Pardon
Von Jörg Kronauer
Noch keine Woche ist es her, da stahlen auf der Münchner Automesse IAA zum ersten Mal chinesische Kfz-Hersteller den deutschen Platzhirschen die Show. Gut seien sie, die E-Autos aus der Volksrepublik, schwärmten Branchenexperten; in Sachen IT-Ausstattung seien sie Weltspitze, und vor allem brächten chinesische Produzenten auch kostengünstigere, für viele bezahlbare Modelle auf den Markt. Sie stünden in Europa wohl vor dem Durchbruch. Das war die gängige Meinung. Einige sprachen bereits von einer »IAA made in China«, während andere urteilten, mit den billigeren chinesischen Elektrofahrzeugen werde die Energiewende womöglich auch für Käufer jenseits der grünen Wohlstandsbourgeoisie bezahlbar. Freilich: Für die erwähnten deutschen Platzhirsche war das ein schwerer Schlag.
Und so ließ die Reaktion denn auch nur ein paar Tage auf sich warten. Natürlich, man benötige für die Energiewende Elektroautos, erklärte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am Mittwoch in ihrer diesjährigen »State of the Union«-Rede. Aber chinesische? Die würden »unfair« subventioniert; also müsse man Maßnahmen gegen sie ergreifen. Schon sind Strafzölle im Gespräch, die E-Fahrzeuge aus der Volksrepublik aus dem EU-Markt drängen könnten, bevor sie auch bloß in größerem Umfang in ihn einzudringen begonnen haben. »Die Zukunft« der klimaneutralen Technologie solle »made in Europe« sein, verlangte von der Leyen. Und wenn die deutsch-europäischen Konzerne das nicht aus eigener Kraft schaffen, dann muss man den europäischen Markt eben mit Schranken abschotten.
Der Schritt ist riskant. Es stimmt: Strafzollschlachten gab es auch schon zwischen EU und USA, etwa als Mittel, um den Konkurrenzkampf zwischen Airbus und Boeing auszufechten. Sie wurden gewöhnlich irgendwann beigelegt. Mit Strafzöllen begann allerdings unter Trump auch der US-Wirtschaftskrieg gegen China, und der dauert bis heute an. Sie wünsche kein Decoupling, keine ökonomische Entkopplung von der Volksrepublik, beteuerte von der Leyen, sondern lediglich ein Derisking; damit ist eine nur partielle Reduzierung des China-Geschäfts gemeint. Mit Strafzöllen in einen Wirtschaftskrieg einzusteigen, das aber wäre wohl der erste Schritt einen Steilhang hinunter, auf dem es vermutlich keinen Halt mehr gibt.
Bliebe noch festzuhalten: Die Wirtschaftsinteressen, die da in Richtung Konflikt treiben – es sind keine US-amerikanischen, es sind europäische; nicht nur, aber vor allem deutsche. Die Paradebranche der deutschen Industrie hat jahrzehntelang sehr vom China-Geschäft profitiert. Sie hat mit ihrer hochprofitablen Produktion in der Volksrepublik aber auch den Keim zum Aufstieg einer eigenständigen chinesischen Kfz-Branche genährt. Die ist mittlerweile – ganz Zauberlehrling – ihrerseits stark geworden und schickt sich nun an, den alten Platzhirschen auf dem globalen Automarkt perspektivisch die Führung abzunehmen. Da aber kennt das deutsche Europa kein Pardon.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Heinrich H. aus Stadum (15. September 2023 um 13:20 Uhr)Vielleicht gibt die Kommissionspräsidentin doch Pardon und stimmt den Subventionen für den deutschen Industriestrompreis zu.
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Leserbrief von Christian Helms aus Dresden (14. September 2023 um 11:57 Uhr)Von der Leyen beklagt, dass chinesische E-Autos offensichtlich massiv vom Staat subventioniert werden. Gut so. Können sich dadurch mehr Menschen in Deutschland und in der EU ein E-Auto leisten. Und das wiederum soll ja gut für die Umwelt sein. Allerdings schlecht für den Absatz der teuren deutschen Modelle. Von der Leyen erwägt deshalb Strafzölle auf chinesische Autos. Sie werden dadurch wieder teurer. Weniger werden gekauft. Was denn nun, Frau von der Leyen? Gegen die Klimakrise oder für die Profite der deutschen Autoindustrie?
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Joachim S. aus Berlin (14. September 2023 um 08:19 Uhr)Welch lustige Purzelbäume doch die EU vollführen kann: Erst wettert Frau von der Leyen gegen den angeblichen Protektionismus bei chinesischen Autoherstellern, weil es diesen gelingt, Autos auch für Menschen mit schmalem Geldbeutel herzustellen. Dass das weniger mit Protektionismus und mehr mit historisch bedingt geringeren Lohnkosten zu tun hat, bleibt unerwähnt. Und dass chinesische Autofirmen eben auch jene im Blick behalten, die sich große und teure Schlitten nicht leisten können, auch nicht. Die Kämpferin gegen den Protektionismus führt eine unschlagbare Waffe in den Kampf. Nicht etwa verstärkte Anstrengungen für bezahlbare E-Autos – nein, eigener Protektionismus soll das Problem lösen. Denn nichts anderes ist die Drohung mit Strafzöllen. Das Rezept ist unschlagbar: Den Krebs mit Krebs zu bekämpfen – welch wunderbare Idee!
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