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Aus: Ausgabe vom 09.09.2023, Seite 3 (Beilage) / Wochenendbeilage

Kriegslyrik in Prosa

Von Reinhard Lauterbach
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Was die Qualitätspresse zur Qualitätspresse macht, ist ihre Fähigkeit, Themen in einer Vielfalt journalistischer Genres zu bearbeiten. Am Dienstag brachte die Londoner Times einen Beitrag von der Front in der Südostukraine im Stil der »Schwarzen Serie«: »90 Prozent unserer Jungens werden draufgehen – ich wahrscheinlich auch«, sagt dem Reporter ein ukrainischer Unteroffizier. Und es folgen Schilderungen pausenlosen russischen Artilleriebeschusses, selbst auf fahrende Sanitätsautos. Das ist nach dem Kriegsrecht verboten, anders als die in Odessa aufgekommene Praxis, dass die Greifkommandos der Wehrersatzämter in Krankenwagen Jagd auf potentielle Rekruten machen. Angriffe auf Kindergärten, wie erst diese Woche wieder in Donezk, sieht die Haager Landkriegsordnung übrigens auch nicht gern.

Am Mittwoch dann in der Süddeutschen Zeitung (SZ) eine ganze Seite über »Die goldene Stunde«. Gemeint ist die Stunde, innerhalb derer ein im Krieg Verwundeter ärztlich versorgt worden sein muss, wenn er eine Überlebenschance haben soll. Garniert wird der Text über die Probleme des ukrainischen Sanitätswesens mit einer tragischen Liebesgeschichte: der der Hauptfigur, der Sanitäterin Alina Michajlowa. Sie ist die junge Witwe eines mit 27 Jahren gefallenen Kommandeurs der Nazigruppe »Rechter Sektor«, die Autor Tomas Avenarius verharmlosend als »ultranationalistische, selbst von manchen Ukrainern mit Misstrauen betrachtete Bewegung« bezeichnet. »Selbst von manchen Ukrainern« ist dabei das I-Tüpfelchen: Es deutet nämlich an, dass die Mehrheit der ukrai­nischen Bevölkerung mit diesen Typen offensichtlich kein Problem hat – aber das soll man lieber nicht laut sagen. Jedenfalls dienten die beiden zusammen, und »er starb in ihren Armen«. Die Pietà von Bachmut.

In derselben SZ-Ausgabe beschwört Kommentator Hubert Wetzel unter dem Titel »Muss aber« die EU, gegenüber der Ukraine im Beitrittsverfahren alle Augen zuzudrücken, obwohl ihre »inneren Pro­bleme« nach »den geltenden Kriterien einen Beitritt unmöglich machen«: Korruption, Oligarchenwirtschaft und aggressiver Nationalismus. Der »mag im Moment nützlich sein und dem Land helfen, sich gegen Invasoren zu wehren – aber was ist, wenn er irgendwann in reaktionären Nationalismus und Revanchismus umschlägt?« Irgendwann? »Passt eine solche Ukraine dann noch zum Friedensprojekt Europa?« Wird schon: Frieden hat die EU immer nur unter ihren Mitgliedern versprochen, nach außen nie.

Im Innern kämpft die Republik derweilen mit zwei Problemen: Das eine ist ein bayerischer Landespolitiker, der dabei ertappt wurde, ein nazistisches Flugblatt im Schulranzen befördert zu haben. Die FAZ betrachtet die ganze Sache am Mittwoch philosophisch: Das ganze Geschrei um Hubert Aiwanger zeige doch nur, dass in Deutschland »die Vergangenheit regiert«. Im Klartext: Ewig dieser Nazischeiß, welcher Politiker habe denn keine Jugendsünden begangen. Der eine ein paar Joints geraucht, der andere sich mit Polizisten geprügelt, der dritte eben einen Freiflug durch den Schornstein von Auschwitz ausgelobt. So »normalisiert« man den Faschismus. Alexander Gauland und sein »Vogelschiss der Geschichte« lassen grüßen. Gauland war übrigens in der FAZ ein gern gesehener Gastkommentator, solange er noch unter Roland Koch in Wiesbaden die Staatskanzlei leitete.

Das andere innenpolitische Thema ist der »Stillstand«, den alle herrschenden Politiker in Deutschland feststellen und jetzt schleunigst überwinden wollen. Der Spiegel zitiert einen Volkswirtschaftsprofessor namens Moritz Schularick mit der Aussage, es mache doch eigentlich gar nichts, wenn z. B. VW pleite gehe: »Wir hätten als Volkswirtschaft kein Problem, die Fachkräfte, die frei würden, in anderen Bereichen einzusetzen. Das ist für den einzelnen nicht schön, aber so sind nun einmal die Mechanismen, die uns langfristig als Gesellschaft wohlhabend machen.« – »Uns als Gesellschaft« heißt dabei: Die einen werden wohlhabend, die anderen vom Facharbeiter zum Uber-Fahrer – aber das im E-Mobil. Wandel geglückt.

Der eine ein paar Joints geraucht, der andere sich mit Polizisten geprügelt, der dritte eben einen Freiflug durch den Schornstein von Auschwitz ausgelobt. So »normalisiert« man den Faschismus.

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