Der Bandera-Komplex
Von Susann Witt-Stahl
Seit dem »Euromaidan« demonstrieren die ukrainischen Faschisten selbstbewusst ihre Macht und verzeichnen einen enormen Zuwachs an Prestige. Mitte August ehrte Präsident Wolodimir Selenskij sie mit einem Ritterschlag: Er veröffentlichte ein Video, das ihn bei einer Lagebesprechung mit Andrij Bilezkij, dem Führer der »Asow«-Bewegung und Gründer der ihr angehörenden 3. Separaten Angriffsbrigade zeigt. Als militärischer Joker der NATO und Einpeitscher für den von ihr forcierten Kampf »bis zum letzten Blutstropfen« der Ukrainer werden die Faschisten von der politischen Klasse und dem Medienestablishment des Westens als Helden verklärt und ihre mörderische Ideologie systematisch verschleiert, – auch in Deutschland, – obwohl sie sich erheblich aus dem Nazismus des Hitlerregimes speist. Längst ziert das Balkenkreuz der deutschen Wehrmacht wieder über die Schlachtfelder des Donbass rollende »Leopard«-Panzer.
Dass solche vergangenheitspolitischen Tabubrüche im Täterland schweigend abgenickt werden, – eine Begleiterscheinung der »Zeitenwende« als vorläufigem Höhepunkt der deutschen Normalisierung –, ist Grund genug für junge Welt und die Kulturzeitschrift Melodie & Rhythmus, am 29. Oktober in Berlin eine Konferenz mit dem Titel »Der Bandera-Komplex. Der ukrainische Faschismus – Geschichte, Funktion, Netzwerke« abzuhalten. Stefan Huth, Chefredakteur der jW, nennt zentrale Ziele der Veranstaltung: »Die politischen Wurzeln des Kults um den ukrainischen Faschistenführer und Hitler-Kollaborateur Stepan Bandera müssen freigelegt und der gefährlichen Geschichtsvergessenheit hierzulande Fakten entgegengehalten werden.«
Schließlich standen die »deutschen Freunde«, die NSDAP und revanchistische Militärs, nicht nur Pate bei der Geburt der Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN), die 1934 ihren Sitz nach Berlin verlegt hatte. Sie lehrten sie auch, Terror und seine psychologische Wirkung effizient als Mittel »zur Unterwerfung der Massen« anzuwenden, wie Briefen des damaligen OUN-Führers Jewgen Konowalez zu entnehmen ist. Ukrainische Faschisten, die später in der Waffen-SS-Division »Galizien«, im Wehrmachtsbataillon »Nachtigall« und der UPA, dem bewaffneten Arm des Bandera-Flügels der OUN, dienten, wurden von Himmlers und Heydrichs Schergen in Militärstrategie, Sabotage und Foltermethoden ausgebildet.
Im Kalten Krieg kämpften Einheiten der OUN als Stay-Behind-Killerkommandos der USA gegen die Sowjetunion – häufig weiter Schulter an Schulter mit deutschen Nazis, denen im Bundesnachrichtendienst und anderen Funktionsapparaten des westgebundenen deutschen Imperialismus eine zweite Karriere ermöglicht worden war. Darüber hinaus bildete die OUN die Speerspitze einer »antikommunistischen Internationale«, die zu einer ultimativen Blockkonfrontation drängte: »Ein dritter Weltkrieg wird kommen, weil er unvermeidlich ist«, sagte Banderas Stellvertreter Jaroslaw Stezko 1950.
Diese Prophezeiung könnte sich in der Gegenwart des eskalierten Ukraine-Kriegs als selbsterfüllend erweisen. Nicht zuletzt vor dem Hintergrund, dass einflussreiche ukrainische Faschisten 2019 eine von Asow dirigierte »Widerstandsbewegung gegen die Kapitulation« formiert und gedroht hatten, dass Selenskij »an einem Baum hängen« werde, falls er einen Friedensprozess mit Russland einleiten sollte.
Als derzeit zweitwichtigster Kriegssponsor, der faktisch faschistische Militärs auf NATO-Standard hochrüstet und ausbildet, könnte Deutschland erneut eine Schlüsselrolle übernehmen, wenn es darum geht, den 1943 mit der Niederlage in Stalingrad vorerst geplatzten Traum Banderas weiterzuverfolgen: die endgültige »Ausrottung« der »Sowjetophilie« in der ukrainischen Gesellschaft und, wie es der OUN-Militärtheoretiker Michailo Kolodsinski einst formuliert hatte, einen »grausamen Krieg« zu führen, um »feindliche Länder zu zertrampeln«, auf deren »Ruinen« ein großukrainisches Reich errichtet werden kann.
Solche Vorzeichen einer finsteren Zukunft werden heute in Deutschland längst auch von der Mehrheit der linken, weitgehend durch NATO-Korporatismus neutralisierten Opposition ignoriert oder bewusst heruntergespielt. Sich als »progressiv« wähnende Politiker der Linkspartei agieren als Megaphone der revisionistischen Außenpolitik der Ampelregierung und diffamieren jede noch so fundierte Warnung von Antifaschisten als »Kreml-Propaganda«. Allein was den Charakter der Kräfte anbelangt, die in Kiew Macht ausüben, so Stefan Huth, herrsche eine derart »heillose Verwirrung« in der Linken, »dass einige sich sogar Nazibataillonen in der Ukraine anschließen, um vermeintlich antifaschistischen Widerstand gegen Russland zu leisten«.
Eine der vordringlichsten Aufgaben der Referenten der »Bandera Komplex«-Konferenz sei es nun, genau die Narrative der Banderisten zu sezieren, »die der NATO für ihren Stellvertreterkrieg gegen Moskau sehr zupass kommen«, meint Huth. Es gelte, ebenso den Ideologieschleier um den vermeintlich selbstbestimmten »Freiheitskampf der Ukrainer« wie um die politischen Konnexe zwischen »westliche Werte« predigenden Liberalen und zum äußersten bereiten Faschisten zu lüften. »Die Agenda unserer Konferenz heißt also: Aufklärung gegen Massenmanipulation und Geschichtslügen!«
Die Konferenz: Zeit, Ort, Tickets
Die Konferenz »Der Bandera-Komplex« am 29. Oktober 2023 findet im Münzenberg-Saal im ND-Verlagsgebäude am Franz-Mehring-Platz 1 in Berlin-Friedrichshain statt. Die Veranstaltung beginnt um 10.30 Uhr (Einlass ab 10 Uhr) und endet um zirka 19 Uhr. Nähere Informationen über die Hauptreferenten, geplanten Vorträge sowie Programmablauf werden ab Mitte September auf folgender jW-Website abrufbar sein: jungewelt.de/bandera_komplex
Die Konferenz wird teilweise in englischer Sprache abgehalten. Die Veranstalter stellen eine Simultanübersetzung aller Beiträge für das deutsch- und englischsprachige Publikum bereit. Zudem soll die Konferenz via zweisprachigen, kostenlosen Livestream übertragen werden. »Wir möchten einem möglichst großen internationalen Publikum Gelegenheit bieten, die historischen Kontinuitätslinien der Ideologie des Nazifaschismus und seiner ukrainischen Helfershelfer bis in die Gegenwart zu verfolgen«, erklärt Sebastian Carlens, Leiter des Verlags 8. Mai.
Die Tickets kosten 26 Euro (normal), 36 Euro (Solipreis), 16 Euro (ermäßigt) und sind ab sofort im jW-Online-Shop (jungewelt-shop.de) sowie im jW-Laden (Torstraße 6, Berlin-Mitte) erhältlich. Da das Projekt für den Verlag eine große politische und organisatorische Aufgabe darstellt und mit hohen Kosten verbunden sein wird, ist er auf Spenden angewiesen. Vor allem bedarf es jetzt intensiver Unterstützung bei der Mobilisierung für die Konferenz von Parteien, Gewerkschaften und Organisationen, in sozialen und anderen Medien, Newslettern, Veranstaltungen etc., so Carlens. Nicht zuletzt, weil sich heute in Deutschland am Weißwaschen von Massenmördern und ihren Verbrechen Kräfte beteiligen, die sich im antifaschistischen Lager verorten, soll auch Raum für Diskussion geboten werden. »Daher ist es besonders wichtig für uns, dass möglichst viele Menschen am 29. Oktober nach Berlin kommen und aktiv teilnehmen.« (sws)
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Silvia K. (3. September 2023 um 21:43 Uhr)Zur von S. Huth hier zitierten derart »heillosen Verwirrung« in der Linken, »dass einige sich sogar Nazibataillonen anschließen, um vermeintlich antifaschistischen Widerstand gegen Russland zu leisten«, würde ich mir journalistisch schon auch mehr Konkretes und Substantielles in der jW wünschen. Bspw. ist zu diesem IT-Fuzzi Ponomarjow auch im jW-Archiv kein Wort zu finden – in Italien, wo wir wohnen, bekommt er in Il Manifesto hingegen mit seinem Partisanen-Getue als Gründer einer antiputinisch-linken Nationalen Befreiungsarmee (oder so ähnlich) breiten Interviewraum – so am 29.6.23 unter dem Titel »Io, partigiano anti-Putin di sinistra« – ohne einen Hauch von kritisch nachbohrendem Gegenwind. Wer ist hier wie genau worin verwirrt?
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