Ende der Herrlichkeit
Von Jörg Kronauer
Eins steht fest: Die Françafrique, Frankreichs klebriges Einflusssystem in seinen ehemaligen afrikanischen Kolonien, bekommt in diesem Jahr so klaffende Risse wie nie zuvor. Das Verhältnis zu Mali, einst eine sichere Bank für Paris im Sahel? Komplett zerrüttet. Die Beziehungen zu Burkina Faso, wo sich Frankreich nach dem Mord an Thomas Sankara 1987 durchgängig auf loyale Statthalter verlassen konnte? Kaputt. Auch die Putschregierung in Niger will die militärischen und politischen Bindungen an Paris zerreißen, will – unterstützt von starken Kräften in der Bevölkerung – neue Eigenständigkeit erkämpfen.
Frankreichs Präsenz im zentralen Sahel ließe sich, so scheint es, nur mit einer Militärintervention in Niger behaupten, gegen die schon prophylaktisch Zehntausende in den Städten des Landes protestieren. Und nun auch noch der Putsch in Gabun, wo der Bongo-Clan seit 1967 ununterbrochen als eine der reichsten und loyalsten Stützen der Françafrique herrschte: Es geht, scheint es, den Pariser Seilschaften nicht mehr bloß in West-, sondern nun auch in Zentralafrika an den Kragen.
Tut es das? In Paris wird die Frage zur Zeit heiß diskutiert. Bislang haben die gabunischen Putschisten noch keinerlei Schritte gegen die politische und militärische Präsenz Frankreichs eingeleitet. Eine Parallele zum Krieg im Sahel, der stark dazu beigetragen hat, in den dortigen Ländern den Hass auf Frankreichs Streitkräfte und seine Politik zu schüren, gibt es in Gabun nicht. In französischen Medien kann man hoffnungsvolle Äußerungen lesen, womöglich handle es sich bei dem Putsch nur um einen Machtkampf zwischen verschiedenen Familien der herrschenden Clans.
Prompt erklärte der EU-Außenbeauftragte Josep »Dschungel« Borrell, man könne die Putsche in Niger und in Gabun nicht vergleichen: Sei in Libreville ein Langzeitherrscher nach mutmaßlich gefälschten Wahlen gestürzt worden, so habe in Niamey ein gewählter Präsident die Macht verloren. Das stimmt nur halb: Auch die Wahlen in Niger, die 2016 und 2021 die jetzt gestürzte Partei an die Macht brachten, waren von starken Fälschungsvorwürfen begleitet worden. Borrell aber sucht nicht nach der Wahrheit, er macht Politik. Er will in Libreville die Türen offenhalten.
Kann Paris also seine Einflussnetzwerke in Gabun noch retten? Man wird sehen, wie stark der Unmut über die einstige Kolonialmacht nicht nur West-, sondern auch Zentralafrika erfasst hat. Klar ist freilich: Günstig für Frankreich verläuft die Entwicklung nicht. In Paris werden mittlerweile Stimmen laut, die dafür plädieren, den Verlust der Françafrique zu akzeptieren und sich statt dessen auf das Eigentliche zu besinnen – den europäischen Kontinent. Kurz: Truppen sollen stärker als bisher in Osteuropa stationiert werden. Ob Frankreichs Wirtschaftsinteressen in Afrika es zulassen, den anderen Krieg zu wählen, ist freilich noch längst nicht ausgemacht.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Gottfried W. aus Berlin (1. September 2023 um 08:09 Uhr)Deutschland kann nicht mit Häme auf die Ereignisse in Afrika schauen, weil zusammen mit den französischen die eigenen Felle die Flüsse hinunterschwimmen. Nur die USA bleibt dort für eine Weile. Kampf um Rohstoffe geht weiter, nur mittlerweile kommen die so lange Marginalisierten gut ausgebildet mit tragbarer Bewaffnung zurück und egalisieren die bisherigen Vorteile hochentwickelter Waffensysteme. Luftwaffe, Panzer, am Ende Schrott, der einen Zermürbungskrieg nicht überdauert hat. Für Frankreich wird es auf andere Art eng. Es hat, anders als Deutschland und Polen, in der Ukraine nichts mehr zu gewinnen. Am Aufbau werden sie nicht beteiligt, es bleibt nicht viel, und so viele Waffen zum Verschrotten wie die USA hat Frankreich nicht. Frankreich wird mit Deutschland ringen müssen, oder es verliert alles. Jetzt muss Frankreich Deutschland schwächen, wo Deutschland schwach ist, sonst geht es unter.
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