50 Jahre Putsch in Chile: jW-Reihe
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Aus: Ausgabe vom 12.08.2023, Seite 3 (Beilage) / Wochenendbeilage

Spiegel-Sieg

Von Arnold Schölzel
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Am Montag fasst die Neue Zürcher Zeitung (NZZ) die militärische Lage im Ukraine-Krieg mit Schlag- und Unterzeilen auf Seite eins zusammen: »Ukrainer stecken an der Südfront fest. Die russische Verteidigung ist stärker als erwartet. Zwei Monate nach Beginn der Offensive spricht wenig für einen raschen Kollaps der russischen Linien. Die Ukrainer kämpfen aber auch mit hausgemachten Problemen.« NZZ-Korrespondent Ivo Mijnssen schreibt, dass Kiews Truppen »die Hauptverteidigungslinien des Feindes im besten Falle gerade erreichen (…) (und dort) mit hohen Verlusten rechnen müssen«, wofür er Beispiele nennt. Laut Mijnssen wächst unter Experten »die Skepsis, ob dieses Tempo rasch erhöht werden kann, zumal die Ukrai­ner schon viele Mittel einsetzen. Im Süden verfügen sie erstmals über eine Überlegenheit bei der Artillerie, verschießen aber auch jeden Tag ein Drittel dessen, was die USA in einem ganzen Monat produzieren«. Zahlreiche »der blutigen Fehler, die nun während der Offensive passieren, lassen auf Führungsschwäche und Inkompetenz schließen«.

Schilderungen dieser Art finden sich in deutschen Großmedien nicht. Sie halten sich etwas strenger als das Schweizer Blatt an Regeln der Kriegspropaganda: »Wir« sind die Guten, die anderen das Böse schlechthin, »wir« siegen ständig, die anderen verlieren in einer Tour etc. Ein Musterfall ist ein Interview, das der Spiegel am Dienstag veröffentlichte. Die Spiegel-Redakteure Francesco Collini und Lina Verschwele befragen darin den Leiter des Berliner »Carnegie Russia Eurasia Center«, Alexander Gabujew, der beiläufig erwähnt, dass er im Kanzleramt und im Auswärtigen Amt Gesprächspartner ist. Einige Fragen der beiden Journalisten werden mit Aussagen wie diesen eingeleitet: »Russland hat in den vergangenen 17 Monaten enorme Niederlagen in der Ukraine erfahren.« Das klingt erstaunlich angesichts der Tatsache, dass die russischen Streitkräfte mehr als 100.000 Quadratkilometer kontrollieren und davon – siehe NZZ vom Tag zuvor – relativ wenig aufgeben mussten oder aus taktischen Gründen räumten. Eine weitere Frage lautet: »Schon jetzt verzeichnet die russische Seite enorme Verluste. Könnten noch mehr Opfer nicht zu einer Volksrevolte führen?« Auf die angeblichen »enormen Verluste« geht Gabujew gar nicht erst ein, kommt den beiden Fachleuten aber entgegen und spricht von »große(n) Sorgen in der Bevölkerung«. Dennoch seien »die Proteste bisher eher klein und damit leicht zu unterdrücken«. Klein, aber unterdrückenswert?

Nächste Investigativfrage: »Wenn in Russland so große Angst herrscht, bei allem, was mit diesem Krieg zusammenhängt – warum kam ›Wagner‹-Chef Jewgeni Prigoschin nach seinem versuchten Aufstand unbestraft davon?« Gabujew ignoriert die Halluzination von »großer Angst« und Straflosigkeit und antwortet: »Wir wissen nicht, was der Deal war.« Um dann drauflos zu spekulieren, vielleicht werde der Militärkonzernchef vom Kreml noch in Afrika gebraucht oder habe einen »Ordner voll von kompromittierendem Material über die russische Führung«, der nach seiner möglichen Ermordung in den Medien lande. Wie russische Politik eben funktioniert: Im Kreml herrscht permanent Zähneklappern – vor der eigenen Bevölkerung oder Kriminaloligarchen.

Zum kompletten Bild fehlt, dass die moskowitische Wirtschaft dem Wirtschaftskrieg des Westens bereits erlegen ist. Also folgt die Frage zur russischen Rüstung: »All das kostet viel Geld. Wie finanziert Russland seine Kriegsmaschinerie, trotz der Sanktionen?«

Die Spiegel-Redakteure halten Annalena Baerbocks Mission, Russland zu ruinieren, für erfüllt. Egal, ob die russische Ökonomie wächst und die deutsche schrumpft. Die NZZ liest keiner.

Deutsche Großmedien halten sich streng an Regeln der Kriegspropaganda: »Wir« sind die Guten, die anderen das Böse schlechthin, »wir« siegen ständig, die anderen verlieren in einer Tour.

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Reinhard W. aus Hamburg (16. August 2023 um 13:17 Uhr)
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