»Hat die Absicht, Menschen zu vereinzeln«
Von Annuschka Eckhardt
Die Zeitschrift Emma, der Verein Sisters und das Netzwerk Ella mahnen Sie ab und fordern, dass Sie eine strafbewehrte Unterlassung unterzeichnen. Warum?
Es geht darum, dass ich im Zuge meiner Bildungsarbeit die Argumente und Argumentationsmuster dieser Vereine in bezug auf Prostitution und Selbstbestimmungsgesetz analysiere und kritisiere. Vor allem tue ich das bezüglich des Lobbyarguments, wie es in Prostitutionslobby oder Zuhälterlobby, aber auch in Translobby oder in Genderlobby verwendet wird. Den Vereinen passt diese Kritik, die ich übe, nicht. Deswegen haben sie versucht, mich dazu zu bringen, diese Unterlassungserklärung zu unterschreiben. Das habe ich nicht getan, und dann haben sie mich verklagt.
Wie argumentieren die Klägerinnen?
Sie argumentieren damit, dass es sie verunglimpft und diffamiert, wenn sie dafür kritisiert werden, welche Argumente sie verwenden, und das ist eine offensichtliche Täter-Opfer-Umkehr. Es sind letztendlich die Beratungsstellen und die Sexarbeitenden, die mit diesen Begriffen wie Prostitutionslobby oder Zuhälterlobby ohne Grundlage belegt werden. Diese Lobbybegriffe sind nur dazu angetan, Bedrohungsszenarien aufzubauen und Ängste zu schüren.
Warum ist diese Argumentation der Klägerinnen in Ihren Augen antifeministisch?
Es geht darum, die legitimen Emanzipationsbestrebungen zum Beispiel von Personen der LGBTQIA-Community oder von Sexarbeitenden zu beschränken. Und wenn legitime Forderungen wie die nach mehr Rechten, Entkriminalisierung oder nach einem Selbstbestimmungsgesetz erhoben werden, wird danach argumentiert, dass es sich dabei um Lobbyinteressen handelt. Das ist antifeministisch.
Wer soll diese ominöse Prostitutionslobby überhaupt sein?
(lacht) Das müssen Sie die mal fragen. Die Menschen, die differenziert über das Thema sprechen, sagen, das Problem sind nicht die Sexarbeitenden oder die Sexarbeit an sich. Das Problem sind illegalisierte Fluchtrouten und Europa als abgeriegelte Festung mit einem Migrationsregime.
Diese Art von Klagen werden strategische Klagen gegen öffentliche Beteiligung genannt. Welcher Ansatz steht dahinter?
Das hat die Absicht, Menschen zu vereinzeln. Es trifft vor allem jene, die sich in der Zivilgesellschaft engagieren, die politisch aktiv sind, die Arbeit machen, die häufig auch unbezahlt ist. Damit treten sie den Interessen bestimmter Gruppierungen auf die Füße. Und deswegen werden sie dann wegen Diffamierung, Beleidigung oder Verleumdung verklagt oder belangt. Und es geht darum, sie in langwierige, kostspielige Verfahren zu verstricken und sie dadurch auch zum Schweigen zu bringen.
Die Klägerinnen wollen Sexarbeitende »retten«. Warum ist das paternalistisch?
Die Sexarbeitenden werden in der Regel nicht gefragt, ob sie diese »Rettung« wollen. Und vor allen Dingen knüpft sich an die »Rettung« die Forderung nach Ausstieg und nicht die Forderung nach mehr Gleichberechtigung oder nach mehr Rechten in der Gesellschaft. Es geht darum, diese Menschen zu bevormunden, eben paternalistisch zu behandeln und ihnen damit die eigene Entscheidung abzuerkennen. Es entscheiden irgendwelche bürgerlichen Gruppen darüber, was das richtige ist für Menschen mit Behinderungen, für sexarbeitende Menschen, für Menschen, die durch das Asylrecht illegalisiert werden, ohne dass sich etwas an den wirklichen Problemen ändert.
Könnten Sie noch einmal den Unterschied zwischen Sexarbeit und sogenannter Zwangsprostitution erklären?
Ich benutze den Begriff Zwangsprostitution nicht. Prostitution ist nach dem aktuell gültigen Gesetz eine konsensuelle Dienstleistung gegen Entgelt. Und wenn das nicht konsensuell ist oder kein Entgelt oder Honorar gezahlt wird, dann handelt es sich um eine Straftat. Insofern führt der Begriff Zwangsprostitution ein bisschen aufs Glatteis. Es ist wichtig, auseinanderzuhalten: Wo geht es um Straftaten, die verfolgt werden müssen, und wo geht es um informelle, verbesserungswürdige Arbeitsbedingungen? Die sind übrigens informell, weil Sondergesetze für das sogenannte Milieu greifen oder weil Menschen eben nicht legal in Deutschland arbeiten dürfen. 170 Jahre Sondergesetze zu Prostitution haben diese Verhältnisse geschaffen, wo viele Menschen Sexarbeit nicht machen, weil sie sich dafür selbstbestimmt entschieden haben, sondern weil ihnen keine andere Möglichkeit bleibt. Da muss angesetzt werden, dann können wir auch sagen, hier haben wir es mit selbstbestimmter Sexarbeit zu tun und dort haben wir es mit Ausbeutung zu tun. Ausbeutung bekämpfen, Armut abbauen!
Hinweis: In einer vorherigen Version lautete die Unterzeile fälschlicherweise »Zeitschrift Emma überzieht Sexarbeitende mit Klage«. Wir bitten diesen Fehler zu entschuldigen.
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Leserbrief von Gruppe Frauenkampftag SFO aus Magdeburg (11. August 2023 um 17:04 Uhr)Frau Rebelde verleugnet, dass es in Deutschland, dem Bordell Europas, in dem mit Prostitution jährlich Milliarden umgesetzt werden, eine Prostitutionslobby gibt, und greift die an, die darüber sprechen. Dass die Kapitalseite Einfluss auf Gesetzgebung und die öffentliche Meinung nimmt, würde in der jungen Welt in anderen Hinsichten nie bestritten werden. Doch Frau Rebelde, die das für eine Verschwörungstheorie von Feministinnen hält, wird hier nicht widersprochen. Frau Rebelde hält Prostitutionskritik außerdem für rechts und strukturell antisemitisch. Darum ging es auch in der Unterlassungsklage, was im Artikel unterschlagen wird. Hier ist eine Kritik an der Instrumentalisierung des Antisemitismusvorwurfs notwendig. Außerdem hat Prostitutionskritik in der Linken eine Tradition, die von Engels und Bebel bis zu Kollontai reicht. Prostitutionskritik ist Resultat einer marxistischen Weltanschauung. Warum wird Frau Rebelde nicht aufgefordert, ihre Argumente darzulegen? Wir empfehlen Frau Eckhardt, mal die Frauen auf der Berliner Kurfürstenstraße zu interviewen und nicht nur die wenigen zu Wort kommen zu lassen, die das freiwillig tun. Es ist unglaublich, dass die junge Welt, die sich bis heute als linke und marxistische Tageszeitung definiert, unkommentiert so liberale, reformistische Positionen verbreitet. Nur zur Erinnerung: Ihr wart mal das Zentralorgan der FDJ in der DDR – in dem sozialistischen Staat, der Prostitution als das, was sie ist, erkannte: Warenmachen von Sexualität und Frau, Verdinglichung von Liebe, Beziehung und Zuneigung. Antiimperialismus und Antikapitalismus sind unvereinbar mit solch reformistischen Positionen zur Prostitution, die eine vermeintliche Trennung zwischen »Zwangsprostitution« und Sexarbeit erzeugen wollen. Frau Rebelde scheint von Antisemitismus genausowenig Ahnung zu haben wie von proletarischem Feminismus. Das ist ihr vor Gericht auf die Füße gefallen. Kein Grund, ihr in eurer Zeitschrift eine Plattform zukommen zu lassen.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Christine M. (11. August 2023 um 12:10 Uhr)Die unter dem Artikel inzwischen erfolgte Korrektur, dass es nicht die Zeitschrift Emma, sondern der Verein Sisters e. V. ist, der gegen Ruby Rebelde geklagt hat, weiterhin ohne zu erwähnen, dass sich die Klage inhaltlich gegen den von Rebelde erhobenen Vorwurf des »Antisemitismus« wehrt, ist eine unvollständige Richtigstellung. Es muss doch – völlig unabhänig, wie man sich zu den Kontrahenten positioniert – möglich und von einer Tageszeitung zu erwarten sein, dass sie in der Lage ist, den Sachverhalt vollständig und richtig wiederzugeben.
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vom 11.08.2023