Lobby attackiert Journalisten
Von Annuschka Eckhardt
Aus Angst vor Auseinandersetzungen mit der eigenen Geschichte können bundesdeutsche Behörden und Kommunen nicht zwischen Antisemitismus und Kritik am israelischen Staat unterscheiden. Leichter ist es, präventiv mit der Antisemitismuskeule um sich zu schlagen und hart gegen vermeintlichen »importierten Antisemitismus« und »Antisemitismus von links« vorzugehen.
Im Rahmen des Augsburger Friedensfestes war am 25. Juli ein Vortrag zum Thema »Rechtsruck in Israel: Gibt es noch Chancen für den Friedensprozess?« geplant. Halten sollte ihn junge Welt-Autor Jakob Reimann. Doch dazu wird es nicht kommen. Grund dafür ist eine Hetzkampagne gegen Reimann, die die Augsburger Friedensinitiative zum »Verschieben« des Vortrags bis spätestens zum 15. Oktober veranlasste.
Zunächst berichtete das Onlinemedium Die Augsburger Zeitung (DAZ) am Montag über das geplante Event, bezeichnete den Journalisten als »Gastredner mit antisemitischen Verschwörungstheorien«, unterstellte ihm Mitgliedschaft in der BDS-Bewegung und betitelte dies als »Ausdruck des linken Antisemitismus«. Auf diesen Zug sprangen die Zeitungen Augsburger Allgemeine und Jüdische Allgemeine auf. Dort wird Volker Beck, der Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft (DIG), zitiert: »Jakob Reimann ist in den sozialen Netzwerken für seine obsessive Hetze gegen Israel berüchtigt«, sagte Beck der Jüdischen Allgemeinen.
Die Diffamierung zeigte Wirkung: »Generell betonen wir, dass sich die Stadt Augsburg ausdrücklich von Antisemitismus und Rassismus distanziert und sich gegen jede Form von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit ausspricht, da sich dies nicht mit dem Selbstverständnis von Augsburg als Friedensstadt vereinbaren lässt«, teilte die Stadt in einer Presseerklärung vom Mittwoch abend mit.
»Bei dieser Veranstaltung geht es ausschließlich um den Rechtsruck in Israel und die Chancen für einen Frieden dort. BDS ist kein Thema. Dass die Veranstaltung israelkritisch ist, liegt an der Situation in Israel«, konterte Klaus Stampfer von der Augsburger Friedensinitiative am Donnerstag gegenüber junge Welt. Über die Motive der DAZ, die Veranstaltung als »antisemitischen BDS-Aktivismus« zu verunglimpfen und eine Kampagne loszutreten, könne er nur spekulieren. Trotzdem beugte sich die Initiative dem Druck.
Wieland Hoban, Vorsitzender des Vereins »Jüdische Stimme für einen gerechten Frieden in Nahost«, sieht Parallelen zum Fall der Wissenschaftlerin Muriel Asseburger, die nach einem Podcast zum Nahostkonflikt Ziel von Verleumdungen seitens der Presse und der israelischen Botschaft wurde. »Der Angriff der DIG auf Jakob Reimann und der Druck auf das Augsburger Hohe Friedensfest, ihn als Redner auszuladen, zeigen kurz nach der Diffamierung von Muriel Asseburger erneut die Penetranz und die unangemessene Wirkung von Angriffen durch proisraelische Organisationen«, so Hoban gegenüber jW. Immer wieder komme es zu solchen Cancelling-Fällen für Meinungen, die von Menschenrechtsorganisationen genauso vertreten würden.
»Die mediale Hysterie, die die Ankündigung meines Vortrags ausgelöst hat, zeigt einmal mehr die Unmöglichkeit auf, in diesem Land eine vernünftige Debatte zum Nahostkonflikt zu führen«, äußerte sich Reimann am Donnerstag im jW-Gespräch. Er bestreitet, Mitglied der BDS-Bewegung zu sein. »Statt auf Dialog und fairen Streit zu setzen, sollen kritische Stimmen mundtot gemacht werden«, so Reimann.
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