Ein ganz kleiner Wurf
Von Gudrun Giese
Mit einem spart diese Bundesregierung nicht: mit großen Worten. So bezeichnete Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) die Einigung mit der Mehrheit der Bundesländer auf ein Eckpunktepapier zu Strukturänderungen bei den Krankenhäusern als »Revolution«. Tatsächlich verständigten sich die Gesundheitsminister des Bundes und der Länder sowie die drei Bundestagsfraktionen der Regierungskoalition in Berlin am Montag auf ein Eckpunktepapier für die sogenannte Krankenhausreform als Grundlage für einen Gesetzentwurf – gegen die Stimme Bayerns und bei Enthaltung Schleswig-Holsteins. Zu den Kernpunkten der künftigen Krankenhausstruktur gehört die Einteilung der Kliniken in unterschiedliche Leistungsgruppen sowie die Umstellung von sechzig Prozent der Honorierung auf Vorhalte- statt der berüchtigten Fallpauschalen. Allerdings wird die Umstellung nach Einschätzung Lauterbachs einige Jahre in Anspruch nehmen. Und starten kann das neue System auch nur dann, wenn der Gesetzentwurf zügig vorbereitet und verabschiedet wird.
Enttäuscht zeigte sich Gerald Gaß, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG), weil das Eckpunktepapier kaum konkrete Auswirkungen habe. »Aus der großen Krankenhausreform, die vollmundig als Revolution angekündigt wurde, wurde nun ein Eckpunktepapier voller Absichtserklärungen und Prüfaufträge.« Vor allem fehle es an Sofortmaßnahmen für die Krankenhäuser, deren inflationsbedingter Mehraufwand erst einmal nicht übernommen werde. Geeinigt habe man sich lediglich auf einen Prüfauftrag für den Bund, »ob denn noch Gelder vorhanden sein könnten«, so Gaß. Da Lauterbach diese Hoffnung bei einer Pressekonferenz am Montag gleich wieder zerschlug, ist laut DKG für die kommende Zeit von vielen Krankenhausinsolvenzen auszugehen.
Positiv am Eckpunktepapier ist für Gaß, dass die Bundesländer den radikalen Umbau der Krankenhauslandschaft abgewehrt und sich auf das nordrhein-westfälische Modell geeinigt hätten, bei dessen Entwicklung die DKG und die Krankenkassen beteiligt waren. Erfreulich seien Öffnungsklauseln, die helfen sollen, regionale Besonderheiten abzudecken, erklärte der DKG-Chef. Doch die negativen Auswirkungen der »Reform« überwögen.
Auch die Gewerkschaft Verdi mahnte nach der Bekanntgabe eine schnelle finanzielle Unterstützung der Krankenhäuser an. »Keine Klinik darf aus akuter wirtschaftlicher Not geschlossen werden, bevor die Reform überhaupt greifen kann«, erklärte Sylvia Bühler aus dem Bundesvorstand. Kliniken, die für die wohnortnahe Versorgung gebraucht würden, müssten erhalten bleiben. Bühler bedauerte, dass sich Bund und Länder nicht auf die vollständige Abschaffung der Fallpauschalen geeinigt hätten. Es sei überfällig, wirtschaftlichen Druck von den Kliniken zu nehmen: »Ob das durch die 60 Prozent Vorhaltepauschalen erreicht wird, kann erst bewertet werden, wenn die konkrete Ausgestaltung bekannt ist«. In diese Ausgestaltung sollten die Beschäftigten einbezogen werden, ein Umbau könne nur mit ihnen gelingen.
Scharfe Kritik am Bund-Länder-Papier kam auch vom Bündnis Klinikrettung. Mit den Eckpunkten werde kein einziges der grundlegenden Probleme gelöst, erklärte Laura Valentukeviciute. Weiterhin drohten Schließungen wegen Unterfinanzierung und Personalmangel. Zum Teil werde sich die Notlage der Kliniken sogar noch verschärfen, weil das System der Fallpauschalen nicht überwunden werde. So bleibe es bei der »Ökonomisierung und Kommerzialisierung im Krankenhaussektor«. Die vorgesehene Klassifizierung der Kliniken in Leistungsgruppen könnten den Bestand vieler Häuser zusätzlich gefährden. »Die Konzentration von Personal wird zur Folge haben, dass viele Beschäftigte den Beruf aufgeben werden«, so Valentukeviciute. Statt das bestehende System zu verschlimmbessern, sei eine Umkehr zum Selbstkostendeckungsprinzip der Krankenhäuser nötig. Außerdem sollten alle Kliniken von den Kommunen getragen werden, »um den Renditeabfluss zu stoppen«. Beides sei kein Thema in den aktuellen Vorschlägen.
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