Geldwerte Geheimnisse
Von Rudolf Stumberger
Das dem Freistaat Bayern gehörende Schloss Nymphenburg liegt im Westen von München und wird gerne von Touristen besucht. Erbaut im 17. Jahrhundert als Sommerresidenz für den Adelsclan der Wittelsbacher, die damals noch als Kurfürsten im Lande regierten, wurde hier auch König Ludwig II. (»Neuschwanstein«) geboren. Heute kümmert sich die »Bayerische Verwaltung der staatlichen Schlösser, Gärten und Seen« um Schloss und Park, die natürlich öffentlich zugänglich sind. Allerdings wissen wahrscheinlich nur die wenigsten Besucher, dass in den Mauern der Schlossanlage auch zwei Einrichtungen untergebracht sind, die bisher das Licht der Öffentlichkeit eher scheuten, geht es doch um Adelsprivilegien, Macht, Geld und konservative Beziehungsgeflechte: die Carl-Friedrich-von-Siemens-Stiftung und das Haus Wittelsbach, das sich vom »Wittelsbacher Ausgleichsfonds« nährt. Die Stiftung ist eines der Beispiele dafür, wie in der Bundesrepublik diskret konservative bis ultrarechte Netzwerke geknüpft wurden und wie die Abschottung der Eliten dazu dient, die eigenen Privilegien möglichst unsichtbar werden zu lassen.
Dienstag, 14. März, gegen 18.30 Uhr. Bei der Carl-Friedrich-von-Siemens-Stiftung im Gebäude eines ehemaligen Kavaliershauses mit der Adresse Südliches Schloßrondell 23 geht es hoch her. Im Garten des Anwesens haben sich handverlesene Gäste im Vortragssaal eingefunden, hier wird heute Eve Blau, US-amerikanische Professorin an der Graduate School of Design der Harvard University, einen Vortrag halten. Ihr Fachgebiet ist Stadtentwicklung, und ihr Thema des Abends ist der Wohnungsbau des »Roten Wiens« in den 1920er Jahren: Die Wohnsituation ändern heißt die Gesellschaft ändern, lautet sinngemäß der Titel. Ein solcher Vortrag wäre in einer Stadt wie München, in der es für Normalverdiener kaum noch möglich ist, eine Wohnung anzumieten, von besonderem Interesse. Doch die Vorträge der Stiftung sind sehr exklusiv, so wie die Adresse und das Publikum. Auf der Website der Stiftung findet sich kein Hinweis, auf die Anfrage per E-Mail, ob man dem Vortrag beiwohnen könne, folgt keine Antwort. Allerdings, man kann ihn an diesem Abend per Videostream mitverfolgen, so man denn Kenntnis davon hat. Tage später ist das Video nicht mehr verfügbar. Die Stiftung wirkt gerne im Stillen und pflegt die Exklusivität, kaum dass man den Namen an der Eingangstür findet.
Geld und Wissen
Gegründet wurde sie 1958 von Ernst von Siemens (1903–1990), der sie nach seinem Vater Carl Friedrich von Siemens (1872–1941) benannte. Sie fördert als gemeinnützige, unabhängige Einrichtung die Wissenschaften. Als Stiftungszweck ist angegeben: »Mit einem umfangreichen Programm am Stiftungssitz in München ermöglicht sie den Dialog zwischen international renommierten Expertinnen und Experten, jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, Hochschulen, Bibliotheken, Verwaltung und Zivilgesellschaft.« Und in der Tat gaben sich dort bei Vorträgen namhafte Wissenschaftler die Klinke in die Hand: die Philosophen Jürgen Habermas und Peter Sloterdijk zum Beispiel. Oder der Politikwissenschaftler Herfried Münkler und der Kunsthistoriker Horst Bredekamp. Auch der Staatsrechtler Ernst-Wolfgang Böckenförde und der Ägyptologe Jan Assmann fanden sich schon ein. Daneben unterstützt die Stiftung Bibliotheken beim Ankauf von Büchern und fördert junge Wissenschaftler. Auf 642 Millionen Euro beläuft sich das Stiftungsvermögen aus der Privattasche des Ernst von Siemens, 2021 gab es dafür 16 Millionen Rendite, die unter die Leute zu bringen sind.

Die Stiftung hat also mit Geld und mit Wissen zu tun. Und mit Nichtwissen. Es ist nämlich so, dass Nichtwissen vielfach überhaupt erst die Voraussetzung für Geld ist. Denn das Geld der einen bedingt das Nichtwissen der anderen. US-amerikanische Soziologen haben sich in den 1940er Jahren mit diesem gesellschaftlichen Phänomen im Kapitalismus beschäftigt und dabei einige »positive« Auswirkungen dieses Nichtwissens postuliert. Dazu gehören etwa die »Aufrechterhaltung privilegierter und differenzierter sozialer Positionen und Rollen«, die Stabilisierung hergebrachter Werte oder »systemadäquate Verhaltensanreize« wie Unsicherheit und Angst. Der Hintergrund ist, dass sich die damalige US-Soziologie vor allem dafür interessiert hatte, wie soziale Systeme ihre Funktionen aufrechterhalten. Das Augenmerk war also weniger auf eine kritische Analyse als auf Systemerhaltung gerichtet. Das Nichtwissen dient in diesem Zusammenhang zur Verteidigung des Status quo, etwa der ungleichen Vermögensverteilung in der Gesellschaft.
Was für ein derartiges Nichtwissen können wir uns vorstellen? Die Zahlen und Befunde über die Konzentration der großen Vermögen in den Händen einiger weniger (Erben) oder die Karrierechancen in Abhängigkeit von der Herkunft entstammen ja nicht einem Geheimwissen, sondern sind öffentlich zugänglich. Und Organisationen wie Oxfam verbreiten diese Zahlen über die Vermögenskonzentration in die Gesellschaft hinein. So ist in der Bevölkerung durchaus ein Grundwissen über »die da oben« festzustellen, man weiß schon, wie die Sache grundsätzlich läuft. Der französische Soziologe Pierre Bourdieu hat davon gesprochen, dass die Menschen die Sozialverhältnisse ebensogut kennen wie ihre eigene Hosentasche. Allerdings ist diese Kenntnis eine eher abstrakte, allgemeine Kenntnis. Einen wirklichen Milliardär kennen die wenigsten, und wenn, dann als Angestellte oder Bedienstete. Und so bleibt es beim Nichtwissen über die realen Lebensverhältnisse, deren Dimensionen man sich mit einem Durchschnittseinkommen schwer vorstellen kann: von der eigenen 80-Meter-Yacht und dem Urlaub in der Karibik über den privaten »Learjet« bis hin zu den 30-Zimmer-Villen. Exklusivität ist kein Eigenzweck, sondern dient auch dazu, Netzwerke zu knüpfen und zu pflegen.
Braune Netzwerke
Um was für Netzwerke handelt es sich bei der Siemens-Stiftung? Sie war jahrzehntelang – seit ihrer Gründung bis in die jüngere Geschichte – Teil des rechtskonservativen Milieus in der Bundesrepublik. Springen wir in das Jahr 1985: Das Blatt in München war eine legendäre Stadtzeitung der 1970er und 1980er Jahre und das bayerische Zentralorgan der Anarcho- und Alternativbewegung. Die meist langhaarigen Leser interessierten sich für biologischen Anbau, Haschischrauchen, Kriegsdienstverweigerung und ein Leben in der Kommune. Und gaben Kleinanzeigen auf wie »Wer hat Lust, im März mit circa zwölf Leuten in einem Doppeldecker nach Marokko zu fahren?« 1985 erschien von den Blatt-Machern das »Stadtbuch München«, und darin war auf Seite 151 zu lesen: »Siemens ist nach der Stadt selbst (41.000) mit 40.000 Beschäftigten der größte Arbeitgeber Münchens.«

1985, das war das Jahr, in dem die Punkband The Clash ihr Album »Cut the Crap« herausbrachte und als Heinrich Meier seinen Job als Geschäftsführer der Carl-Friedrich-von-Siemens-Stiftung im Nymphenburger Schlossrondell antrat. Der 32jährige kam aus Freiburg im Breisgau und aus dem entgegengesetzten Universum, was Blatt, Anarcho oder Punk anbetraf. Seine jüngeren Jahre verbrachte der spätere promovierte Philosoph mit Aufsätzen wie »Hitler lebt«, die er für die Schülerzeitung Im Brennpunkt schrieb. Das »unabhängige Schülermagazin« mit einer Auflage von 200.000 Exemplaren war das rechte Gegenstück zur Blatt-Philosophie: »Die linken Irrlichter brennen ab«, hieß zum Beispiel ein weiterer Beitrag von Meier aus dem Jahre 1972, worin dargelegt wird, dass Schwarze blöder als Weiße seien und Intelligenz vererbt werde. Als Philosophiestudent an der Uni Freiburg schrieb Meier in der rechtskonservativen Zeitschrift Criticón, die inhaltlich von Armin Mohler beeinflusst wurde, dem Vorgänger von Meier bei der Siemens-Stiftung – von ihm noch später.
37 Jahre lang, von 1985 bis 2022, fungierte Meier als Chef der Stiftung, zuletzt mit einem Monatsgehalt von 24.000 Euro. Das Wirken dieser Jahre fasste die Süddeutsche Zeitung im März 2023 so zusammen: eine »typische Mischung aus Exklusivität, Intransparenz und Prasserei«. Dass auf die Nymphenburger Stiftung, die jahrzehntelang eher im Verborgenen wirkte, das Licht der Öffentlichkeit fiel, hatte mit einer Personalie zu tun: Der Germanist Marcel Lepper, Nachfolger von Meier, wurde nach nur elf Monaten im Amt wieder gekündigt – ein Eklat, der von der Presse aufgegriffen wurde. Über die Umstände wird von seiten der Stiftung Schweigen gewahrt, es soll sich um Fehlverhalten bei der Personalführung gehandelt haben. Lepper hatte einigen Reformbedarf ausgemacht: Die Stiftung sollte verjüngt, weiblicher und transparenter werden. Sein Vorgänger Meier hatte ihm ein gewisses Erbe hinterlassen: Das Honorar für die Vorträge – immerhin stattliche 5.000 Euro – soll im Büro des Geschäftsführers sofort in kleinen Scheinen ausgezahlt worden sein, für Moderationen habe es edlen Champagner und Wein im Werte von mehreren hundert Euro gegeben, Meier habe sich von geförderten Institutionen persönlich feiern lassen. Und Lepper wollte auch die ersten Jahrzehnte der Stiftung unter dem damaligen Geschäftsführer Armin Mohler aufarbeiten lassen.
Mohler gilt als einer der Vordenker der Neuen Rechten. Er widmete sich der Rehabilitation der »Konservativen Revolution«, wozu er auch seine Dissertation verfasste. Unter den geistigen Vätern der »Konservativen Revolution« waren Oswald Spengler (»Der Untergang des Abendlandes«) und Arthur Moeller van den Bruck (»Das dritte Reich«). Mohler war von 1949 bis 1953 Privatsekretär von Ernst Jünger (»In Stahlgewittern«), danach Journalist in Paris. 1961 kam er als Sekretär zur Carl-Friedrich-von-Siemens-Stiftung auf Empfehlung des ehemaligen SS-Obersturmbannführers Franz Riedweg, den er 1942 kennengelernt hatte. 1964 wurde er Geschäftsführer. Mohler schrieb für die extrem rechte Nationalzeitung des Münchner Verlegers Gerhard Frey, später für die Junge Freiheit. In Freys Blatt publizierte anonym auch der bayerische Justizminister Alfred Seidl. Mohler engagierte sich für Franz Josef Strauß und die CSU, später für Franz Schönhuber und seine Partei »Die Republikaner«. 1985 gab Mohler, wie beschrieben, die Stafette an seinen Nachfolger Heinrich Meier weiter, den er aus dem rechtskonservativen Kreis der Zeitschrift Criticón heraus rekrutierte. Mit der Berufung und anschließenden Entlassung von Marcel Lepper scheint der nahtlose Übergang an den Schaltstellen des Netzwerkes gescheitert zu sein.
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