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Aus: Ausgabe vom 27.05.2023, Seite 3 (Beilage) / Wochenendbeilage

Ins Wilde

Von Arnold Schölzel
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Vom 16. bis zum 21. Mai war der Kovorsitzende der Linksfraktion im Bundestag, Dietmar Bartsch, in der Ukraine. Am Montag teilte er auf Twitter mit: »Viele Menschen in der Ukraine wollen, dass der Krieg schnellstmöglich endet. Europa kann und sollte diplomatisch mehr leisten. Ich werbe für eine europäisch abgestimmte Friedensini­tiative.« Die Sätze trugen ihm den im Twitter-Geschäftsmodell vorgesehenen Krawall von Leuten ein, die ihre Lesefähigkeit beim Twitter-Gebrauch verloren haben: »Widerlich, die Ukraine für Ihre Russland-Agenda zu missbrauchen«, »Dass die Ukrai­ner die Russen aus ihrem Land haben wollen, verschweigen Sie aber ganz zufällig?«, »Sie glauben immer noch, dass der Krieg und das Sterben aufhört, wenn die Ukraine kapituliert, oder?«

Das uniforme Wiederkäuen der herrschenden Aufgeregtheiten – von Gedanken, selbst herrschenden, ist das Musk-Revier frei – rief die Deutsche Welle auf den Plan. Der steuerfinanzierte Sender für Auslandspropaganda, der sich unverdrossen »unabhängig« nennt, stellte am Mittwoch ein Interview mit Bartsch in russischer Sprache auf seine Internetseite und bezog sich auf das Twitter-Gedöns. Erste Frage: »Ihre Partei lehnt Waffenlieferungen an die Ukraine ab.« Aber da sei doch die Abgeordnete Sevim Dagdelen, die so etwas »friedenspolitisch fatal« nenne. Bartsch: »Wenn man eine Nacht in Kiew verbringt, Sirenen hört und Luftabwehrsysteme im Einsatz sieht, kann man nicht mehr denken, dass das sinnlos ist. Nachdem ich das alles erlebt habe, hat sich meine Haltung zur Luftabwehrversorgung geändert. Es ist richtig, dass Kiew über solche Systeme verfügt. Und es wäre gut, wenn viele andere ukrainische Städte sie auch hätten.«

Da hat sich die Reise doch gelohnt: Sei vor Ort, dann wünschst du dir Waffen. Wie wäre es da mit einer Tour nach Donezk? Da wird seit 2014 gebombt und geschossen. Kiew nennt das antiterroristische Operation, hat bis 2022 etwa 14.000 Tote hinterlassen und Millionen Einwohner Richtung Russland vertrieben. Ist aber kein Krieg, jedenfalls für Bartsch, seine Kollegin Amira Mohammed Ali und Gregor Gysi nicht. Alles hat am 24. Februar 2022 begonnen, wie die drei auf der Internetseite der Linke-Fraktion kundtun. Beschuss der Kathedrale von Donezk jüngst exakt während eines Gottesdienstes am orthodoxen Osterfest im April? Tote und Verletzte täglich? Auch der russischsprachige DW-Dienst weiß davon nichts. Die Existenz der ostukrainischen Bevölkerung ist Putin-Propaganda.

Dem DW-Mann reichen Bartschs Waffenbekenntnisse aber nicht: »Sie persönlich haben den russischen Einmarsch als ›verbrecherischen Angriffskrieg Russlands‹ verurteilt. Die bereits erwähnte Sevim Dagdelen schreibt jedoch von einem ›Stellvertreterkrieg des Westens in der Ukraine‹ sowie von einem ›Wirtschaftskrieg gegen Russland und einem Stellvertreterkrieg der NATO in der Ukraine‹.« Da bricht es ein wenig aus Bartsch heraus: »Was die Bewertung des russischen Einmarsches als brutalen, völkerrechtswidrigen Angriffskrieg angeht, kann es keine zwei Meinungen geben. Dass die NATO ein Interesse daran hat, ist eine andere Sache. Aber ehrlich gesagt, diese Position – Stellvertreterkrieg und so weiter – hält der Kritik überhaupt nicht stand.« Wenn die NATO »ein Interesse daran hat«, führt Kiew keinen Stellvertreterkrieg? Wer in der Ostukraine seit 2014 nie einen Krieg wahrnahm, kann bei Kiews Feldzügen schon mal die Peilung verlieren.

Am 23. Mai zeigte das Kiewer Verteidigungsministerium übrigens bei Twitter voller Stolz »Leopard-2 in Ukraine. In the wild«. Auf einem Foto prescht der deutsche Panzer unter der schwarz-roten Bandera-Fahne ins Wilde. Bartsch hat doch recht: Stellvertretung eher nicht, vor allem Wiederholung.

Auf einem Foto prescht der deutsche Panzer unter der schwarz-roten Bandera-Fahne ins Wilde. Bartsch hat doch recht: Stellvertretung eher nicht, vor allem Wiederholung.

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  • Leserbrief von Philipp Zessin-Jurek aus Frankfurt (Oder) (31. Mai 2023 um 12:49 Uhr)
    Sie haben Recht, Herr Schölzel, es gab seit 2014 einen Krieg in der Ostukraine, provoziert und inszeniert von Moskau. Dazu gehören die Krimbesetzung und die Aggression gegen die staatliche Souveränität der Ukraine durch prorussische Milizen in den Oblasten Donezk und Lugansk. Die Ukraine hat dort ihre staatliche Integrität verteidigt. Stellen Sie sich bitte einmal vor, etwas nur annähernd Ähnliches würde in Russland passieren, also eine Region würde sich von Moskau lossagen, was würde dann passieren? Wir haben es in Tschetschenien erlebt und der Westen hat damals erst Jelzin und dann Putin ohne Schulterzucken gewähren lassen. Und bitte rechnen Sie korrekt: Es gab insgesamt 14.000 Tote, beide Seiten zusammengerechnet, und nicht, wie Sie suggerieren, 14.000 Tote allein auf der prorussischen Seite in der Ukraine.
    • Leserbrief von Wolfgang Doster aus Erding (1. Juni 2023 um 17:56 Uhr)
      Der Leser tut nicht nur Herrn Schölzel, sondern auch Russland Unrecht. Nicht Putin hat die Krim besetzt, sondern die Ukraine. 1992 war die Krim die erste Region, die sich von der UdSSR abgespalten und für unabhängig erklärt hatte. Das wurde durch ein erstes Referendum bestätigt. Das war noch vor der Unabhängigkeitserklärung der Ukraine. 1994 hat die neue ukrainische Regierung die Krim überfallen und annektiert, die Regierung wurde gestürzt. 2010 und 2012 hatten die Wahlen eine Mehrheit für eine russlandfreundliche Regierung ergeben. 2014 wurde die rechtmäßige Regierung unter Janukovich gewaltsam gestürzt und durch die US-Marionette Jasenuk ersetzt. Bei diesem völkerrechtswidrigen Regimechange hatte die USA unter Newland und Biden gewaltig die Finger im Spiel. Damit war es vorbei mit der ukrainischen Souveränität. Als erstes wurde die russische Sprache als Amtssprache verboten. Es gab einen Parlamentsbeschluß zur Definition der autochtonen Völker der Ukraine. Russen gehörten nicht dazu und waren zu Bürger zweiter Klasse degradiert. Dieses Gesetz ist analog zu den Nazigesetzen 1934 gegen die Juden. Daher die Abspaltungen von innen, als Reaktion auf ein reaktionäres antirussisches Regime. Das zweite Referendum für eine unabhängige Krim wurde 2014 bestätigt. 2014 begann auch der Krieg der Regierung gegen den Donbass unter CIA-Aufsicht, der Chef war vor Ort. Die mehr als 14.000 Toten gehen fast vollständig auf westukrainischen Beschuss über acht Jahre zurück. Russland hat versucht, dem Töten über das Minsker Abkommen Einhalt zu gebieten. Der Bruch des Minsker Abkommens durch Selenskij, Merkel und Holland ist eine massive Verletzung des Völkerrechts und ist für den Krieg hauptverantwortlich. Man gab zu, das Abkommen dafür missbraucht zu haben, Zeit zu gewinnen, um den Krieg gegen Russland durch Ausbildung und Waffenlieferungen der ukranischen Armee vorzubereiten. Der große Krieg war schon 2019 nach Selenskij Berater Arestowitsch unvermeidlich.

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