Neue Regierung auf Westkurs
Von Marko Dejanovic
Es hat lange gedauert: Nach zwei Jahren, vier gescheiterten Regierungen und fünf Parlamentswahlen hat Bulgarien seit Montag eine Koalition – zwischen zwei eigentlich rivalisierenden Parteien. Auf der einen Seite die konservative GERB (»Bürger für eine europäische Entwicklung Bulgariens«) und auf der anderen Seite die relativ junge Partei PP (»Wir setzen den Wandel fort«), die jeweils 26 und 24 Prozent der Stimmen erhielten. Das Ungewöhnliche an dieser Partnerschaft ist, dass die PP sich 2021 aus Antikorruptionsprotesten gegen führende Politiker der GERB gegründet hatte. Darunter gegen den Parteigründer und Vorsitzenden der GERB, Bojko Borissow, der zwischen 2009 und Mai 2021 fast durchgehend Ministerpräsident war. Gleichzeitig war die GERB nicht mit den führenden Vertretern der PP einverstanden.
Um das Problem zu umgehen, einigten sich beide Parteien auf ein »Expertenkabinett« mit wechselndem Premierminister für die nächsten eineinhalb Jahre. Die ersten neun Monate soll es der PP-Kandidat Nikolaj Denkow richten, danach die langjährige EU-Kommissarin der GERB, Marija Gabriel. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen bedankte sich für Gabriels »konstruktiven und freundschaftlichen Beitrag zur Arbeit des Kollegiums«, wo Gabriel die Liberalisierungspolitik in der Landwirtschaft mittrug, Frontex unterstützte und mit der CSU-nahen Hanns-Seidel-Stiftung an der sogenannten Donaustrategie arbeitete, um die Balkanstaaten stärker an die EU zu binden.
Die Hauptziele der Koalition sind es zum einen, das Land vollständig in die EU zu integrieren, wozu es dem Schengen-Raum sowie der Euro-Zone beitreten muss, aber auch das gesamte Justizsystem zu reformieren. Gegen den Oberstaatsanwalt Bulgariens, Iwan Geschew, gab es aufgrund seiner Nähe zu mafiösen Strukturen seit 2020 mehrmals landesweite Proteste, und er entging nur knapp einer Amtsenthebung. Das politische Establishment scheint unzufrieden mit der allgegenwärtigen Korruption im Land, weshalb man nun versucht, zumindest diejenigen korrupten Elemente des Staates loszuwerden, die dem Land Instabilität bringen und die Politik paralysieren. Dazu kommt der Streit zwischen den und sogar innerhalb der Parteien über die richtige Umgehensweise mit dem Ukraine-Krieg. In Bulgarien unterstützen weiterhin etwa 30 Prozent der Bevölkerung die russische Politik, was am vergangenen Wochenende durch einen Angriff prorussischer Demonstranten auf das Vertretungsgebäude der EU in Sofia noch einmal bekräftigt wurde.
In der Politik stellt sich dieses Verhältnis in gewissen Widersprüchen dar. Borissow, der ähnlich wie die deutsche CDU jahrelang einen transatlantischen Kurs verfolgte, steht gleichzeitig dafür, dass das Land weiter mit Russland handelt und Energie von dort bezieht. Daneben gibt es noch die beiden klar gegensätzlichen Positionen des Parteivorsitzenden der PP, Kiril Petkow, und des parteilich unabhängigen Staatspräsidenten Rumen Radew. Petkow sorgte kurz nach dem russischen Angriff auf Kiew im Februar 2022 für einen internationalen Skandal mit seinen rassistischen Kommentaren: »Diese Leute (Ukrainer) sind intelligent, sie sind gebildete Menschen. (…) Das sind nicht die Flüchtlinge, die wir gewohnt sind. Sie sind Europäer.«
Seit Beginn der Invasion leistete Petkow als Ministerpräsident (Dezember 2021 bis Juni 2022) heimlich Militärunterstützung in Form von Munitions- und Diesellieferungen, bis einer der führenden Personen in dem Waffenexportgeschäft gekündigt wurde, worauf der Betreffende die Zahlen veröffentlichte. Dank dieser Exportgeschäfte verzeichneten bulgarische Firmen Rekordprofite, die jedoch nicht bei den Arbeitern ankommen. Staatspräsident Radew, der im Sommer 2021 mit 66,7 Prozent der Wählerstimmen seine zweite Amtszeit antreten konnte, behandelt das Thema wiederum anders. Er äußert sich offen gegen die Aufnahme der Ukraine in die NATO und gegen Waffenlieferungen, um nicht Kriegspartei zu sein. In der Bevölkerung ist er recht beliebt, da unter seiner Amtszeit viele Korruptionsskandale aufgedeckt wurden und er selbst eine aktive Rolle bei den Antikorruptionsprotesten spielte.
Die neue Koalition wird versuchen, Stabilität in das ärmste EU-Land zu bringen, doch scheint es nicht leicht, da dieser Kurs eng mit dem aggressiven Kurs der NATO verbunden ist, der das Land mit seinen Militärausgaben auch viel Geld kostet. Dafür trägt die Bevölkerung die Kosten, die Profite gehen an die Industriellen, und die angeblich humanistische Politik hat klar rassistische Motive.
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