Schwierige Mission
Von Knut Mellenthin
Li Hui, der Sonderbeauftragte der chinesischen Regierung für Eurasische Angelegenheiten, hat am Freitag eine fast zwei Wochen lange Europareise in Moskau beendet. Die vorangegangenen Stationen waren Kiew, Warschau, Paris, Berlin und Brüssel. Chinas Präsident Xi Jinping hatte in einem Telefongespräch mit seinem ukrainischen Amtskollegen Wolodimir Selenskij am 26. April angekündigt, dass Li demnächst die Ukraine »und andere Länder« besuchen werde, ohne über Einzelheiten zu informieren. Auch die offizielle Mitteilung des chinesischen Außenministeriums vom 12. Mai nannte nur die Zielländer, aber noch keinen Terminplan.
Als erster hatte Chinas Vertreter bei der Münchner Sicherheitskonferenz, Wang Yi, am 18. Februar davon gesprochen, dass die Volksrepublik in Kürze ihre »Position zur politischen Beilegung der Ukraine-Krise« vorlegen werde. Wang ist der Verantwortliche für Außenpolitik im Politbüro der KP Chinas und offenbar einflussreicher als Außenminister Qin Gang. Zum Beispiel führte Wang den Vorsitz in der Schlussphase der Annäherungsgespräche zwischen Saudi-Arabien und Iran im März.
Am 24. Februar veröffentlichte das chinesische Außenministerium sein aus zwölf Punkten bestehendes Positionspapier. An erster Stelle steht dort das Bekenntnis zur »Souveränität, Unabhängigkeit und territorialen Unversehrtheit aller Länder«. Das steht den offiziellen Forderungen der Ukraine nach Wiederherstellung ihrer international anerkannten Grenzen vor der Maidan-Krise und dem Beitritt der Krim zur Russischen Föderation im März 2014 deutlich näher als den Zielen Moskaus. China hat die von Russland vorgenommenen territorialen Veränderungen in der Ukraine nicht anerkannt.
Auch Punkt acht widerspricht Äußerungen des russischen Präsidenten Wladimir Putin und anderer Regierungsmitglieder. Es heißt dort: »Atomwaffen dürfen nicht eingesetzt und Atomkriege dürfen nicht geführt werden. Die Androhung oder der Einsatz von Atomwaffen müssen abgelehnt werden.« – China ist allerdings die einzige Atommacht, die sich ausdrücklich verpflichtet hat, nukleare Waffen nicht als erste einzusetzen.
In dem Positionspapier des chinesischen Außenministeriums werden außerdem unter anderem eine grundsätzliche »Abkehr von der Mentalität des Kalten Krieges«, die »Beendigung einseitiger Sanktionen«, eine möglichst rasche »Beendigung der Feindseligkeiten« in der Ukraine durch einen Waffenstillstand und die »Wiederaufnahme der Friedensgespräche« gefordert, da »Dialog und Verhandlungen« die »einzige praktikable Lösung für die Ukraine-Krise« seien. China verwendet konsequent nur diesen Begriff.
Während Selenskij auf die chinesische Initiative sofort interessiert reagierte, kamen von offizieller westlicher Seite fast ausschließlich destruktive Kommentare. Letztlich zeigt das, dass die NATO-Allianz sich gern auf die ukrainische Entscheidungssouveränität beruft, wenn diese kriegsverlängernd wirkt, aber vehement »dazwischenfunkt«, wenn sich politische Alternativen auch nur entfernt andeuten. Deutsche Massenmedien berichteten gleichförmig über westliche »Skepsis« und reicherten diese mit eigenen Kommentaren an. Vor chinesischen Waffenlieferungen an Russland wurde einstimmig »gewarnt«, obwohl es diese nach ukrainischer Auskunft, die schließlich sogar von US-Militärs bestätigt werden musste, im Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg nicht gibt.
Den Vogel schoss vermutlich US-Präsident Joseph Biden ab, der dem Sender ABC wenige Stunden nach Bekanntwerden des chinesischen Positionspapiers erklärte: »Wenn Putin dazu Beifall klatscht, wie könnte dann irgend etwas Gutes daran sein? Ich mache keine Witze, ich bin todernst. Ich habe in dem Plan nichts entdeckt, das darauf hinweisen würde, dass es irgendwem außer Russland nutzen würde, wenn man dem chinesischen Plan folgen würde.«
Putin hatte in Wirklichkeit nicht applaudiert, vielmehr waren die russischen Reaktionen auf die »Zwölf Punkte« allenfalls abwartend. Nach dem Telefongespräch zwischen Xi und Selenskij am 26. April waren die Moskauer Kommentare sogar offen skeptisch. Das Problem bestehe nicht in einem Mangel an Plänen, erklärte daraufhin die Sprecherin des russischen Außenministeriums, Marija Sacharowa. Das entscheidende Hindernis aller Initiativen für eine »politisch-diplomatische Regelung der ukrainischen Krise« bestehe vielmehr im Desinteresse des »Kiewer Regimes«, das »Ultimaten mit a priori unrealistischen Forderungen« stelle.
Tatsächlich sind die Widersprüche zwischen den Positionen der Kriegsgegner offensichtlich. Die Ukraine betrachtet den »Zehn-Punkte-Friedensplan«, den Selenskij im November 2022 bei einem Treffen der G20 übermittelte, als generell nicht verhandelbar. Es geht dort unter anderem um die »Wiederherstellung der territorialen Integrität der Ukraine und deren Anerkennung durch Russland«, den vollständigen Abzug aller russischen Truppen, um internationale Garantien für den Bestand der Ukraine, um die Einrichtung eines »Sondertribunals zur Verfolgung russischer Kriegsverbrechen« und die Unterzeichnung eines Friedensvertrags auf dieser Grundlage.
Wie die Widersprüche, die dem Krieg zugrunde liegen, gelöst werden könnten, dafür hat offenbar auch China keine Vorschläge. Das Positionspapier vom 24. Februar sei »kein Allheilmittel«, sagte Li mehrmals während seiner Europa-Reise. Es gehe darum, dem Krieg keine Nährstoffe durch ständige Waffenlieferungen zuzuführen und überhaupt das Gespräch aufzunehmen.
Hintergrund: Diplomat, traditionell
Der chinesische Diplomat Li Hui, der am Freitag in Moskau eine Europareise beendete, bei der es um eine politische Lösung der »Ukraine-Krise« ging, ist 70 Jahre alt und hat seinen Beruf auf ganz traditionelle, altmodische Weise gelernt. In einem Land, wo sich Dilettanten in den Vordergrund drängen, verdient das besondere Erwähnung.
Seiner amtlichen Biographie zufolge wurde Li nach dem Fachstudium schon 1975, mit 22 oder 23 Jahren, Mitarbeiter des Außenministeriums, wo er bis 1981 in der UdSSR- und Europaabteilung tätig war. Anschließend gehörte er bis 1985 zum diplomatischen Personal der Botschaft in Moskau. Es folgten wechselnde Beschäftigungen im Außenministerium, wiederum in der UdSSR- und Europaabteilung, eine kurze Rückkehr nach Moskau in der Auflösungsphase der Sowjetunion und danach mehrmalige leitende Positionen an der Botschaft in Kasachstan, zuletzt 1995 bis 1997 als Botschafter.
Nach erneuter Tätigkeit im Außenministerium wurde er schließlich im Dezember 2009 als Botschafter nach Moskau entsandt. Dort blieb er fast zehn Jahre, bis zum August 2019, als er auf seinen derzeitigen Posten als Sonderbeauftragter für Eurasische Angelegenheiten bestellt wurde. Seine lange Dienstzeit in Moskau wird von westlichen Journalisten, die so tun, als verstünden sie nichts von der Arbeit eines Diplomaten, ausgeschlachtet und dramatisiert, um ihn als einen »Russenknecht« darzustellen, der nicht als politischer Vermittler tauge. Erschwerend wird gegen ihn angeführt, dass er einige Monate vor Beendigung seiner Arbeit in Russland von Präsident Wladimir Putin mit einem Orden für seine Verdienste um die Verbesserung der russisch-chinesischen Beziehungen ausgezeichnet wurde.
»Putin-Versteher« ist Li also auch noch. Und wem das immer noch nicht disqualifizierend genug erscheint: Fließend Russisch spricht er und ist ein Kenner der klassischen russischen Literatur, die in der Ukraine gerade in die Tonne getreten wird. (km)
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Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (27. Mai 2023 um 11:33 Uhr)Während der Chinesischer Sondergesandter Li Hui in Moskau seine Europareise beendete, erfolgten auch weitere wichtigen, jedoch in den Westmedien kaum beachtete chinesisch-russische Gespräche. Chinas oberster Sicherheitsbeamter Chen Wenqing traf am Rande eines multilateralen Sicherheitstreffens in Moskau mit dem russischen Spionagechef Sergej Naryschkin zusammen, da sich die beiden Länder inmitten der Spannungen mit dem Westen in Sicherheitsfragen annäherten. Chen ist nicht nur Sekretär der Zentralen Kommission für politische und rechtliche Angelegenheiten, sondern wurde im Zuge der Führungsumbildung auch in das Politbüro - das oberste Entscheidungsgremium der Kommunistischen Partei - berufen. Sowohl Chen als auch Naryschkin nahmen an der Internationalen Tagung der Hohen Repräsentanten für Sicherheitsfragen in Moskau teil - zusammen mit Vertretern aus mehr als 100 Ländern und sechs internationalen Organisationen. Chen traf auch mit Nikolai Patruschew, dem Sekretär des russischen Sicherheitsrates, zusammen, wobei beide Seiten vereinbarten, die Zusammenarbeit zur Wahrung ihrer »Sicherheitsinteressen« zu vertiefen. »China ist bereit, mit Russland zusammenzuarbeiten, um Kooperationsmaßnahmen zu formulieren, die Vision einer gemeinsamen, umfassenden, kooperativen und nachhaltigen Sicherheit zu verwirklichen, die Globale Sicherheitsinitiative gemeinsam umzusetzen und die Sicherheitsinteressen der beiden Länder und der internationalen Gemeinschaft besser zu schützen«. Chens Reise nach Moskau fiel mit dem Besuch des russischen Premierministers Michail Mischustin in Beijing in dieser Woche zusammen, da Russland sich um mehr Handelsunterstützung durch China bemüht, um die Auswirkungen der westlichen Sanktionen wegen seines Einmarsches in der Ukraine auszugleichen. Fest steht, dass beide Länder, China und Russland, zusammenzuarbeiten bereit sind, um ihre Sicherheitsinteressen gemeinsam besser schützen zu können!
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