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Aus: Ausgabe vom 25.05.2023, Seite 9 / Kapital & Arbeit
Energieversorgung

Macrons Renaissance der Atomkraft

Frankreich verstaatlicht Stromkonzern EDF. Kernkraft soll drastisch ausgebaut werden
Von Raphaël Schmeller
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»Extreme Hitzewellen«: Kontrollraum des AKW in Flamanville (14.6.2022)

Frankreich hat das Verfahren zur Verstaatlichung von Électricité de France (EDF) abgeschlossen. Die vollständige Kontrolle des Stromkonzerns durch den Staat werde am 8. Juni wirksam, erklärte Wirtschaftsminister Bruno Le Maire am Dienstag im Interview mit dem Radiosender RTL. Die Übernahme ermögliche, »das Programm zum Bau von sechs neuen EPR-Reaktoren unter den besten Bedingungen zu realisieren«. Damit werde die »energiepolitische Unabhängigkeit« Frankreichs gestärkt, so Le Maire. »Wir können die Kontrolle über unsere Stromerzeugung zurückgewinnen.« Der Minister kündigte an, »von nun an klare Forderungen an EDF zu stellen« – eine, wenn nicht die wichtigste, ist die Erhöhung der Produktion von Atomstrom, um den Ausfall russischer Gaslieferungen zu kompensieren.

Als die Regierung im Juli 2022 angekündigt hatte, die vollständige Kontrolle über den einstigen Staatskonzern (teilprivatisiert im Oktober 2005) übernehmen zu wollen, besaß der Staat 84 Prozent von EDF. Im Januar wurde die 90-Prozent-Schwelle überschritten. Der Prozess der vollständigen Übernahme verzögerte sich um Monate gegenüber dem ursprünglichen Zeitplan, weil EDF-Kleinaktionäre gegen das Vorhaben der Regierung klagten. Sie verlangten einen höheren Preis für ihre Aktien, ein Gericht wies die Klage Anfang Mai zurück.

Aktuell hält der Staat »mindestens 98,04 Prozent« der Stimmrechte, teilte die französische Finanzmarktaufsicht Autorité des marchés financiers (AMF) am Dienstag mit. Das Wirtschaftsministerium schrieb gleichentags: »Der Staat hat heute bei der AMF einen Antrag auf Durchführung des Ausschlusses der Minderheitsaktionäre gestellt.« So werden die Inhaber der restlichen knapp zwei Prozent der Aktien zum Verkauf ihrer Anteile gezwungen. Insgesamt liegen die Kosten für die Verstaatlichung bei geschätzt knapp zehn Milliarden Euro.

Hintergrund der Transaktion ist die vor mehr als einem Jahr von Emmanuel Macron angekündigte Renaissance der französischen Atomkraft. Der Präsident erklärte damals, mindestens 14 neue Atomkraftwerke bauen zu wollen. Bereits jetzt deckt Frankreich mehr als 70 Prozent seines Strombedarfs mit Atomkraft – das soll laut Plänen von Macron bis 2050 mindestens so bleiben oder sogar noch gesteigert werden. Begründet wird das offiziell damit, dass nur so die Klimaziele eingehalten werden könnten. Premierministerin Élisabeth Borne hatte dazu im Juli vor dem Parlament erklärt, die »Energiewende« werde »dank der Atomkraft gelingen«, und darauf verwiesen, dass Atomkraft »CO2-neutral«, »souverän und wettbewerbsfähig« sei.

Doch ausgerechnet der Klimawandel könnte Macron einen Strich durch die Rechnung machen. In mindestens zwölf der 56 französischen Akw wurden im vergangenen Sommer die festgesetzten Höchstwerte für die Innentemperaturen der Meiler um bis zu vier Grad Celsius überschritten. Extreme Hitzewellen hatten Flüsse wie die Gironde oder die Rhone, aus denen die Kühlwassersysteme gespeist werden, auf teilweise über 30 Grad Celsius erwärmt. Mehrere Meiler mussten deshalb abgeschaltet werden.

Zudem drohen die am Ärmelkanal und am Atlantik errichteten Kernkraftwerke bald wegen des Anstiegs des Meeresspiegels überflutet zu werden. EDF hat deshalb einen zwei Meter hohen Sockel für die beiden Reaktoren eingeplant, die aktuell in Penly an der Küste des Ärmelkanals gebaut werden. Klimaaktivisten und Wissenschaftler haben bereits Zweifel an der Wirksamkeit der Maßnahme angemeldet.

Die Mehrheit der französischen Akw ist marode. Im Sommer waren wegen Wartungsarbeiten und technischen Problemen zeitweise nur 27 der 56 Reaktoren in Betrieb. Die deutschen Solarkraftwerke produzierten mehr Strom als alle französischen Meiler zusammen. Die Kosten der Sanierung des französischen Atomparks werden auf rund 150 Milliarden Euro geschätzt.

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