Geschenk an Ultraorthodoxe
Von Jörg Tiedjen
Israels Ultrarechte setzt nach und nach ihre Forderungen durch. Am Mittwoch verabschiedete die Knesset einen Haushalt, der eine Förderung von umgerechnet 62 Millionen Euro für verheiratete ultraorthodoxe Männer vorsieht, die statt einer Erwerbsarbeit »religiösen Studien« nachgehen, wie AFP berichtete. Erst am Vorabend hatten Tausende Israelis gegen eine solche Maßnahme protestiert und der Regierung unter Premierminister Benjamin Netanjahu vorgeworfen, »die Staatskasse zu plündern«.
Oppositionsführer Jair Lapid sagte, der Beschluss sei »schädlich«, weil die Ultraorthodoxen durch ihn abgehalten würden, sich am Wirtschaftsleben des Landes zu beteiligen. »Dies ist ein Haushalt, der Menschen ermutigt, keine höhere Bildung anzustreben, nicht zu arbeiten, nicht für ihre Kinder vorzusorgen«, wurde Lapid von AFP zitiert.
Der Etat für das Jahr 2023/2024 erhielt die Zustimmung von 64 der 120 Knesset-Abgeordneten. »Wir haben die Wahlen gewonnen, wir haben den Haushalt verabschiedet, wir werden vier Jahre weitermachen«, teilte Netanjahu darauf per Facebook mit. Die zusätzlichen Mittel waren erst kurz vor der Abstimmung mit der an der Regierung beteiligten Partei Vereinigtes Thorajudentum vereinbart worden, um deren Zustimmung zum gesamten Haushalt zu erhalten. Es handelt sich nicht um die einzige Förderung der Ultraorthodoxen. Auch in den Budgets mehrerer Ministerien sind Zuwendungen an sie vorgesehen.
Die Proteste gegen die Geschenke werden von den gleichen Kräften organisiert, die auch die Demonstrationen gegen den geplanten Umbau des Justizsystems koordinieren. Dieses Vorhaben zielt darauf ab, das Oberste Gericht in seiner Macht zu beschneiden und die Stellung von Parlament und Regierung zu stärken. Angesichts der Proteste hatte Netanjahu, der sich nach wie vor mit Klagen wegen Korruption konfrontiert sieht, im März zunächst eine »Pause« im Gesetzgebungsverfahren für die »Reform« ausgerufen. Das hindert die extreme Rechte jedoch nicht, ihre Agenda auf anderem Gebiet durchzusetzen, wie auch der Beschluss vom Mittwoch zeigt.
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Leserbrief von Frank Steyer (26. Mai 2023 um 14:14 Uhr)In Ihrem Artikel »Geschenk an Ultraorthodoxe« auf der Titelseite wird die Komplexität des sogenannten ultraorthodoxen Judentums nicht verstanden und – schlimmer noch – der Eindruck erweckt, ultraorthodox wäre gleich ultrarechts, was falscher nicht sein kann. Ultraorthodoxe Juden als religiöse Minderheit sind in Israel marginalisiert und mehrheitlich unter der Armutsschwelle lebend. Die verschiedenen Strömungen einigt, dass sie Sand im Getriebe des israelischen Establishments sind: Sie sind mehrheitlich nicht- bis antzionistisch, lehnen den Staat Israel ab, verweigern entsprechend konsequent und z.T. militant den Wehrdienst und haben vor allem keine antipalästinensische Agenda. Der Artikel gibt leider auch unreflektiert die Sicht des israelischen Kleinbürgertums wieder, die gegen eine Minderheit zu Felde ziehen kann: Ultraorthodoxe leben auf Kosten der Fleißigen, weil sie nicht arbeiten und kinderreich sind, sich also der kapitalistischen Verwertung entziehen. Eine gefällige Stigmatisierung, die wir doch auch hierzulande gut kennen, was auffallen muss. Dass die nichtzionistische Partei Vereinigtes Thora-Judentum als nichtrepräsentativer Teil des strengreligiösen Judentums reine Klientelpolitik betreibt, da als umworbener Mehrheitsbeschaffer für die aktuelle Regierung dazu in der Lage, objektiv deren Politik ermöglicht, steht natürlich auf einem anderen Blatt.“
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Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (25. Mai 2023 um 10:43 Uhr)Manna vom Staat! Der Premier- und Finanzminister Bezalel Smotrich einigten sich am Montag in letzter Minute sowohl mit der ultraorthodoxen Partei Vereinigtes Tora-Judentum als auch mit der rechtsextremen Partei Otzma Yehudit, die zuvor die Stabilität der Regierung bedroht hatten. Aber wie gespalten die Gesellschaft ist, zeigt: Die Bewegung für eine qualitativ hochwertige Regierung in Israel reichte am frühen Mittwochmorgen eine Petition beim Obersten Gerichtshof ein, in der sie behauptete, der Haushalt sei illegal. Die Nichtregierungsorganisation Hiddush – For Religious Freedom and Equality (Hiddusch – Für religiöse Freiheit und Gleichheit) drohte ebenfalls mit einer Petition, nachdem der Haushaltsplan der israelischen Regierung veröffentlicht wurde. Selbst gläubige Likudniks können nicht verstehen, warum Jeschiwa-Schüler ein Stipendium von 2.500 Schekel (670 Dollar) und zusätzliche wirtschaftliche Vorteile verdienen, während ihre eigenen Kinder – die Medizin, Computer, Naturwissenschaften oder Pädagogik an einer Universität studieren, hart arbeiten, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen, und von Zeit zu Zeit zum Reservistendienst einberufen werden – nichts als den Stinkefinger zu spüren bekommen. Führende Vertreter der regierungskritischen Protestbewegung erklärten nach der Verabschiedung des Haushaltsplans: »Nachdem er die Steuergelder der Bürger geplündert und seine Koalitionspartner bestochen hat, gibt Netanjahu sein Vorhaben zu, Israel weiter in eine gefährliche messianische Diktatur zu führen.«
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