»Wohnungsbau mit dauerhaft leistbaren Mieten ist machbar«
Interview: Oliver Rast
Die wohnungspolitische Misere ist ein Dauerthema. Mit einer Veranstaltungsreihe unter dem Titel »Vergessene Utopien des Wohnens« wollen Sie Projekte sozialen und öffentlichen Bauens vorstellen. Warum der Ausflug über die Landesgrenzen?
Das deutsche Modell des sozialen Wohnungsbaus ist ein Sonderfall. Es setzt auf die Förderung privater Investoren, die Sozialwohnungen bauen, die nach einigen Jahren aus der Mietpreis- und Belegungsbindung fallen. Doch dieses Modell ist nicht nachhaltig. Trotz immer mehr Förderung sinkt der Bestand an Sozialwohnungen kontinuierlich. Wir wollen in unserer Veranstaltungsreihe Ansätze vorstellen, die deutlich machen: Ein Wohnungsbau mit dauerhaft leistbaren Mieten für alle ist machbar, wenn man die Voraussetzungen dafür schafft. Notwendig sind eine öffentliche Trägerschaft und eine steuerliche Finanzierung des Neubaus. Aber auch der politische Wille.
Wer hat die Veranstaltungsreihe initiiert?
Veranstalter sind die Initiative Neuer Kommunaler Wohnungsbau, kurz INKW, aus dem Umfeld der Berliner Mietergemeinschaft und ein Kreis von Unterstützern aus Wissenschaft und Mietenbewegung, zu denen auch der Stadtsoziologe Andrej Holm gehört. Die INKW arbeitet seit 2014 an Konzepten zur Neuausrichtung des kommunalen Wohnungsbaus durch eine Umstrukturierung der landeseigenen Wohnungsunternehmen in öffentlich-rechtliche Träger und deren steuerliche Finanzierung. Unterstützt wird die Veranstaltungsreihe von der Rosa-Luxemburg-Stiftung.
Auftakt ist am Freitag mit der Vorstellung des »Eine-Million-Wohnungen-Programms« aus Schweden in den 1970er Jahren. Was ist daran beispielgebend?
Das schwedische Modell des Wohnens galt lange Zeit als Musterbeispiel für eine sozialdemokratische Wohnungspolitik, und allein zwischen 1965 und 1975 wurde eine Million Wohnungen von kommunalen Wohnungsbaugesellschaften errichtet, die einen sozialen Versorgungsauftrag hatten und keine Gewinne machen durften. Das Wohnungsbauprogramm wurde durch staatliche Darlehen und Fördergelder unterstützt, um die Kosten möglichst gering zu halten. Eine Besonderheit des schwedischen Mietsystems ist, dass Mieterhöhungen damals in Verhandlungen zwischen den kommunalen Wohnungsbaugesellschaften und der Mietergewerkschaft ausgehandelt wurden – und dann auch für private Vermieter galten.
Und welche weiteren Veranstaltungen sind vorgesehen?
Anfang Juni stellen wir das jugoslawische Modell des Wohnungsbaus zwischen 1945 und 1990 vor. Die Bewohner hatten einen hohen Grad an Selbstverwaltung in den quasi vergesellschafteten Beständen. Zwei Wochen später schauen wir auf das Beispiel von Amsterdam, wo gemeinnützige Wohnungsbauvereinigungen in staatlichem Auftrag zwischen den 1920er und 1970er Jahren einen sozialen Wohnungsbau mit öffentlichem Geld und politisch festgesetzten Mieten betrieben. In den Niederlanden beträgt der Anteil der Sozialwohnungen noch heute knapp 30 Prozent – in Deutschland sind es nur 2,5 Prozent! Nach der Sommerpause geht es weiter mit Veranstaltungen zum Gemeindewohnungsbau im Roten Wien, dem Wohnungsbau in der DDR sowie dem Council Housing in Großbritannien.
Wer soll in der BRD einen öffentlich finanzierten, sozialen Wohnungsbau voranbringen?
Unsere Beispiele zeigen, dass die Umsetzung der Bauprogramme immer an starken linken Kräften hing. Heute fristet das Neubauthema in linken Parteien und der Mietenbewegung eher ein Schattendasein. Das wollen wir ändern. Sozialer Wohnungsbau muss auch hierzulande neu gedacht werden. Das bedeutet, radikale Forderungen zu verknüpfen mit konkreten Vorschlägen, wie und wer einen neuen sozialen Wohnungsbau angesichts des dramatischen Einbruchs von Neubauzahlen umsetzen kann. Die Zeit ist überreif für öffentliche Bauprogramme, denn der Markt wird es nicht richten. Mit der Veranstaltungsreihe wollen wir aber keine Rezepte präsentieren, die einfach übernommen werden können. Es geht uns im Sinne der Architektin Gabu Heindl um ein kritisches Erben der vorgestellten Ansätze, darum also, Möglichkeiten im Hier und Jetzt auszuloten. Und nicht zuletzt wollen wir die vielen Mythen entzaubern, die beharrlich gegen solche Programme angeführt werden.
Philipp Möller ist Teil des Vorbereitungskreises und Redakteur beim Berliner Mieterecho
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