»Von der Regierung kommt keine Unterstützung«
Interview: Thorben Austen, Quetzaltenango
Was hat Sie auf die Idee gebracht, Ihr Museum als Haus der Erinnerung, als Casa de la Memoria zu eröffnen?
Es ist Teil der Arbeit von einer Menschenrechtsorganisation, die unter anderem den Völkermordprozess (gegen den Exdiktator Rios Montt und andere, jW) und andere Prozesse in Guatemala juristisch begleitet hat. Die Casa de la Memoria entstand aus der Idee, nicht nur juristisch tätig zu sein, sondern auch der Erinnerungsarbeit und den Stimmen der Überlebenden einen Raum zu geben und speziell an Schüler und Jugendliche heranzutreten.
Der Bürgerkrieg ist jetzt seit einem Vierteljahrhundert zu Ende. Die schlimmste Phase ereignete sich in den 1980ern, also vor etwa 40 Jahren. Was weiß die heutige Generation über den Bürgerkrieg?
In der jüngeren Generation gibt es viele, die wissen, dass da »irgendwas« passiert ist, ohne es genauer einordnen zu können. Vielleicht haben sie in der Schule davon gehört, weil sie einen guten Lehrer hatten, der das thematisiert hat. Oder sie kennen das Thema aus Familie, weil vielleicht ein Angehöriger immer noch gesucht wird, oder ein Verwandter im Exil lebt. Manchmal ist auch gerade das Schweigen darüber in der Familie ausschlaggebend. Andere haben ihr Wissen, weil ihr Vater oder Großvater vielleicht beim Militär waren oder Mitglieder der »Zivilen Selbstverteidigungspatrouillen«. (PAC, paramilitärische Struktur während des Bürgerkrieges mit bis zu einer Million Mitglieder, der zahlreiche Menschenrechtsverletzungen zur Last gelegt werden, jW.)
Und die Älteren?
Bei der älteren Generation gibt es die, die tatsächlich nichts oder wenig wissen, dann die, die gut informiert sind, vielleicht weil sie selbst im Widerstand aktiv waren. Es gibt noch eine dritte Gruppe, die leugnet oder verdreht, was geschehen ist. Eine Version, die ich häufig höre, ist: Die Mayavölker hätten sich gegenseitig bekämpft. Ein anderer Mythos stellt die Geschehnisse als militärisch notwendige Aktionen der Armee gegen die Guerilla dar, manche behaupten gar, die Massaker hätte es zwar gegeben, aber es sei nicht das Militär, sondern die Guerilla gewesen, die sie verübt hätte.
Welche Bevölkerungsgruppen besuchen das Museum?
Menschen aus den reicheren Bevölkerungsschichten kommen eher selten. Das ist auch bei den Schulen zu merken, die uns besuchen, es sind überwiegend öffentlichen Schulen oder die günstigeren Privatschulen. Die meisten kommen aus der Hauptstadt, selten aus dem Landesinneren, manchmal kommen Überlebende der Massaker. An bestimmten Jahrestagen bringen freiwillige Studenten die Ausstellung in virtueller Form in ländliche Regionen.
Wie finanziert sich die Casa de la Memoria? Erhalten Sie Gelder aus dem Staatshaushalt?
Nein, von der Regierung bekommen wir keine Unterstützung. Die Finanzierung erfolgt hauptsächlich durch Spenden und auch internationale Organisationen. Der Eintritt ist gratis, um allen Personen den Zugang zu ermöglichen. Direkten Kontakt mit den Entscheidungsträgern im Bildungssystems gibt es keinen. Offiziell leugnet die Regierung ihre Verantwortung für die Verbrechen während des Bürgerkrieges. Es gibt in Guatemala, anders als beispielsweise in Chile oder Argentinien, keine offizielle Erinnerungsarbeit.
In den letzten Jahren entwickelte sich Guatemala wieder zunehmend autoritär und undemokratisch. Wie wirkt sich das auf Ihre Arbeit aus?
Die politische Situation ist sehr angespannt. Wir sehen ganz klare Rückschritte. Und wir sehen auch Versuche, die Fortschritte wieder rückgängig zu machen, die im demokratischen Bereich und in der Erinnerungsarbeit erreicht wurden. Mit Blick auf die Wahlen im Juni ergibt sich ein Gesamtbild, das der Erinnerungsarbeit eher abträglich ist und unsere Arbeit im Casa de la Memoria erschweren wird, sie dafür allerdings um so wichtiger macht.
Karolin Loch ist im Rahmen des Zivilen Friedensdienstes (ZFD) in Guatemala tätig
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