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Aus: Ausgabe vom 17.05.2023, Seite 4 / Inland
Systematische Ungleichheit

Klare Klassenunterschiede

Studie: Viertel aller Viertklässler in BRD erreicht notwendige Lesekompetenz nicht. Benachteiligung von Arbeiterkindern unverändert
Von Marc Bebenroth
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Das Sein des Elternhauses prägt nachweisbar das Lernbewusstsein (Lenningen, 23.7.2019)

Es ist ein Teufelskreis: Wer Leseschwierigkeiten hat, ist in dieser Gesellschaft klar im Nachteil. Sozioökonomisch benachteiligte Kinder haben es wiederum schwer beim Lesenlernen. Das bestätigen die am Dienstag vorgelegten Ergebnisse der Internationalen Grundschul-Lese-Untersuchung (IGLU) 2021. Demnach erreicht in der Bundesrepublik ein Viertel aller Viertklässlerinnen und Viertklässler gemäß internationalen Standards nicht die Lesekompetenzstufe III, die als relevante Voraussetzung gilt, um die Anforderungen des weiteren Bildungsweges stemmen zu können. In Deutschland waren an IGLU 2021 insgesamt 4.611 Viertklässlerinnen und Viertklässler an bundesweit 252 Grundschulen beteiligt. Weitere 1.343 Schülerinnen und Schüler aus 74 Klassen haben aufgrund des Wechsels zu Laptop-basierten Tests an einer papierbasierten Brückenstudie teilgenommen.

Als substantiell werden die Unterschiede bei der Gymnasialempfehlung bezeichnet, wenn man den jeweiligen familiären Hintergrund der Grundschulkinder berücksichtigt. Um beim Aussieben eine Empfehlung für das Gymnasium zu ergattern, »müssen Kinder aus Arbeiterfamilien nach wie vor wesentlich mehr leisten als Kinder aus Akademikerfamilien«. Selbst bei gleicher Lesekompetenz und gleichen kognitiven Grundfähigkeiten habe ein Kind aus einer (Fach-)Arbeiterfamilie »eine 2,5mal geringere Chance auf eine Gymnasialpräferenz seiner Lehrkraft« als ein Kind mit Eltern, die beispielsweise als führende Angestellte oder höhere Beamte tätig sind.

Im 20-Jahre-Trend zeige sich, dass »soziale Disparitäten« in Deutschland seit 2001 nicht reduziert werden konnten, sich aber auch nicht verstärkt haben. »In zwanzig Jahren hat sich im Hinblick auf die Bildungsgerechtigkeit und Chancengleichheit in Deutschland praktisch nichts verändert«, heißt es weiter. Hierzulande sei versäumt worden, insbesondere Kinder aus armen Haushalten zu unterstützen. »Im Durchschnitt der Europäischen Union (EU) investiere Deutschland besonders wenig Mittel in die Leseförderung«, kritisierte Anja Bensinger-Stolze, GEW-Vorstandsmitglied, am Dienstag in Frankfurt am Main. Die Folge sei, dass die Lesemotivation der Kinder sinke, wodurch die Leseleistungen immer schlechter würden.

Bildung ist in der BRD Ländersache. Absprachen der 16 Regierungen erfolgen unter anderem über die Kultusministerkonferenz (KMK). Deren Präsidentin, die Berliner Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch (CDU), nannte die IGLU-Ergebnisse am Dienstag »ernüchternd«. Die Coronapandemie und eine zunehmend heterogene Schülerschaft würden die Lehrkräfte vor immer größere Herausforderungen stellen. Tatsächlich reichen die Probleme weiter zurück: »Die pandemiebedingten Beeinträchtigungen und die sich verändernde Schülerschaft erklären nur einen Teil dieses Leistungsabfalls«, stellte Nele McElvany, geschäftsführende Direktorin des Instituts für Schulentwicklungsforschung an der TU Dortmund und wissenschaftliche Leitung von IGLU 2021, in einer Mitteilung vom Dienstag klar. Der Trend absinkender Schülerleistungen bestehe seit 2006. Die Entwicklung im Bildungssystem sei durch diesen Aspekt lediglich verstärkt worden.

Die Ergebnisse des internationalen Vergleichs implizieren McElvany zufolge, dass »eine starke Verknüpfung von familiärer Herkunft und schulischem Erfolg, wie es in Deutschland der Fall ist, keinen unausweichlichen Automatismus darstellen müssen«. Befunde aus beispielsweise Finnland, Italien oder Slowenien (»geringere soziale Disparitäten«) oder Dänemark, Niederlande oder Tschechien (»geringere migrationsbezogene Unterschiede«), zeigten demnach positivere Testergebnisse.

Die Forschenden empfehlen angesichts »in vielfacher Hinsicht begrenzter Ressourcen« eine klare Prioritätensetzung in bezug auf die Sicherung der grundlegenden Kompetenzen. Konkret wird eine systematische Förderung der Lesekompetenz in den ersten Grundschuljahren gefordert. Dazu gehöre die Erhöhung der wöchentlichen Lesezeit im Grundschulunterricht. Im internationalen Durchschnitt betrage sie rund 200 Minuten pro Woche für Leseaktivitäten in der Unterrichtszeit – in Deutschland seien es 141 Minuten.

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