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Aus: Ausgabe vom 16.05.2023, Seite 8 / Ansichten

Wer Frieden (nicht) will

China und der Ukraine-Krieg
Von Reinhard Lauterbach
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Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenskij spricht per Telefon mit dem chinesischen Präsidenten Xi Jinping (Kiew, 26. April)

Es gibt ein berühmtes Zitat von Friedrich Schiller: »Es kann der Frömmste nicht in Frieden leben, wenn es dem bösen Nachbarn nicht gefällt.« Der Werkkontext ist der Freiheitskampf der Schweizer. Generationen von Kriegsdienstverweigerern im alten Westdeutschland wurden in ihren Prüfungsgesprächen mit dem Vers konfrontiert, um sie als bestenfalls naiv erscheinen zu lassen. Es lohnt sich, das Zitat auf die chinesischen Vermittlungsbemühungen im Ukraine-Konflikt zu beziehen. Beijings Sonderbotschafter Li Hui begann am Montag eine Sondierungsreise, die ihn nach Kiew, Berlin und in andere westeuropäische Hauptstädte führen wird. Ob seine Mission Erfolg hat, steht in den Sternen, und die stehen schlecht.

Dass der Westen glaubt, Chinas Bemühungen mit der Unterstellung der Selbstverständlichkeit, Beijing verfolge mit seiner Initiative eigene Interessen, schon diskreditiert zu haben, zeugt dabei allenfalls von der in Washington, Brüssel und Berlin gepflegten Arroganz. Worin die Wünsche Chinas bestehen, braucht dann gar nicht mehr erörtert zu werden. Dass es einen Staat gibt, der seine Interessen nicht vorab mit der strategischen Agenda des kollektiven Westens abspricht, soll schon reichen, diese zurückzuweisen.

Um eine Friedensmission scheitern zu lassen, braucht es aber noch mehr als die Diskreditierung des potentiellen Vermittlers. Man muss auch die Seite, die unter dem Krieg am meisten leidet und von daher den schwerwiegendsten Grund hätte, ihn möglichst bald zu beenden, in die Lage versetzen, ihn fortzuführen. Von der subjektiven Seite her hat der Westen in Wolodimir Selenskij und seiner Mannschaft eine Truppe zur Hand, die sich dem Krieg mit Haut und Haaren verschrieben hat. Davon, dass er weitergeht, hängt ihr politisches und potentiell auch physisches Überleben ab. Denn außer Krieg können sie nur das Übliche: Korruption, Bereicherung und nationalen Fanatismus. Aber im Zeichen des Krieges legt ihnen der Westen alles zu Füßen: Waffen, noch mal Waffen, Milliarden und die Aussicht auf einen beschleunigten EU-Beitritt, das heißt auf noch mehr Geld.

Warum machen die westlichen Staaten das trotz ihrer sonstigen Konkurrenz untereinander? Weil die Ukraine ihre Werte verteidigt? Vielleicht, aber dann muss man dazusagen, worin diese bestehen: am Ende wohl darin, das Erbe von 500 Jahren kolonialer Dominanz zu verteidigen, in deren Rahmen Menschenrechte für Weiße und die Versklavung der Nichtweißen so gut zu vereinbaren waren. Natürlich betreibt China damit, dass es sich um die Beilegung eines völlig verfahrenen Konflikts bemüht, auch seinen eigenen Aufstieg. Aber das offen zur Schau gestellte Interesse des Westens an einem langen Krieg um die Ukraine verleiht dem postkolonialen Kontext des Widerstands gegen die chinesische Vermittlung Plausibilität.

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Oliver S. aus Hundsbach (16. Mai 2023 um 16:18 Uhr)
    Frieden um jeden Preis? Klar widerstrebt es mir hier zivile Opfer auf- oder schönzurechnen. Wie viele Zivilisten sind in der Ukraine gestorben? Wie viele zivile Opfer haben die Weltordnungskriege des Wertewestens bisher gekostet? Nur zivile Opfer? Allein die 500.000 bis drei Millionen ermordeten Indonesier. »Die Jakarta-Methode – Wie ein mörderisches Programm Washingtons unsere Welt bis heute prägt.« Siehe dazu auch das Interview mit Vincent Bevin vom 13. Mai in jW. Nur ein Beispiel für die Blutspur, die der Wertewesten seit undenklicher Zeit über die Welt zieht. Die Leser der jW wissen das. Bevor hier wieder jemand gegen Putin-Versteher und Befürworter des Krieges zu Felde zieht. Was wäre denn die Alternative zu einem Sieg Russlands bzw. einem Erfolg der Spezialoperation? Wer nicht kotzen muss, zumindest wenn sie/er den Fernseher anschaltet, Bild, Zeit und FAZ liest, versteht etwas falsch. Ist es zynisch zu behaupten: Das ist halt die Dialektik des geschichtlichen Prozesses, die sich in die Wirklichkeit frisst? Irgendwie, irgendwer muss (es) anfangen die Welt zu verändern. Um es mit Marlon Grohn zu sagen, geht es um eine »Aufhebung der schönen Seele im bösen Bewusstsein der Praxis (Hegel) bzw. dann auch (um) die Aufhebung der Philosophie in kommunistischer Praxis (Marx).« Oder?
  • Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (16. Mai 2023 um 14:54 Uhr)
    Im Moment scheinen wir entmündigte Bürger, traurige Zeugen der Dämmerung des Friedens zu sein, während die Solisten des Krieges vorwärtsdrängen und die Oberhand gewinnen!
  • Leserbrief von Philipp Zessin-Jurek aus Frankfurt (Oder) (16. Mai 2023 um 13:03 Uhr)
    Zitat Reinhard Lauterbach: »Von der subjektiven Seite her hat der Westen in Wolodimir Selenskij und seiner Mannschaft eine Truppe zur Hand, die sich dem Krieg mit Haut und Haaren verschrieben hat. Davon, dass er weitergeht, hängt ihr politisches und potentiell auch physisches Überleben ab. Denn außer Krieg können sie nur das Übliche: Korruption, Bereicherung und nationalen Fanatismus.« Nun ersetze man den »Westen« durch »Russland« und »Wolodimir Selenskij« durch »Wolodimir Putin« und liest Folgendes: »Von der subjektiven Seite her hat Russland in Wolodimir Putin und seiner Mannschaft eine Truppe zur Hand, die sich dem Krieg mit Haut und Haaren verschrieben hat. Davon, dass er weitergeht, hängt ihr politisches und potentiell auch physisches Überleben ab. Denn außer Krieg können sie nur das Übliche: Korruption, Bereicherung und nationalen Fanatismus.« Ein Schelm, wer Böses dabei denkt …
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Torsten Andreas S. aus Berlin (16. Mai 2023 um 12:14 Uhr)
    Das predige ich nicht erst seit 2014: Wer unter dem Krieg leidet, will sofort den Frieden – egal in welcher Weise. Wer dem widerspricht, leugnet das tatsächliche Geschehen, ist also ein Handlanger fremder Interessen. Wer Waffen schickt, also genügend Geld für diese Art der Politik hat, kann auch den Frieden auf beiden Seiten des Konflikts bezahlen. Oder wird immer noch behauptet, dass dieser Krieg nicht seit Jahrzehnten, seit Kissinger und Brzezinski in den 1970ern, angelegt worden war? Mein Vorschlag, den Berliner Alex in W.-Selenski-Ploschtscha umzubenennen (weil er sich seines russischen Namens schämt und kein Deutsch kann), kann bald, bald umgesetzt werden. Was ärgerlich wäre: Unser Fernseherturm heißt dann Selenski-Tower. Dann werd ich richtig sauer.

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