»Hotels und Luxuswohnungen braucht es nicht«
Interview: Gitta Düperthal
Wohnungslose Menschen haben in einem besetzten Haus in der Günderrodestraße im Arbeiterviertel Gallus in Frankfurt am Main eine Bleibe gefunden. Nun sollen sie das Haus verlassen. Wie geht es ihnen jetzt?
Eigentlich hätten sie am Freitag gehen müssen, weil an dem Tag der sogenannte Gestattungsvertrag ablief und das Haus abgerissen werden soll. Sie haben Angst davor, wieder auf der Straße zu landen. Dass die Initiativen »Ada Kantine«, »Project Shelter« und »Freiräume statt Glaspaläste« dieses Haus am 3. Dezember 2022 besetzt haben, war richtig. Sie haben auf die Not der Menschen aufmerksam gemacht. Wie die Gentrifizierung in dem Arbeiterviertel fortschreitet, ist ungeheuerlich. Dort werden Luxuswohnungen hochgezogen, die kein normaler Mensch bezahlen kann und die wenige Superreiche als Geldanlage nutzen. Und: Statt sozialen Wohnungsbau zu schaffen, baut die Stadt Notunterkünfte. Das ist inakzeptabel.
Etwa 100 Menschen demonstrierten am Donnerstag dafür, dass diesen Menschen weiterhin eine menschenwürdige Perspektive geboten wird. Sie stellten auf dem Frankfurter Paulsplatz symbolisch ein Bettgestell und ein Sofa auf. Wer trägt die Verantwortung dafür, die ehemaligen Obdachlosen einfach ihrem Schicksal zu überlassen?
Die Stadt Frankfurt hatte sechs Monate lang Zeit, sich zu überlegen, wie der Notlage Abhilfe zu schaffen ist. Gebäude im öffentlichen Eigentum gibt es, die man zur Verfügung stellen könnte. Die Liegenschaftsdezernentin Sylvia Weber von der SPD hat sich aber nicht darum gekümmert, wo diese Menschen unterkommen können. Wir fordern schon lange, dass das »Project Shelter« ein selbstverwaltetes Haus erhält, um Bedürftige unterzubringen.
Das Haus war auch ein Zentrum, wo sich soziale und ökologische Initiativen trafen. Droht somit auch ein Verlust an kulturellen Freiräumen?
Dieses Problem gibt es seit Jahrzehnten. Auf dem Gebiet der alten Universität in Bockenheim im Juridicum, dem Kulturcampus, wäre das möglich. Dort könnten auch die 35 Menschen einziehen. Doch die Stadt will dieses noch gut erhaltene Gebäude abreißen und das Gelände verkaufen. Das ist sozial und ökologisch nicht vertretbar. Fünf-Sterne Hotels, Luxuswohnungen und Apartmenthäuser brauchen wir nicht. Uns geht es um Menschen, die die Stadt gestalten, sich um sie sorgen und in ihr Solidarität praktizieren.
Sie kritisierten am Donnerstag den miesen Umgang mit den Menschen im besetzten Haus. Gab es Reaktionen?
In meiner Rede unter dem Motto »Gündi bleibt« habe ich darauf hingewiesen, dass man die in Not geratenen Menschen, die gerade dabei waren, sich in dem Gemeinschaftsprojekt wieder eine Perspektive zu schaffen, jetzt nicht im Stich lassen darf. Viele aus der Nachbarschaft im Gallus haben die Besetzung unterstützt. Ihnen ist bewusst, dass alle Wohnungen sich durch den steigenden Mietspiegel verteuern, wenn Superreiche dort Neubauten übernehmen. Lebenshaltungskosten im Viertel werden teurer. Das will keiner. Der neue Oberbürgermeister und vormalige Planungsdezernent Mike Josef von der SPD war bei meiner Rede am Donnerstag anwesend, äußerte sich aber nicht.
Wie sieht insgesamt die Situation in der Finanzmetropole aus, was die Wohnungsnot und das soziale Leben betrifft?
Die Stadt und das Land machen falsche Politik. Wenn man öffentliche Grundstücke an Privatinvestoren verkauft, kann man nicht erwarten, dass sie soziale und bezahlbare Wohnungen bauen. Sie haben nämlich nur ein Ziel: Profit und Rendite. Die Länder und Kommunen aber nutzen ihre bestehenden, teilweise scharfen Instrumente nicht. Von 2016 bis 2021 wurden in Frankfurt 23.535 Wohnungen fertiggestellt; nur rund 518 davon als Sozialwohnungen. Das ist ein Armutszeugnis. Im gleichen Zeitraum fielen etwa 5.000 Wohnungen aus der Sozialbindung. Die Linke in Hessen fordert, dass öffentlich subventionierte Wohnungen künftig grundsätzlich für immer Sozialwohnungen bleiben müssen. Grund und Boden dürfen nicht mehr privatisiert werden. Die großen Immobilienkonzerne müssen enteignet werden. Wohnungsbaugesellschaften von Stadt und Land dürfen nur noch bezahlbaren Wohnraum bauen.
Eyup Yilmaz ist planungs- und wohnungspolitischer Sprecher der Fraktion von Die Linke im Stadtparlament von Frankfurt am Main
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