Los von London
Von Gabriel Kuhn
»Unsere Generation wird Schottland die Unabhängigkeit bringen.« Es waren große Worte, mit denen Humza Yousaf, neuer Vorsitzender der Scottish National Party (SNP), am 29. März 2023 sein Amt als First Minister von Schottland antrat. Yousaf übernahm den Partei- und Regierungsvorsitz von Nicola Sturgeon, die am 15. Februar überraschend zurückgetreten war.
Die Gründe für Sturgeons Rücktritt sind immer noch nicht ganz geklärt. Sturgeon hielt sich bedeckt, sprach von hohen Anforderungen und fehlender Privatsphäre. Politische Gegner vermuten, dass ihr Rückzieher auf einen sich anbahnenden SNP-Finanzskandal zurückzuführen ist. Tatsächlich wurden in den Wochen nach ihrem Rücktritt führende Vertreter der Partei wegen möglicher Veruntreuung von Parteigeldern verhört, darunter ihr Ehemann Peter Murrell. Angeklagt wurde bis jetzt jedoch niemand.
Manche Beobachter meinen, dass sich Sturgeon brüskiert fühlte, als die progressive Gesetzgebung zur Geschlechtsidentität, die sie verabschieden wollte, vom britischen Parlament in Westminster blockiert wurde. Aber auch das ist Spekulation. Tatsache ist, dass es nach ihrem Rückzug zu einem Führungskampf in der SNP kam. Zwei Flügel standen einander gegenüber: Humza Yousaf steht in der Tradition Sturgeons, vertritt progressive Werte und will den öffentlichen Sektor stärken. Seine größte Widersacherin, Kate Forbes, ist konservative Christin und Kritikerin des Sturgeonschen Gesetzentwurfes zur Geschlechtsidentität, wirtschaftspolitisch jedoch liberal. In einer Kampfabstimmung setzte sich Yousaf schließlich mit 52,1 Prozent durch. Die Risse, die durch die Partei gehen, ließen sich dadurch nicht kitten.
Aufstieg der SNP
Dass es in der SNP keine ideologische Einheit gibt, ist nicht überraschend. Was die Parteimitglieder zusammenhält, ist das Ziel der Unabhängigkeit. So finden in der SNP Progressive und Konservative zueinander, genauso wie die Labour Party und die konservativen Tories zueinander finden, wenn es um die Verteidigung der Einheit des Vereinigten Königreichs geht. »Better together« wird hier zur Parole. Zumindest für die Labour Party spielen wahltaktische Gründe eine nicht zu unterschätzende Rolle. Ein Verlust der schottischen Stimmen bei den Wahlen fürs britische Parlament hätte für sie spürbare Auswirkungen.
Nicht alle in der SNP lassen sich dem progressiven oder konservativen Lager zuordnen. Alexander Salmond, der den Parteivorsitz von 1990 bis 2014 fast durchgehend innehatte, war einst Mitglied in der linksgerichteten Fraktion »Gruppe 79«. 2018 trat er nach Vorwürfen sexueller Belästigung aus der SNP aus. Heute ist er Vorsitzender der 2021 gegründeten Unabhängigkeitspartei Alba (der gälische Name Schottlands). Diese wird oft als schottische Version der ultrarechten United Kingdom Independence Party (UKIP) beschrieben, die 2014/15 große Wahlerfolge verzeichnete. Noch als First Minister setzte Salmond den Bau einer Golfanlage Donald Trumps in Aberdeenshire gegen Proteste von Umweltaktivisten und der Lokalbevölkerung durch.
Schottland befindet sich seit 1707 in einer Staatsunion mit England. Ob es sich damals um eine gleichberechtigte Partnerschaft oder eine koloniale Unterwerfung Schottlands handelte, ist bis heute Gegenstand des Streits. Wenig überraschend bevorzugen die Verteidiger des Vereinigten Königreichs gerne die Partnerschaftsvariante, die Befürworter der schottischen Unabhängigkeit sehen den Unionsvertrag weniger rosig. Nicht begeistert war in jedem Fall die schottische Bevölkerung. Nach Unterzeichnung des Vertrags kam es zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen im Lande. Schließlich behauptete sich jedoch der Adel und setzte seine Interessen durch. Die Einheit mit England, so heißt es, verhinderte einen Staatsbankrott.
Es dauerte bis Anfang des 20. Jahrhunderts, ehe sich die Kräfte organisierten, die für die Unabhängigkeit Schottlands eintraten. Die Forderungen nach »Home Rule« wurden nicht zuletzt unter dem Eindruck der Widerstandsbewegung gegen die britische Herrschaft in Irland immer lauter. Der irische und der schottische Nationalismus sind bis heute eng miteinander verbunden.
Die britische Regierung reagierte auf die zunehmenden nationalistischen Tendenzen in Schottland 1926 mit der Ernennung eines Staatssekretärs für schottische Angelegenheiten. Die SNP ging 1934 aus der Vereinigung zweier nationalistischer Parteien hervor, der National Party of Scotland und der Scottish Party. 40 Jahre lang war sie eine eher unbedeutende Organisation am Rande des politischen Spektrums. Doch als in den 1960er Jahren große Öl- und Erdgasvorkommen entlang der schottischen Küste entdeckt wurden und die SNP unter dem Slogan »It’s Scotland’s oil!« die Profite für die schottische Bevölkerung beanspruchte, wurde die Partei zu einem politischen Faktor. Bei den britischen Unterhauswahlen im Oktober 1974 erhielt sie rund ein Drittel aller schottischen Stimmen. Nun saßen elf SNP-Mitglieder als Parlamentsabgeordnete in Westminster.
In Clydebank, einer Arbeiterstadt am Nordwestrand von Glasgow, machte Violet Gross damals Wahlwerbung für den Hafenarbeiter und Gewerkschaftsaktivisten Jimmy Reid, den Kandidaten der Kommunistischen Partei Großbritanniens. Violet Gross versuchte bei Hausbesuchen, ihre Nachbarn davon zu überzeugen, Reid ihre Stimme zu geben. Tatsächlich erzielte er mit zehn Prozent eines der besten Ergebnisse aller KP-Kandidaten. Im Schlepptau hatte Violet oft ihren sechsjährigen Sohn Conrad.
Arbeiter für die Unabhängigkeit
40 Jahre später sollten Conrad Gross diese Kindheitserinnerungen zugute kommen. Nun ging er selbst von Haus zu Haus und warb um Stimmen. Allerdings nicht für den Kandidaten einer politischen Partei, sondern für die schottische Unabhängigkeit. Am 18. September 2014 wurde erstmals darüber abgestimmt. Die SNP hatte eines ihrer großen Ziele erreicht, nachdem 1997 mit dem Referendum zur »Devolution« ein erster Meilenstein erreicht worden war. Unter Devolution verstand man den schrittweise vorangetriebenen Ausbau schottischer Selbstverwaltung. Bereits 1979 hatte sich bei einem Referendum eine Mehrheit dafür ausgesprochen, da die Wahlbeteiligung jedoch bei unter 40 Prozent gelegen hatte, versagte die britische Regierung der Abstimmung die Anerkennung. 1997 gingen 60 Prozent der Wahlberechtigten zur Urne, von denen eine überwältigende Mehrheit das Resultat des ersten Referendums bestätigte. Zwei Jahre später wurde nach fast 300 Jahren wieder ein schottisches Parlament einberufen. Bei den Parlamentswahlen 2011 gewann die SNP die absolute Mehrheit – die Grundlage für das Unabhängigkeitsreferendum drei Jahre später.
Als ich Anfang Mai 2023 in Conrad Gross’ Wohnung in Clydebank sitze, sind an den Fenstern immer noch die vergilbten Aufkleber von der Unabhängigkeitskampagne 2014 zu sehen: »Vote Yes Scotland!« Im Westen Glasgows leben vornehmlich Katholiken aus der Arbeiterklasse, viele Familien haben Wurzeln in Irland, die Läden sind voll mit Fanutensilien des Fußballvereins Celtic, von den Rangers keine Spur. Einst gaben hier große Industrien den Menschen Arbeit, doch diese Zeiten sind vorbei. Zwar heißt der S-Bahnhof, an dem ich aussteige, immer noch Singer, nach einer großen Fabrik des Nähmaschinenproduzenten, doch die wurde 1980 geschlossen.
Conrad Gross lebt in einer ehemaligen Sozialbauwohnung, die er als Mieter irgendwann kaufte – oder kaufen musste, wie er meint. Man habe ihn dazu gezwungen, weil er die Adresse als Sitz seiner Firma für Computerreparaturen angegeben hatte. Das ginge nicht, so die Behörden, aber er könne die Wohnung erwerben. Es war die Zeit des großen Ausverkaufs der Sozialbauwohnungen in Großbritannien, um einen lukrativen privaten Wohnungsmarkt zu schaffen. Die Mietpreise schossen in die Höhe, günstiges Wohnen war Geschichte. Sollte er seine Wohnung irgendwann verkaufen, so Gross, dann nur zurück an die Gemeinde, die solle sie wieder zu einer Sozialbauwohnung machen. Zum privaten Wohnungsmarkt will er keinen Beitrag leisten.
Während seiner Werbetouren im Rahmen der Unabhängigkeitskampagne 2014 musste Gross sich nicht allzusehr anstrengen, um die Menschen Clydebanks von einer Jastimme zu überzeugen. 86 Prozent der Einwohner des Ortes stimmten letztlich für die Unabhängigkeit Schottlands. Das Gesamtergebnis sah freilich anders aus. Das Neinlager behielt mit 55,3 Prozent die Oberhand.
Als ich Gross nach den Gründen dafür frage, verweist er vor allem auf die Schreckensszenarien, die damals an die Wand gemalt wurden. Man sprach vom Verlust des britischen Pfunds als sicherer Währung, von der diplomatischen Isolation Schottlands, das als eigenständiges Land internationale Verträge neu aushandeln müsse, vom Zusammenbruch des Sozial- und Pensionssystems, von Kontrollen entlang der englischen Grenze. Diese Bilder hätten Menschen negativ beeinflusst, so Gross, dabei hätten die Befürworter der Unabhängigkeit Antworten parat gehabt. Etwa eine Währungsunion mit dem Vereinigten Königreich, wahlweise einen Anschluss an den Euro; keine Sezession, sondern eine Trennung von Schottland und dem verbleibenden Vereinigten Königreich (England, Wales, Nordirland) bei jeweiliger Beibehaltung aller internationalen Verträge und Verpflichtungen nach dem Vorbild der Trennung der Tschechischen Republik und der Slowakei 1992; die Weiterführung, ja Verbesserung des Sozial- und Pensionssystems, keine unnötigen Grenzkontrollen und so weiter. Auch die Befürchtung, dass sich Orkney und die Shetlandinseln im Falle einer Unabhängigkeit von Schottland lossagen könnten, da die Bevölkerungen der Inseln dem Vereinigten Königreich sehr verbunden sind, macht Gross keine Sorgen. »Sollen sie ihr eigenes Referendum haben.«
Er räumt ein, dass sich nicht nur auf Orkney und den Shetlandinseln Schotten finden, die sich mit dem Vereinigten Königreich verbunden fühlen. Zu ihnen gehört auch ein Nachbar, der seit Jahren nicht mehr mit ihm spricht. Dass dieser ultrarechten Ideen anhänge, sei kein Zufall. Ultrarechte Haltungen seien in bestimmten Kreisen der Unabhängigkeitsgegner stark ausgeprägt.
Kein Links-rechts-Schema
Gleichwohl lassen sich Befürworter und Gegner der Unabhängigkeit nicht in ein Links-rechts-Schema einteilen. Die SNP hat ihren konservativen Flügel, die Labour Party tritt gegen die schottische Unabhängigkeit ein. »Jedes Mal, wenn die Umfragen eine Mehrheit für die Unabhängigkeit zeigen, wird Gordon Brown aus der Versenkung geholt«, meint Gross. Der Schotte Brown war von 2007 bis 2010 Vorsitzender der Labour Party und britischer Premierminister. Seit 2021 betreibt er einen Thinktank mit dem Namen »One Scottish Future«. Und der prophezeit Schottland innerhalb des Vereinigten Königreichs eine große Zukunft.
Es ist ebenso falsch, Republikaner mit Unabhängigkeitsbefürwortern und Monarchisten mit Unabhängigkeitsgegnern gleichzusetzen. Während diese Lager in Irland praktisch deckungsgleich sind, vermischen sie sich in Schottland. Es gibt vehemente Befürworter der Unabhängigkeit, die Teil des Commonwealth mit dem englischen Monarchen als Staatsoberhaupt bleiben wollen, genauso wie es Unabhängigkeitsgegner gibt, die für eine Abschaffung der Monarchie eintreten.
Gross hat persönlich erfahren, dass eine Links-rechts-Aufteilung der Lager in der Unabhängigkeitsfrage zu einfach ist. 2014 verlor er viele Freunde – vor allem andere Unabhängigkeitsbefürworter. Diese hätten einen chauvinistischen Nationalismus vertreten, eine Art »Schottland den Schotten«. Für Gross ein Unding. Schotte sei, wer in Schottland wohnt. Wie lange spiele ebensowenig eine Rolle wie die Herkunft.
Befürworter der Unabhängigkeit sprechen auffällig wenig über Kilts, Dudelsäcke oder andere kulturelle Markierungen. Auch die Sprache ist kein besonderes Thema; neben Englisch werden in Schottland auch Scots und Gälisch als offizielle Amtssprachen geführt. Als wichtigstes Argument für die Unabhängigkeit gilt vielen, sich von der Herrschaft Westminsters zu befreien. Vor allem die konservativen britischen Regierungen sind ihnen ein Dorn im Auge. Das letzte Mal, als es bei Wahlen in Schottland eine konservative Mehrheit gab, war 1959. In einem Leserbrief an die englische Tageszeitung The Guardian war vor wenigen Wochen zu lesen: »Es geht nicht um antienglische Ressentiments. Es geht darum, dass man in England ständig für Sachen stimmt, die man in Schottland nicht haben will – ob es sich nun um unregulierte Märkte, Privatisierungen oder den Brexit handelt.«
Auch Gross, der von seiner Mutter das Engagement gegen Nuklearwaffen in Schottland erbte, glaubt, dass in einem unabhängigen Schottland bessere Entscheidungen getroffen werden können, vor allem in der Friedens-, Energie- und Umweltpolitik. Diese Ansicht teilen die schottischen Grünen, die seit mehreren Jahren eng mit der SNP zusammenarbeiten. Seit die SNP 2016 ihre absolute Mehrheit im Parlament verlor, wird ihre Regierung von ihnen gestützt. Seit 2021 gibt es im Kabinett zwei grüne Minister. Friedensaktivisten in Schottland hoffen gar auf einen möglichen NATO-Austritt des Landes im Falle der Unabhängigkeit. Angesichts der gegenwärtigen Militarisierung Europas scheint dies ein Wunschtraum zu sein, doch bis zu einer möglichen Unabhängigkeit kann sich das Stimmungsbild entscheidend ändern.
Dass die Devolution zu wesentlichen Verbesserungen geführt habe, lässt Gross nicht gelten. Die Macht des schottischen Parlaments sei durch das mögliche Veto Westminsters eingeschränkt. Tatsächlich ist die Blockade von Sturgeons Gesetzentwurf zur Geschlechtsidentität nur das jüngste Beispiel. Gerade im Bereich erneuerbarer Energien wurde die Implementierung von Gesetzesvorlagen des schottischen Parlaments immer wieder von Westminster verhindert.
Neue Generation
Humza Yousaf, der neue First Minister Schottlands, wurde 1985 als Sohn pakistanischer Einwanderer in Glasgow geboren und ist der erste muslimische Staatschef Westeuropas. Yousaf repräsentiert den »inklusiven Nationalismus«, den viele Unabhängigkeitsbefürworter in Schottland vertreten. Er basiert auf einer Identifikation mit dem Land Schottland und seiner demokratischen Verfassung. Ethnizität spielt keine Rolle. Beim Referendum 2014 waren alle in Schottland lebenden EU-Bürger stimmberechtigt (darunter 700.000 Engländer), im Ausland lebende Schotten jedoch nicht.
Ob Yousafs Generation Schottland tatsächlich die Unabhängigkeit bringen wird, muss sich zeigen. Schlecht stehen die Chancen nicht. Die politische Stimmung im Vereinigten Königreich ist nach dem Brexit, den Eskapaden von Premierminister Boris Johnson und dem peinlichen Intermezzo seiner Nachfolgerin Elizabeth Truss auf einem Tiefpunkt angelangt. In Nordirland verschieben sich die Machtverhältnisse, die Democratic Unionist Party (DUP) verlor bei den Wahlen 2022 erstmals die Mehrheit und blockiert regelmäßig die Arbeit im Parlament, was ihr aufgrund der Machtteilung zwischen Unionisten und Republikanern möglich ist. Sinn Féin, die für die Wiedervereinigung Irlands eintritt, ging nicht nur aus den zuletzt abgehaltenen Parlamentswahlen in Nordirland als stärkste Partei hervor, sondern auch aus den vergangenen Wahlen in der irischen Republik. Angesichts der engen Verbindung zwischen den Unabhängigkeitsbewegungen Irlands und Schottlands gilt für viele: »Verlässt eines der Länder das Vereinigte Königreich, verschwindet auch das andere.«
An einer Mobilisierung der Basis würde es bei einem kommenden Unabhängigkeitsreferendum nicht scheitern, meint Gross. Die Enttäuschung 2014 sei groß gewesen, doch man habe die Wunden nicht zu lange geleckt. Das Referendum sei trotz des Ergebnisses ein Schritt in die richtige Richtung gewesen, man habe gewusst, dass sich der Kampf länger hinziehen kann. Gross meint, dass die Zusammenhänge, die sich im Zuge der Unabhängigkeitskampagne 2014 formten, weiter bestehen. Er sei nach wie vor mit den Menschen in Kontakt, mit denen er damals auf lokaler Ebene gearbeitet hatte, man sei digital gut vernetzt, halte immer wieder Treffen ab und sei immer noch genauso von den Vorteilen der Unabhängigkeit überzeugt, vielleicht sogar noch mehr.
Auch die SNP gab nach dem Nein 2014 nicht auf. Unmittelbar nach dem Brexit-Referendum, bei dem sich 62 Prozent der schottischen Bevölkerung für einen Verbleib in der Europäischen Union ausgesprochen hatten, forderte Nicola Sturgeon ein neues Unabhängigkeitsreferendum. Westminster gab dem Verlangen nicht statt. 2017 und 2019 forderte das schottische Parlament erneut ein Referendum, doch auch diese Initiativen wurden von der britischen Regierung unterbunden. Der damalige Premierminister Boris Johnson meinte 2020 sogar, dass der gesamte Prozess der Devolution ein »Fehler«, ja sogar ein »Desaster« gewesen sei. In Schottland machte er sich dadurch nicht viele Freunde. Zuletzt forderte Sturgeon im Juni 2022 ein Referendum, das Ende 2023 stattfinden sollte. Daraufhin nahm sich der Oberste Gerichtshof des Vereinigten Königreiches des Falles an und ließ im November 2022 verlauten, dass ein Unabhängigkeitsreferendum in Schottland ohne Zustimmung Westminsters keine Gültigkeit hätte.
Die Referendumspläne der SNP liegen im Moment aufgrund der innerparteilichen Probleme auf Eis. Humza Yousaf mag rhetorisch in die Offensive gegangen sein, realpolitisch geschieht im Moment jedoch wenig. Viele Befürworter der Unabhängigkeit meinen allerdings, dass die Unabhängigkeitsbewegung keineswegs von der SNP abhängig sei. Die Bewegung werde von der Basis getragen, Organisationen ließen sich immer bilden, wenn es notwendig sei. Tatsächlich kommt es in Schottland immer wieder zu Massendemonstrationen für die Unabhängigkeit mit bis zu 100.000 Teilnehmern. Diese werden nicht von der SNP organisiert, sondern von Bündnissen wie »All Under One Banner«. Dabei spielt auch die Scottish Socialist Party, die für eine unabhängige sozialistische Republik eintritt, eine nicht zu unterschätzende Rolle. An prominenter Unterstützung für die Unabhängigkeitsbewegung mangelt es ohnehin nicht. Zu ausdrücklichen Befürwortern der schottischen Unabhängigkeit zählen die Musikerin Amy Macdonald, der Tennisspieler Andy Murray und der Autor Irvine Welsh. Der ehemalige James-Bond-Darsteller Sean Connery war bis zu seinem Tod 2020 einer der großzügigsten Geldgeber der Unabhängigkeitsbewegung. Vor allem aber spielt die Demographie der Unabhängigkeitsbewegung in die Hände: Besonders groß ist die Unterstützung unter jungen Schotten.
Gabriel Kuhn schrieb an dieser Stelle zuletzt am 30.11. und am 1.12.2022 über die Wintersportstätten der DDR.
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