Nakba ohne Ende
Von Jakob Reimann
Die israelische Luftwaffe bombardiert einmal mehr Gaza. Seit Beginn der israelischen Angriffe am Dienstag seien 33 Menschen gestorben, wie das Gesundheitsministerium in Gaza am Freitag mitteilte. Auslöser der jüngsten Eskalation war der Tod Khader Adnans, eines Mitglieds des »Islamischen Dschihad«. Er war in der vergangenen Woche nach 87 Tagen Hungerstreik in israelischer Haft gestorben, nachdem die Behörden sich geweigert hatten, ihn in eine Klinik zu verlegen. Als dann in der Nacht auf Dienstag auch noch mehrere Dschihad-Führer von der israelischen Armee liquidiert wurden, als sie nach Kairo zu Verhandlungen reisen wollten, brach sich die Verzweiflung Bahn. Nun muss Raketenbeschuss aus Gaza erneut als Rechtfertigung für die israelischen Angriffe herhalten.
Unterdessen bereiten sich die Israelis auf das 75. Jubiläum der Gründung ihres Staates am Sonntag vor. Am 14. Mai 1948 hatte David Ben Gurion, der zum ersten israelischen Premierminister wurde, in Tel Aviv die israelische Unabhängigkeitserklärung verlesen. Am selben Tag endete das britische Mandat über Palästina, und in der darauffolgenden Nacht marschierten die Truppen mehrerer arabischer Staaten gegen den neugegründeten Staat.
Einen Monat vor der Staatsgründung hatten jüdische Milizen am 9. April 1948 das Massaker von Deir Jassin begangen, bei dem 107 palästinensische Bewohner des nahe Jerusalem gelegenen Dorfes getötet wurden. Kurz darauf wurde das Dorf von Israelis neu besiedelt. Heute ist es Teil der orthodoxen Siedlung Givat Shaul. Nach Ansicht des israelischen Historikers Ilan Pappé war das Massaker Teil einer geplanten ethnischen »Säuberung« Palästinas von der arabischen Bevölkerung. Kommandeur des Massakers war der spätere israelische Ministerpräsident Menachem Begin, der die brutale Gewalt der von ihm befehligten Milizen später verteidigte und auch deren zentrale Bedeutung für die Staatsgründung herausstellte: »Das Massaker von Deir Jassin hatte nicht nur seine Berechtigung – ohne den ›Sieg‹ von Deir Jassin hätte es auch niemals einen Staat Israel gegeben«, so Begin, der 1979 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde. Der damals gestarteten Vertreibungswelle wird auch heute noch als »Nakba« gedacht, arabisch für »Katastrophe«. An diesem Wochenende waren in Berlin daher mehrere Gedenkveranstaltungen geplant, die von der Berliner Polizei jedoch verboten wurden.
Die aktuelle Regierung unter Ministerpräsident Benjamin Netanjahu gilt als die rechteste in der Geschichte des Landes. Das stellt sie gerade auch in ihrem Vorgehen gegen Gaza unter Beweis. Finanzminister Bezalel Smotrich bezeichnet sich selbst als »Faschisten« und forderte im Zuge der Angriffe auf die palästinensische Kleinstadt Huwara im März, das israelische Militär solle »palästinensische Städte mit Helikoptern und Panzern angreifen«. Der ultrarechte Polizeiminister Itamar Ben-Gvir wurde in der Vergangenheit mehrfach wegen verschiedenster Delikte angeklagt und etwa wegen rassistischer Hetze und Unterstützung einer terroristischen Vereinigung verurteilt. Die von der Regierung geplante »Justizreform«, gegen die es seit Monaten eine Protestwelle von Israelis gibt, wird das Oberste Gericht entmachten und so faktisch die Gewaltenteilung abschaffen. Mehrere ehemalige hochrangige israelische Geheimdienstmitarbeiter warnten daher vor kurzem, Israel befinde sich auf dem Weg in eine »Diktatur«.
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